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Thorsten Schäfer-Gümbel
Interview

„Wir brauchen eine erneuerte globale Verpflichtung zu den SDGs“

Ein Interview mit dem Vorstandssprecher der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH zur Halbzeitbilanz der Agenda 2030. Thorsten Schäfer-Gümbel spricht über die Verantwortung des Globalen Nordens, die Verbindung von Ökologie, Ökonomie sowie sozialer Frage und dass Solidarität zur DNA der GIZ-Beschäftigten gehört.

Interview: Nicole Annette Müller

Herr Schäfer-Gümbel, welche Bedeutung hat die Agenda 2030 in einer von globalen Herausforderungen geprägten Welt?

Eine außerordentlich wichtige! Vor acht Jahren hat sich die internationale Gemeinschaft auf die Agenda 2030 mit ihren fünf Prinzipien und 17 Zielen (SDGs) geeinigt, um einen Weg hin zu einer gerechteren und nachhaltigeren Welt einzuschlagen.

Die Rückschläge durch den fortschreitenden Klimawandel, die Auswirkungen der Corona-Pandemie und auch durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstreichen nachdrücklich die Dringlichkeit dieser Ausrichtung.

Mehr noch: Obwohl sich die Weltgeschehnisse negativ auf die Agenda 2030 auswirken, zeigt sich bei einzelnen SDGs, dass sie gerade in der Wechselwirkung zwischen Krise und Umsetzung eine besondere Hebelwirkung entfalten können. Ich denke da etwa an das Nachhaltigkeitsziel 5 (Gleichstellung der Geschlechter). Hier wissen wir, dass sich die Stärkung von marginalisierten Gruppen insgesamt positiv auf Veränderungen in einer Gesellschaft auswirkt.

 

Dennoch, die globale Halbzeitbilanz wird bescheiden ausfallen …

Um soziale Gerechtigkeit, sichere Ernährungslagen, Klimaanpassung und viele weitere der Ziele zu erreichen, haben wir noch einen langen Weg vor uns. Wir werden diese Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen können. Die Weltgemeinschaft darf in den kommenden sieben Jahren keinesfalls nachlassen, im Gegenteil, sie muss ihre Anstrengungen verstärken. Wir brauchen eine erneuerte globale Verpflichtung zu den SDGs.

Ich sehe bei den Industrieländern eine klare Mitverantwortung, Entwicklung weltweit voranzutreiben und Staaten und Gesellschaften dauerhaft resilienter zu machen. Die UN-Nachhaltigkeitsziele dienen als Gradmesser für ebendiese Fortschritte. Wenn wir ökologische, ökonomische und soziale Fragen durch die internationale Zusammenarbeit gleichermaßen stärken, können wir Leben und Perspektiven von Mensch und Natur dauerhaft verändern und sichern.

Was bedeutet die Transformationsagenda genau für die GIZ?

Die Agenda 2030 ist der Handlungsrahmen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit und damit auch der Kompass für unsere Arbeit. Wir haben das Abkommen fest in die Planung, Umsetzung und das Monitoring aller neuen Projekte integriert.

Die Umsetzungsprinzipien sind die Leitplanken dazu. Denken wir zum Beispiel an das Prinzip der integrierten Ansätze: Die Klimaneutralität stellt viele Regionen weltweit vor große Herausforderungen. So auch die südafrikanische Provinz Mpumalanga. Rund 80 Prozent aller südafrikanischen Kohle werden dort gefördert.

Um Menschen eine Perspektive zu geben, unterstützt die GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz einen sozial gerechten Strukturwandel. Wir nennen das „Just Transition“. Ziele sind die Schaffung von Jobs und eine grüne Wertschöpfung. Kohlearbeiter*innen, Lkw-Fahrer*innen, Händler*innen – ihre Arbeit ist bislang eng mit der Kohleindustrie verzahnt.

Die GIZ organisiert daher Umschulungen und sucht mit Partnerorganisationen nach Investor*innen für zukunftsfähige Industriezweige – zum Beispiel in der Landwirtschaft, im Ökotourismus oder im Bereich der erneuerbaren Energien.

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SDG

„Wir erreichen die SDGs nur, wenn der Globale Norden seiner Verantwortung gerecht wird.“

Thorsten Schäfer-Gümbel
Vorstandssprecher der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)

Wie setzt die GIZ das „Leave no one behind“-Prinzip um, also den solidarischen Ansatz, niemanden zurückzulassen?

Hier beraten wir die Politik in unseren Einsatzländern dazu, jene Bevölkerungsgruppen, die am stärksten von Krisen betroffen sind, besonders zu berücksichtigen.

Konkret heißt das, soziale Sicherungssysteme aufzubauen, die beispielsweise bei klimabedingten Ernteausfällen einspringen. Auch im Falle von Überschwemmungen – wie etwa in Pakistan im vergangenen Jahr – erhielten viele Menschen durch ein neues Registrierungssystem schneller Sozialleistungen.

Ganz im Sinne des Prinzips Universalität ist auch klar: Wir erreichen die SDGs nur, wenn der Globale Norden seiner Verantwortung gerecht wird. So legen wir ein besonderes Augenmerk auf nachhaltige, sozial gerechte und transparente Lieferketten.

Im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums vernetzen wir zum Beispiel in Bangladesch Fabrikarbeiter*innen, die sich stärker für ihre eigenen Rechte einsetzen möchten. In „Frauen-Cafés“ finden sie einen geschützten Ort für den Austausch. 

Miteinander verflochtene Krisen stellen zusätzliche Anforderungen an die Entwicklungszusammenarbeit. Was bedeutet das für die GIZ?

Auch die GIZ als umsetzende Organisation ist gefordert. Unsere neue Unternehmensstrategie zielt darauf ab, die GIZ noch exzellenter, digitaler und partnerschaftlicher auszurichten. So können wir auch in Zeiten von vielfältigen Krisen wirksam, flexibel und schnell reagieren.

Dafür gilt es beispielsweise, einmal erfolgreich entwickelte Instrumente und Ansätze in unserer Arbeit häufiger einzusetzen – regional oder in anderen Länderkontexten –, sozusagen als einen Standard zu etablieren und damit Zeit und Ressourcen zu sparen.

Und wir wollen Partnerschaften vor Ort, von der Zivilgesellschaft bis zur Regierungsebene, ausbauen und sie in der Leistungserbringung stärken. Dabei setzen wir konsequent auf den Aufbau von Kooperationen, unter anderem mit der Digitalwirtschaft und Stiftungen, um so unser Wissen und unsere Ressourcen zu bündeln. Dies ermöglicht es uns, bessere Wirkung und Leistung zu erzielen und unser Ziel der nachhaltigen Entwicklung noch effizienter zu erreichen.

 

Wie kann die Digitalisierung bei diesem integrierten Ansatz unterstützen?

Digitalisierung ist auch ein Treiber für Entwicklung und damit eine Chance!

In Malawi hat die GIZ mit UNICEF eine Drohnenakademie für angehende Pilot*innen aufgebaut. Das schafft Jobs und schnelle Lieferketten: Drohnen fliegen lebenswichtige Medikamente in entlegene Gebiete und erreichen dort mehr als 750.000 Menschen. Gleichzeitig sammeln die Flugobjekte Daten, die auch in der Landwirtschaft genutzt werden, etwa um Saaten zu planen. Das macht Lieferketten robust und schafft Arbeitsplätze als Datenanalyst*in oder Drohnenpilot*in.

Die GIZ koordiniert das Drohnennetzwerk und berät die malawische Regierung, den Transport weiter auszubauen. So beflügelt Drohnentechnologie die technische und landwirtschaftliche Entwicklung des Landes, stärkt die Gesundheitsversorgung und macht das Land resilienter.

Herr Schäfer-Gümbel, Sie sind seit knapp vier Jahren bei der GIZ, seit letztem November Vorstandssprecher: Können Sie etwas nennen, was Sie seit Ihrem Einstieg in die GIZ besonders beeindruckt hat?

Vor zwei Jahren haben sich GIZ-Mitarbeitende angesichts der verheerenden Flutkatastrophe in Regionen von Rheinland-Pfalz zu einer spontanen Hilfsaktion zusammengeschlossen. Inzwischen hat sich diese Mitarbeitendeninitiative etabliert und organisiert sich bei internationalen Notlagen immer wieder neu, zum Beispiel auch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.

Dieses Engagement ist Ausdruck lebendiger Solidarität und erfreut mich sehr, auch weil sie in der GIZ meiner Wahrnehmung nach fest verankert ist. Man findet immer helfende Hände. Das rührt mich in den konkreten Situationen und ist in der Gesamtschau beeindruckend. Das nötigt mir regelmäßig Respekt ab und ist ein prägender Moment seit meinem Eintritt.

Ich wünsche mir, dass sich alle Kolleg*innen diesen Elan bewahren und weitermachen!