Interview

„Klima als Herzstück der Entwicklungspolitik“

Svenja Schulze ist neu im Bundesentwicklungsministerium, aber nicht neu in der Regierung. Ihre Schwerpunkte lauten: Klima, Armut, Gender, Gesundheit und Krisenprävention. Ein Gespräch über die deutsche Entwicklungspolitik im Wandel.

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BPA / Steffen Kugler
Interview
Friederike Bauer

Frau Ministerin, wo setzen Sie als neue Chefin im Bundesentwicklungsministerium besondere Schwerpunkte?
Wir stehen für eine respektvolle Politik auf Augenhöhe mit unseren Partnerländern im Globalen Süden. Und wir stellen uns den zentralen Herausforderungen, vor denen wir weltweit stehen. Das sind die Klimakrise, die Überwindung von Armut, Geschlechtergerechtigkeit, globale Gesundheitsvorsorge und Krisenprävention. Wenn wir auf diesen Feldern Fortschritte erzielen, ist viel gewonnen – übrigens nicht nur für die Entwicklungsländer, sondern auch für uns in Deutschland. Denn in unserem weltweit verflochtenen Land haben auch entfernte Krisen ganz reale Auswirkungen auf uns.

In Ihrer neuen Rolle bleiben Klimaaspekte also im Fokus?
Ich habe schon immer den Ansatz verfolgt, dass jedes Ministerium ein Klimaministerium sein muss. Für die Entwicklungszusammenarbeit gilt das in besonderer Weise, denn der Klimawandel trifft die ärmsten Länder am härtesten. Sie leiden am stärksten unter den Folgen des Klimawandels und sie haben weniger Möglichkeiten, sich anzupassen. Darum machen wir eine globale Klimapolitik, die Klimaschutz und Klimaanpassung im Blick hat, zu einem Herzstück unserer Entwicklungspolitik.

Sie legen auch Wert auf Gleichberechtigung. Warum? Und: Wie lässt sich das in den Entwicklungsländern umsetzen?
Ich will eine feministische Entwicklungspolitik. Denn Gleichberechtigung ist ein zentrales Menschenrecht. Wir wollen ihr weltweit Geltung verschaffen. Das alleine wäre schon Grund genug, aber klar ist auch: Das nutzt der gesamten Gesellschaft. Feministische Entwicklungspolitik bedeutet, dass wir bei unseren Projekten immer auch darauf achten, Frauen gezielt zu fördern oder mindestens gleichberechtigt einzubinden. Unzählige Studien zeigen, dass es weniger Hunger, weniger Armut und mehr Stabilität gibt, wenn Frauen gleichberechtigt Verantwortung tragen.

„Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung ist eine zentrale Voraussetzung für die notwendige sozial-ökologische Transformation.“

Die Corona-Pandemie stellt gerade ärmere Länder vor neue große Herausforderungen: mehr Armut, weniger Wirtschaftswachstum, um nur zwei Aspekte zu nennen. Sind die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) dennoch zu schaffen?
Daran arbeiten wir. Wir müssen international aber noch viel stärker an einem Strang ziehen, egal ob in Europa, in den Vereinten Nationen oder anderen internationalen Zusammenhängen. Multilaterale Zusammenarbeit, wo immer möglich, führt zu besseren Ergebnissen – etwa bei der Prävention von Pandemien oder bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel. Sie kann Vertrauen schaffen, auch bei schwierigen Partnern. Die Agenda 2030, das Pariser Klimaabkommen oder die Addis-Abeba-Agenda zur Finanzierung nachhaltiger Entwicklung – all die dort vereinbarten Ziele können wir nur erreichen, wenn wir gemeinsam arbeiten und nicht jeder sein eigenes Süppchen kocht.

Und was heißt das für den Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft?
Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung ist eine zentrale Voraussetzung für den  notwendigen sozial-ökologischen Wandel. Deswegen fördern wir die Entwicklung der Privatwirtschaft. Unternehmen werden auch für die Umsetzung der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens als Partner, Impulsgeber und Jobmotor in unseren Partnerländern gebraucht.

Dabei setzen wir uns besonders für die wirtschaftliche Stärkung von Frauen als Unternehmerinnen, Arbeits- und Führungskräfte und Konsumentinnen ein. Damit unsere Partnerländer widerstandsfähiger gegen künftige Schocks werden, fördern wir zudem die digitale und die grüne Wirtschaftsentwicklung. Ich denke da an die Unterstützung bei der sozialverträglichen Energiewende oder den Aufbau einer eigenen Impfstoffproduktion in Afrika. Die Pandemie hat zudem deutlich gemacht, dass es in den ärmeren Ländern kaum soziale Sicherungsnetze gibt – eine weitere Herausforderung, die wir gemeinsam angehen müssen.

Svenja Schulze
Die geborene Rheinländerin war von 2018 bis 2021 Bundesumweltministerin. Seit Ende 2021 ist sie Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Mehr als die Hälfte aller Menschen lebt heute nicht mehr in einer Demokratie. Was bedeutet das für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit?
Wenn demokratische Regeln nicht eingehalten werden, drohen Krieg und Zerstörung. Das erleben wir zurzeit in erschütternder Deutlichkeit. Darum sind Demokratieförderung und der Einsatz für gute Regierungsführung wichtiger denn je. Sie gehören auch zu den Säulen einer werteorientierten Entwicklungspolitik. Ich bin überzeugt: Demokratische Strukturen begünstigen eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, eine fairere Verteilung des Wirtschaftswachstums und wirksame Armutsreduzierung. Das machen auch internationale Studien sehr deutlich. Selbst in Ländern, die sich zuletzt autokratisch entwickelt haben, hat Demokratieförderung deutliche positive Spuren hinterlassen: Stärker als früher werden aus der Bevölkerung heraus Rechte eingefordert.

Manche erachten Afghanistan, genauer gesagt das Ende des internationalen Engagements, als „Sündenfall“ der Entwicklungspolitik. Wie stehen Sie dazu?
Von einem Ende des internationalen Engagements kann nicht die Rede sein. Mit der Entscheidung, uns militärisch in Afghanistan zu engagieren, ging stets auch eine zivile Verantwortung einher, der wir uns als Bundesregierung auch nach Beendigung des militärischen Einsatzes und gerade in diesen für das Land so schwierigen Zeiten nicht entziehen werden. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hungert, darunter 13 Millionen Kinder. Das Bildungs- und Gesundheitswesen steht kurz vor dem Zusammenbruch. Die Wirtschaft ist im freien Fall. Als internationale Gemeinschaft haben wir hierauf reagiert: Allein Deutschland hat Ende vergangenen Jahres Unterstützung in Höhe von 600 Millionen Euro für humanitäre Hilfe, strukturbildende Übergangshilfe und Basisversorgung zur Verfügung gestellt. Auch in Zukunft wollen wir uns engagieren, um die Menschen zu unterstützen. Dabei werden wir regierungsfern arbeiten, denn wir wollen das Taliban-Regime nicht legitimieren. Wir setzen so die Zusage im Koalitionsvertrag um: „Deutschland wird sein Engagement für die Menschen in Afghanistan fortsetzen.“

„Ich will eine feministische Entwicklungspolitik. Gleichberechtigung ist ein zentrales Menschenrecht.“

Inzwischen ist immer häufiger von internationaler Strukturpolitik statt von Entwicklungspolitik die Rede. Was ist der Unterschied?
Internationale Strukturpolitik ist globale Gerechtigkeitspolitik für eine nachhaltige Entwicklung. Angesichts einer veränderten Ausgangslage ist dies zwingend erforderlich: Die Globalisierung hat die Welt immer mehr zusammenrücken lassen. Die Herausforderungen unserer Zeit wie der Klimawandel lassen sich nur im internationalen Miteinander bewältigen. Für dieses Miteinander brauchen wir einen verbindlichen Rahmen – eben Strukturen, die wir schaffen müssen, um es unseren Partnern zu ermöglichen, auf Augenhöhe und eigenständig zu agieren. Schließlich sind sie die eigentlichen Träger der erforderlichen sozial-ökologischen Transformation vor Ort. Dazu gehören besonders ein globaler demokratischer Ordnungsrahmen, ein gerechtes Welthandels- und -finanzsystem und, wo immer möglich, die Stärkung des Multilateralismus. All das erhöht auch die Widerstandsfähigkeit in Krisensituationen.

Welche Rolle sehen Sie für die GIZ bei diesem Wandel?
Viele andere Staaten beneiden uns um die GIZ – und ich freue mich sehr, dass wir sie als leistungsstarke Durchführungsorganisation haben! Die GIZ unterstützt die Partner in unserem Auftrag vor Ort ganz konkret. Gerade in den vergangenen beiden Corona-Jahren hat die GIZ gezeigt, wie flexibel und schnell sie auf neue Herausforderungen reagieren und neue Ansätze und Instrumente entwickeln kann. Das außerordentliche Engagement und die hohe Präsenz der Mitarbeiter*innen der GIZ in unseren Partnerländern tragen wesentlich zur Ausgestaltung einer modernen Entwicklungspolitik im Sinne globaler Gerechtigkeit bei. Ich bin sicher, dass sich die GIZ mit der gewohnten Tatkraft auch den neuen entwicklungspolitischen Herausforderungen in enger Zusammenarbeit mit dem BMZ stellt.

aus akzente 1/2022

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