Tourismus auf dem Balkan
Neue Zeitrechnung
Ded Nika sitzt mit einer Gruppe von Wanderern vor seinem Haus und schenkt selbstgebrannten Raki aus. Die Gäste sind unterwegs auf dem „Peaks of the Balkans“, einem Wanderweg, der die Länder Albanien, Kosovo und Montenegro verbindet. In Nikas Bauernhaus, hinter dem sich die dramatischen Felswände der Albanischen Alpen erheben, werden sie in selbstgezimmerten Betten schlafen, den Raki trinken und sich von Nikas Frau Shpresa bekochen lassen. Wenn sie fragen, wird ihnen Nika erzählen, dass sein idyllisches Dorf vor zehn Jahren fast verlassen war, die jungen Männer nach Deutschland oder Italien gingen und die Alten nicht wussten, wovon sie leben sollten.
Ded Nika ist 48 Jahre alt, ein kräftiger Mann mit dunklem Haar. Seine Ehefrau ist für den Garten zuständig mit seinen Tomaten und den Paprika, den Kräutern, Auberginen und Gurken. Auch Nikas Mutter lebt mit im Haus. Sie war dagegen, dass er im Jahr 2011 das Haus umbaute, um Touristen zu beherbergen. Nicht, weil sie keine Fremden wollte. Sondern weil man in den Albanischen Alpen kein Geld nimmt, wenn man Gästen ein Bett und Essen gibt.
Grandiose Natur am Fernwanderweg
Gehen oder Bleiben, die Liebe zur Heimat einerseits und die Notwendigkeit Geld zu verdienen andererseits – dieser Zwiespalt hat die Menschen in Theth lange beschäftigt. Albanien ist seit 2014 EU-Beitrittskandidat. Deutschland unterstützt das Land in verschiedenen Bereichen, einer der Schwerpunkte der Zusammenarbeit ist die Schaffung von Einkommensmöglichkeiten in den Bergdörfern.
Bereits 2006 initiierte die GIZ ein Projekt zur Förderung des Berg- und Wandertourismus in den Albanischen Alpen, verbunden mit der Unterstützung lokaler Bauern bei der Vermarktung ihrer Erzeugnisse. Dazu gehören Honig, Milchprodukte und besonders Heilkräuter. Aus dieser Initiative ist der „Peaks of the Balkans“ entstanden, ein fast 200 Kilometer langer Fernwanderweg, der grandiose Naturerlebnisse bietet.
Jetzt ziehen wieder Menschen ins Dorf
Die Häuser von Theth liegen weit verstreut in einem engen Tal, das rundherum von Bergen umgeben ist. Nur eine einzige Schotterstraße führt in das Dorf. Nach Tirana, in die Hauptstadt des Landes, braucht man fünf Stunden. Und auch Shkodra, die zweitgrößte Stadt Albaniens, ist zwei Stunden entfernt. 370 Menschen leben in Theth und mit jedem Jahr werden es nun mehr. Viele, die auswanderten, weil sie ohne Hoffnung und ohne Perspektive waren, kommen zurück. Sie bauen Häuser, Fremdenzimmer, Restaurants. Der Ruf des Dorfes als Schönheit der Albanischen Alpen verbreitet sich.
Deshalb teilt man die Zeit in Theth ein in „vor dem Tourismus“ und „nach dem Tourismus“. Davor war Theth so gut wie verloren. Ismail Beka, Projektmanager bei der GIZ in Tirana, erinnert sich an seine Besuche in Theth. „Jedes dritte Haus stand leer, die Läden waren verrammelt. Es gab keine vernünftige Straße, keinen Arzt und auch sonst nichts, was das Leben erleichtert hätte.“
Sieger im Ideenwettbewerb
Der Aufstieg des Dorfes begann 2006. Die Universität Shkodra veranstaltete gemeinsam mit der GIZ einen Wettbewerb zum Thema „Zukunft im Tourismus“. Theth gewann. „Die Leute haben uns mit ihrer hohen Bereitschaft zur Veränderung überzeugt. Wir sahen, wie groß der Gegensatz war zwischen der landschaftlichen Schönheit und der Perspektivlosigkeit der Menschen“, erinnert sich Beka. In Ded Nika fand er einen Mann, der bereit war, die Ärmel hochzukrempeln. Es gab viel zu tun. „Unsere Höfe hatten weder Strom noch Wasser. Im Erdgeschoss wohnten die Tiere, in den winzigen Zimmern darüber die Menschen,“ erinnert sich Nika.
Neun Familien erhielten Baumaterial im Wert von 2.000 Euro zum Umbau ihrer Höfe. Die Arbeit wurde in Eigenleistung erbracht. Und tatsächlich kamen die Gäste: erst wenige, dann immer mehr. Inzwischen übernachten rund 30.000 Menschen im Jahr in Theth. Gut 25 Familien betreiben Gästehäuser als Haupterwerb.
Ein neuer Laden, eine Schule und Busse
Pavlin Polia und sein Bruder Nard gehören zu den Rückkehrern. Sie kamen 2010 aus Italien nach Theth zurück und bauten mit eigenen Händen eine Pension, heute das erste Haus am Platz. Der Erfolg ist für sie eine Genugtuung nach den Jahren als Gastarbeiter. „Zurückzukommen war die beste Entscheidung unseres Lebens“, sagt Nard Polia.
Der Tourismus hat das Leben in Theth auch komfortabler gemacht. Die Minibusse, die die Touristen aus Shkodra abholen, sind auch für die Einheimischen erschwinglich. Es gibt nun einen kleinen Laden, eine Krankenstation, eine Schule – und neuerdings eine Müllabfuhr.
Wie viele Touristen verträgt das Tal?
Inzwischen ist das Dorf ob seines Erfolges aber etwas gespalten: Die einen wollen mehr Gäste, mehr Zimmer, mehr Einnahmen. Die anderen meinen, es sei nun die Gästezahl erreicht, die das Tal verkraften kann, ohne seine Ursprünglichkeit zu verlieren. „Die ersten Touristen kamen, um die Natur zu genießen und die Einfachheit des Lebens hier. Die, die heute kommen, wollen Latte Macchiato, Wellness und weiche Betten“, sagt Pavlin Polia.
Die Regierung hat sogar angekündigt, die Straße nach Theth zu asphaltieren und so auszubauen, dass sie auch im Winter befahrbar ist. Das geht Ded Nika zu weit: Er will die asphaltierte Straße nicht. Im Winter, so wünscht er sich, darf es gerne weiterhin ruhig und beschaulich zugehen in Theth.
Ansprechpartner: Ismail Beka, ismail.beka@giz.de
Juli 2018