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Hindou Oumarou Ibrahim privat
Interview

„Wir sind die Wächter der Natur“

Die tschadische Menschenrechtsaktivistin Hindou Oumarou Ibrahim nutzt indigenes Wissen, um Klimafolgen zu bekämpfen. Mit Hilfe von Kartografie löst sie Konflikte um überlebenswichtige Ressourcen.

Interview: Kim Berg

Frau Ibrahim, Tschad gehört zu den Ländern, die die Auswirkungen des Klimawandels bisher am stärksten zu spüren bekommen. Wie machen sich diese Auswirkungen bemerkbar und welche Konflikte gehen mit ihnen einher?

Im Tschad erleben wir seit einigen Jahren Extremwetterereignisse. Manchmal haben wir extreme Überschwemmungen, dann wieder extreme Dürren. Die Durchschnittstemperatur im Tschad hat sich im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bereits um 1,5 Grad erhöht. Dieses extreme Wetter hat einen großen Einfluss auf das Leben der Menschen, besonders auf die Landwirtschaft.

Ressourcen wie Acker- und Weideland oder Wasser werden stetig weniger. Dadurch nehmen die Konflikte zu. Immer öfter kommt es zu Kämpfen um die wenigen Ressourcen, die noch übrig sind. Die Armut in der Gesellschaft wächst und bereitet den Nährboden für die Ideologien von Terrororganisationen wie Boko Haram.

Diese zunehmenden Konflikte nötigen immer mehr Menschen zur Migration, sowohl innerhalb des Landes als auch in die Nachbarländer oder nach Europa. Das verändert die Gesellschaft im Tschad. Hier leben immer mehr alleinstehende Frauen, deren Männer das Land verlassen haben, um woanders Geld für die Familie zu verdienen.

Mit welchen Methoden kämpfen Sie gegen die Folgen des Klimawandels in Ihrem Land?

Eines unserer Projekte ist die gemeinschaftliche Kartografie. Im Süden des Tschad arbeiten wir an Karten der Region, in denen wir Ressourcen auflisten und dabei überlegen, wer in welchem Maße auf diese Ressourcen zugreift. Dazu nutzen wir geografische Daten, wissenschaftliche Erkenntnisse und das Wissen der lokalen Gemeinschaften. Die ukrainische Organisation EOS Data Analytics unterstützt uns mit Satellitenbildern, die ich ausdrucke und in die Dörfer mitnehme. Dort erstelle ich gemeinsam mit den Menschen vor Ort die Karten. Wir bestimmen, wer zu welchem Zeitpunkt auf welche Ressource zugreifen darf, errichten zum Beispiel Korridore für die Viehzucht, bestimmen Ackerflächen und Schutzgebiete.

Wie nutzen Sie dabei indigenes Wissen?

Wir beobachten die Natur – unsere Tiere und die Pflanzen. Wir kennen unsere Umwelt seit Jahrhunderten und das Wissen über Umweltveränderungen wurde über Generationen weitergetragen. So können wir Informationen aus der Natur erhalten, die Wissenschaftler oder Meteorologen nicht kennen. Dadurch können wir zum Beispiel sehr genaue Wettervorhersagen treffen und die lokalen Gemeinschaften vor Extremwetterereignissen warnen. Unser Leben kann davon abhängen, wie sich das Wetter entwickelt. Deshalb greifen wir auf indigenes Wissen zurück, um bestmögliche Vorhersagen zu treffen.

Wie kann die internationale Gemeinschaft besser mit indigenen Gemeinschaften zusammenarbeiten, um effektive Klimaschutzstrategien zu entwickeln?

Es ist wichtig, uns von Beginn an einzubeziehen – in jede Diskussion und in jede Maßnahme. Wir sind die Wächter der Natur und wir besitzen ein enormes Wissen über unsere Umwelt. Dieses Wissen ist nicht theoretisch, es wurde jahrhundertelang getestet und überprüft. Deshalb ist es im Sinne der Nachhaltigkeit wichtig, unser Wissen in Klimaschutzstrategien einzubinden.

Schon jetzt sind Indigene diejenigen, die am stärksten durch den Klimawandel betroffen sind, weil wir uns von der Natur ernähren und in Einklang mit ihr leben. Zudem befinden sich viele begehrte Mineralien und Metalle auf dem Land indigener Völker. Deshalb ist es wichtig, unsere Rechte anzuerkennen und unseren Lebensraum zu schützen.

Wie sieht die Realität aus?

In der Realität treffen wir keine Entscheidungen. Die internationale Gemeinschaft nimmt uns als Beobachter wahr und trifft Entscheidungen, ohne uns zu involvieren. Aber wir sind keine Beobachter und wir sind keine Interessenvertreter. Wir haben Rechte und diese muss die internationale Gemeinschaft endlich anerkennen. Internationale Akteure sprechen aktuell über uns, aber nicht mit uns. So sieht die Realität aus und das ist frustrierend.

Was motiviert Sie, Ihre Arbeit fortzusetzen?

Indigene Völker kämpfen weltweit mit traditionellen Methoden gegen die Auswirkungen des Klimawandels. Ich sehe meine Aufgabe darin, die internationale Gemeinschaft zu animieren, die Stimmen dieser Menschen anzuhören. Die Welt muss indigenen Menschen zuhören, wenn es um Klima- und Umweltschutzmaßnahmen geht. Das ist mein Ziel und das treibt mich an.

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Hindou Oumarou Ibrahim privat

Hindou Oumarou Ibrahim, afrikanische Bürgerrechtlerin

Hindou Oumarou Ibrahim

ist eine afrikanische Bürgerrechtlerin. Sie wurde 1984 als Teil der indigenen nomadischen Gemeinschaft der Mbororo im Tschad geboren. Als Vertreterin indigener Menschen nimmt sie regelmäßig an internationalen Konferenzen teil, um so die Stimmen indigener Völker in internationalen Entscheidungsgremien zu stärken. Ibrahim ist eine Expertin für die Anpassung indigener Völker an den Klimawandel und entwickelt gemeinsam mit lokalen Gemeinden Klimaanpassungsstrategien. Als Koordinatorin der Vereinigung für Frauen der Fulbe und indigene Völker des Tschad (AFPAT) setzt sie sich zudem für Menschenrechte ein.

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