Interview: Digitalisierung

„Ein Werkzeug für Entwicklung“

Shradha Sharma ist Gründerin von „YourStory“. Die größte Start-up-Plattform Indiens stellt junge Unternehmen vor.

Die Frau auf dem Bild hat mittellange, dunkle Haare und ein breites Lächeln. Sie trägt ein lässiges, hellblaues Hemd und sitzt in einem Wohnzimmer auf einem Sofa. Ihr Blick richtet sich offenbar auf jemanden oder etwas außerhalb des Bildes, ihre Haltung ist entspannt und fröhlich. Im Hintergrund sind die Inneneinrichtung des Zimmers und ein Fenster sichtbar (Foto: Markus Werner).
Shradha Sharma (Foto: Markus Werner)

Sind Sie eine Anhängerin der Digitalisierung?
Ja. Als ich vor neun Jahren meine Plattform ins Leben rief, hatte ich von der digitalen Welt keine Ahnung. Jetzt bin ich ihre größte Vorkämpferin. Warum? Weil es ein Werkzeug für die einfachen Menschen ist, die nicht über viel Geld verfügen. Es ist egal, welche Geschichte oder welchen Hintergrund man hat – jeder kann loslegen und eine Welt schaffen, in der alle eine Stimme haben. Ich bin das beste Beispiel.

Ihre Plattform heißt „YourStory“ – was ist Ihre Geschichte?
Ich habe als Journalistin für den Nachrichtensender CNBC und die Tageszeitung Times of India gearbeitet. Irgendwann wurde mir bewusst, wie sehr Medien auf Erfolg fixiert sind. Wenn man etwas erreicht, schafft man es in die Nachrichten, in die Schlagzeilen. Mich ärgerte das, denn über erfolgreiche Menschen zu schreiben, ist einfach. Was ist mit den weniger gefeierten Leuten, die gerade erst begonnen haben, die noch träumen und vor denen eine Aufgabe liegt? Ich habe mich gefragt, wie ich ihnen Raum geben kann. So nahm die Idee Form an.

"Lasst und eure Geschichte feiern"

2008 gründeten Sie „YourStory“.
Genau. Den Namen habe ich gewählt, um den Leuten zu zeigen: „Hey, ihr habt eine tolle Idee, ihr tut großartige Dinge. Lasst uns eure Geschichte feiern, auch wenn ihr noch ganz am Anfang steht. Und lasst sie uns mit anderen teilen.

Was hat Sie angetrieben?
Ich hatte niemanden, der mich unterstützte, und keinerlei Erfahrung. Aber ich hatte eine Idee und eine Vision. Ich habe sehr hart gearbeitet, Tag und Nacht. Heute habe ich 90 Mitarbeiter. Wir haben schon 72.000 Geschichten von jungen, kleinen Firmen erzählt. Wir erreichen 15 Millionen Menschen und möchten expandieren, auch nach Deutschland. Wir sind die Stimme von Start-ups in Indien. Mein Ziel ist, die größte Plattform dieser Art weltweit zu werden.

Marketingaufträge für große Konzerne

Verdienen Sie damit Geld?
Wir waren von Beginn an profitabel, dank mehrerer Einnahmequellen. Dazu gehören beispielsweise die Ausrichtung von Start-up-Gipfeln sowie Marketingaufträge für große Konzerne, die mit kleinen Unternehmen in Kontakt treten möchten.

Wie finden Sie all die Gründer?
Am Anfang haben wir selbst recherchiert, wie gute Journalisten. Wir haben immer die besondere Geschichte gesucht. Heute bekommen wir täglich 400 bis 500 Mails von Menschen, die gehört werden möchten.

Fake News und andere offene Fragen

Sehen Sie in der Digitalisierung mehr Chancen oder mehr Risiken?
Deutlich mehr Chancen. Natürlich gibt es Fake News, offene Fragen der Cybersicherheit und andere Herausforderungen. Aber die Dinge werden sich entwickeln. Wir müssen und werden Wege finden, uns abzusichern. Ich bin da sehr optimistisch. Das sind frühe Symptome einer tiefgreifenden Transformation, die erst begonnen hat.
 
Bringt die digitale Welt vor allem Frauen und ärmeren Menschen etwas?
Auf jeden Fall wird sie ihnen Gutes bringen. 800 Millionen der 1,3 Milliarden Menschen in Indien haben inzwischen ein Smartphone. Sie können sich Gehör verschaffen, mit anderen in Kontakt treten und selbst in entlegenen Regionen Geschäftsideen entwickeln. Das hat es in dieser Form noch nie gegeben – die Hürde für Teilhabe ist heute deutlich niedriger als früher, zum Vorteil der Schwächsten der Gesellschaft.

Manche sagen, die Digitalisierung vertiefe die Gräben zwischen den Ländern – andere meinen, sie schließe sie. Was denken Sie?
Letzteres. Indien zum Beispiel hat auch wirtschaftlich enorme Fortschritte durch die Digitalisierung gemacht. Ich sehe sie als Werkzeug für Entwicklung. In den nächsten fünf Jahren werden wir eine deutlich stärker vernetzte Welt mit mehr Chancengleichheit erleben.

Interview: Friederike Bauer

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