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Stanley Mutuma Natalie Plhak/Light for the World
Porträt

Stanley Mutuma – gelebte Inklusion in Kenia

Stanley Mutuma ist Generalsekretär des Nationalen Paralympischen Komitees von Kenia. Der blinde Jurist weiß, wie wichtig Sport für Inklusion ist.

Text: Bettina Rühl

Wenn Stanley Mutuma auf dem Fahrrad – einem Tandem – sitzt, fühlt er sich angenommen und frei. „Es ist einfach großartig, ein Gefühl von Freundschaft und Abenteuer.“ Der 41-jährige Rechtsanwalt und Generalsekretär des Nationalen Paralympischen Komitees von Kenia ist begeisterter Radfahrer. Die Landschaft, durch die er mit Freunden fährt, nimmt er über den Untergrund wahr, über die Neigung des Geländes, über Gerüche und die Schwankungen in der Temperatur.

Mutuma ist seit 26 Jahren blind, Folge des Terroranschlags der islamistischen Al-Qaida-Miliz auf die US-Botschaft in der kenianischen Hauptstadt. Kurz nach der Detonation in Nairobi explodierte, ebenfalls am 7. August 1998, eine zweite Bombe vor der US-Botschaft in Daressalam, der Küstenmetropole im benachbarten Tansania. Durch die Anschläge starben mehr als 200 Menschen, davon 176 Kenianerinnen und Kenianer, die keinerlei Verbindung zur US-Botschaft hatten. Etwa 4.000 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

Mutuma setzt sich als Jurist seit vielen Jahren dafür ein, dass die kenianischen Opfer des Anschlags von der US-Regierung entschädigt werden. Bislang haben lediglich US-amerikanische Opfer Kompensationen erhalten.

Der damals 16-jährige Mutuma war bei einer Schultheateraufführung in der Nähe der US-Botschaft, als die Bombe explodierte. Vier Jahre lang versuchten Ärztinnen und Ärzte in Kenia und Großbritannien, das Augenlicht des Teenagers zu retten. Den Großteil der Kosten musste seine Familie begleichen. Als klar war, dass er sich mit seiner Erblindung abfinden musste, fing Mutuma an, sich ein neues Leben aufzubauen. Auf einer Blindenschule schaffte er das Abitur mit so exzellenten Noten, dass er sich für ein Jura-Studium qualifizierte.

IT als Schlüssel zur Inklusion

Auch das Studium schloss er mit besten Noten an der öffentlichen Universität von Nairobi ab. Zwar hätten die Universitätsmitarbeitenden anfangs wenig Erfahrung im Umgang mit blinden Studierenden gehabt, seien aber immer hilfsbereit und lernwillig gewesen, erinnert sich Mutuma. Die übrigen Studierenden hätten ihn ebenfalls unterstützt. Der Schlüssel zur gelungenen Inklusion sei aber die IT gewesen: „Dank der Sprachprogramme und ähnlicher Hilfsmittel ist es mittlerweile möglich, sich völlig selbstständig und unabhängig zu bewegen.“

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Stanley Mutuma neben einem Tandem Mutuma/Godeke

Stanley Mutuma unterwegs mit Tandem-Pilotin Jeanet Godeke.

Kenias Verfassung verbietet Diskriminierung

Insgesamt habe Inklusion in Kenia in den vergangenen zehn bis 15 Jahren große Fortschritte gemacht, findet Mutuma: Dank der Aufklärungsarbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen habe sich vieles gebessert, „auch wenn wir noch weit von einer umfassenden Gleichberechtigung von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung entfernt sind“. Hilfreich sei in Kenia aber in jedem Fall, dass die rechtliche Lage eindeutig ist: Laut der kenianischen Verfassung von 2010 ist die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Ethnie, ihrer Behinderung oder Religion verboten.

„Fahrradfahren im Tandem ist einfach großartig, ein Gefühl von Freundschaft und Abenteuer.“

Stanley Mutuma

Mit Sport zurück ins Leben

Beim Weg zurück ins Leben spielte Sport für Mutuma eine wichtige Rolle. Über einen anderen Überlebenden des Terroranschlags von 1998 entdeckte er, wie heilsam Sport sein kann: durch eine veränderte Körperwahrnehmung, ein starkes Gemeinschaftsgefühl und die Erfahrung von Anerkennung. Als Radsportler erreichte er internationales Niveau und nahm für Kenia an Wettkämpfen teil – ebenfalls im Tandem im Team mit einem sehenden „Piloten“. Mittlerweile betreibt der Kenianer den Radsport in seiner Freizeit.

Durch seine eigenen Erfahrungen weiß Mutuma um die Bedeutung des Sports für Athletinnen und Athleten mit Behinderungen. Als Generalsekretär des Nationalen Paralympischen Komitees unterstützt er andere dabei, ihre Leistung bei den Paralympischen Spielen im Sommer 2024 in Paris zeigen zu können. Im Team der kenianischen Athletinnen und Athleten würden die Para-Sportlerinnen und -Sportler mittlerweile nicht anders behandelt als die Menschen ohne Beeinträchtigung, sagt Mutuma. Und er findet, das sei ein großer Erfolg schon vor der ersten Medaille.