Bangladesch

Saubere Sache

In Bangladeschs Textilindustrie tut sich etwas. Fabriken, die für den Lidl-Konzern produzieren, verändern den Umgang mit Chemikalien. Arbeiter*innen, Umwelt und Unternehmen profitieren davon. Besuch in einem Pilotprojekt.

Text
Frederic Spohr
Fotos
TAPASH PAUL

Mohiyan Beparis wichtigstes Arbeitsgerät ist ein Ungetüm: Es ist groß wie ein Bus, schnaubt unermüdlich, und wenn es seinen Schlund aufmacht, quillt heißer Dampf heraus. Der 23-Jährige bedient eine Färbemaschine. Seine Aufgabe ist es, das Gerät mit Stoffbändern zu füttern. Dann muss er die Maschine mit Farben befüllen – und zwischendurch immer wieder kontrollieren. Es ist eine schwere Arbeit: Mehr als 30 Grad ist es in der Fabrik heiß, in der Luft liegt der Geruch von Chemikalien. „Früher hatten meine Kollegen gelegentlich Ausschläge an den Händen“, sagt er. „Aber jetzt kommt das nicht mehr vor.“ Die Chemikalien, mit denen sie heute arbeiten, sind verbessert und die Arbeiter geschult im Umgang mit den Substanzen – ihre Handschuhe haben sie jetzt immer an.

Mohiyan Bepari, Mitarbeiter der Färberei.

Für Mohiyan und seine rund 400 Kolleg*innen ist der Arbeitsplatz in den vergangenen Monaten deutlich sauberer und sicherer geworden. Sein Arbeitgeber Mother Color bei Dhaka ist eines von 40 Textilunternehmen in Bangladesch, die an dem Projekt für Umwelt- und Ressourceneffizienz PURE teilnehmen. Im Auftrag von Lidl bildet die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH Lieferanten des Handelsunternehmens aus. Die Betriebe sollen mit Chemikalien verantwortungsvoll umgehen, Energie effizienter verwenden und das Abwassermanagement verbessern. Das schont die Umwelt und verbessert vor allem die Arbeitsbedingungen der Belegschaft.

Das deutsche Einzelhandelsunternehmen will nur noch mit Zulieferern zusammenarbeiten, die mit einem besonderen Zertifikat der Internationalen Oeko-Tex-Gemeinschaft ausgezeichnet wurden. Es berücksichtigt neben Umweltverträglichkeit und der Reduzierung des Energieeinsatzes auch die Einhaltung sozialverträglicher Arbeitsbedingungen. Schon jetzt zeigen sich deutliche Erfolge in den teilnehmenden Fabriken, in denen insgesamt mehr als 148.000 Frauen und Männer beschäftigt sind.

In Bangladesch kommt der PURE-Initiative besondere Bedeutung zu: Spätestens seit der Rana-Plaza-Katastrophe steht die Textilindustrie Bangladeschs unter Generalverdacht. Bei dem Einsturz des Fabrikgebäudes im April 2013 wurden über 1.100 Menschen getötet und mehr als 2.400 verletzt. Die Kritik an den Arbeitsbedingungen in der Branche ist häufig berechtigt. Gleichzeitig ist die Industrie wichtig für die Entwicklung des südasiatischen Landes, das mit Rang 136 im letzten Drittel des Entwicklungsindexes der Vereinten Nationen liegt. Rund 18,5 Prozent der Bevölkerung, also circa 30 Millionen Menschen, leben unterhalb der extremen Armutsgrenze von 1,9 US-Dollar pro Tag. Bangladeschs Textilwirtschaft bietet laut der Internationalen Arbeitsorganisation mehr als vier Millionen Menschen ein Einkommen, davon sind rund 80 Prozent Frauen.

Atemschutz statt schlichter Staubmaske

Der Chef von Bepari, Färberei-Manager Shahidul Islam, zeigt bei einem Rundgang, wie in Bangladesch nachhaltig produziert werden kann. Er hat mehrere PURE-Workshops besucht und führt vor, was sich seitdem alles verändert hat: Fast alle zehn Meter bleibt er stehen, um eine weitere Verbesserung zu präsentieren. Zum Beispiel die Gasleitungen, die nun viel besser isoliert sind. Das spart Kosten und senkt die Arbeitstemperatur in der Fabrik. Außerdem verhindere es Verletzungen. „Früher konnte man die Rohre nicht berühren, so heiß waren sie. Heute ist das kein Problem mehr“, sagt er und fasst an die Hülle der Leitungen. Viel hat sich auch im Lager für die Chemikalien getan: Dort sorgt ein großer Ventilator in der äußeren Gebäudewand für Luftaustausch und verhindert so, dass sich entzündliche Gase in der Luft sammeln. Jedes Chemikalienfass ist außerdem noch von einem großen Behälter umgeben – falls etwas überschwappt, verteilt sich die Substanz nicht über den Boden. Alle Behälter sind ordentlich beschriftet und mit Warnsymbolen versehen.

Früher trug Mohamed Litu im Lager nur eine Staubmaske, jetzt ist es ein vollwertiger Atemschutz.

„Es ist nun deutlich anders zu arbeiten“, sagt Lagerist Mohamed Litu, 39. Er muss es wissen: Seit fast zehn Jahren ist er bereits bei Mother Color angestellt. „Durch den Ventilator ist es kühler und die Luft besser.“ Aufgeklärt wurde er inzwischen darüber, mit welchen Chemikalien er arbeitet: „Bei vielen Stoffen wusste ich vorher nicht, wie gefährlich sie sind“, sagt Mohamed Litu. Auch eine neue Maske hat er bekommen: Statt einer leichten Staubmaske trägt er jetzt einen Atemschutz, der verhindert, dass er giftige Dämpfe einatmet.

BANGLADESCH

 

Hauptstadt: Dhaka / Einwohner: 165 Millionen / Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1.470 US-Dollar / Wirtschaftswachstum: 7,3 Prozent / Rang im Human Development Index: 136 (von 189)
Quelle: Weltbank 2017

Bangladeschs Textilindustrie ist seit der Katastrophe von Rana Plaza besonders im Blickpunkt. In einem Pilotprojekt bildet die GIZ im Auftrag von Lidl 80 Lieferanten in Bang­ladesch und China im verantwortungsvollen Umgang mit Chemikalien aus. So werden die Umwelt geschont und die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten verbessert.

Kontakt: Janosch Jerman, janosch.jerman@giz.de

 

Das Unternehmen Mother Color ist nur ein Beispiel für die Veränderungen, die bei den Umwelt- und Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie möglich sind. Insgesamt 80 Betriebe in Bangladesch und China sind an dem Flaggschiffprojekt beteiligt. Wie es vorher in manchen Fabriken aussah, zeigen Bilder aus der Vergangenheit: Zu sehen sind Kläranlagen, die bei etwas Regen überlaufen, offene Fässer mit giftigen Chemikalien und Arbeiter*innen, die aus Unkenntnis ohne Handschuhe kritische Chemikalien mixen, als würden sie gerade ein Ei aufschlagen.

Doch es gibt noch viel zu tun: „Sowohl den Arbeitern als auch dem Management in Bangladesch sind viele Probleme noch nicht klar“, weiß GIZ-Berater Yousuf Khan. Immer wieder sei es deswegen zu Unfällen gekommen. Er kennt einen Fall, bei dem ein Arbeiter schwer verätzt wurde, weil er eine Chemikalie über dem Kopf transportierte – und dann stolperte. Dennoch müssen die Berater*innen oft für Verständnis werben, zumal die Veränderungen auch Investitionen erfordern. Zu den Workshops kommen deshalb auch Manager*innen aus Fabriken, die schon umgestellt haben. Wenn sie von den Erfolgen berichten, ist das besonders glaubwürdig.

Sicherheit ist inzwischen Chefsache

Bei Mother Color muss inzwischen keine Überzeugungsarbeit mehr geleistet werden. Auch, weil die Firma durch die Umstellungen mittelfristig sogar Geld spart. Dafür hat das Unternehmen zunächst insgesamt umgerechnet rund 80.000 Euro investiert, etwa in einen sogenannten „Economiser“, ein Gerät, das die Abwärme des Dampfkessels verwendet. Eigentümer Mansoor Ahmed rechnet damit, dass sich die Kosten bereits in wenigen Jahren bezahlt machen. Er hat Sicherheit zur Chefsache erklärt: Vor jedem seiner Arbeitstage macht der Unternehmer einen einstündigen Rundgang durch seine Fabrik, abends noch einmal. Dabei kontrolliere er beispielsweise, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alle ihre Schutzkleidung tragen und ob alles ordentlich verwahrt ist, sagt Mansoor Ahmed.

Die Färbemaschine muss fachkundig bedient werden.

Auch bei Mother Color gab es anfangs Vorbehalte. „In meinem Management haben viele zuerst gedacht: Warum an dem Programm teilnehmen, es läuft doch gut“, sagt Ahmed. Er sieht allerdings, wie sich die Branche wandelt: „Die Käufer*innen aus dem Westen achten immer stärker auf Nachhaltigkeit. Wenn wir keine Kunden verlieren wollen, müssen wir uns anpassen.“ Aber die Aufträge seien eine Sache, die Lebensqualität in Bangladesch zu erhöhen die andere. „Was wir machen, ist gut für die Mitarbeiter*innen, die Gesellschaft, für das ganze Land“, sagt Unternehmer Mansoor Ahmed.

 

aus akzente 4/18