Reportage

Jenseits der Kaffeesträucher

Wie in Costa Rica der Klima- und Umweltschutz weitergedacht wird: Besuch auf einer Finca, die mehr als klimafreundlichen Kaffee produziert.

Text: Klaus Ehringfeld Fotos: Soren Pessoa

Man sieht Lizeth Jiménez und Celeste Aguilar schon von weitem. In ihren farbigen Pullis stechen sie aus der sattgrünen Landschaft heraus, die sie umgibt. Die beiden Frauen zupfen und rupfen, jäten und putzen in rechteckigen Feldern mit knapp meterhohen Pflanzen. Rechts duftet es nach Minze, von links zieht der Geruch nach Oregano in die Nase. Die Frauen lächeln, winken und tauchen wieder ab ins dichte Grün.

Es ist früher Morgen Ende Oktober am Fuße des Vulkans Turrialba im Osten von Costa Rica. Hier im Dorf Aquiares hüllen auf 1.000 Meter Höhe die Wolken die Hügel ein und bieten Schutz vor der Sonne, die schon um acht Uhr sticht. Rund um das Dorf liegt die gleichnamige Kaffeefarm Aquiares, die größte zusammenhängende Finca des zentralamerikanischen Landes.

Über 620 Hektar erstrecken sich die Kaffeesträucher über die weichen Hügel und in die Flusstäler. Um diese Jahreszeit hängen die Sträucher voller praller, purpurroter Kaffeekirschen. Bei Tagesanbruch ziehen Frauen und Männer in die Felder und füllen ihre Körbe. Die Monate Oktober und November sind die Hochphase der Erntezeit.

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Vier Erntemitarbeiterinnen stehen im Feld Soren Pessoa

Heilpflanzenfelder am Rande der Kaffeeplantage

Doch Jiménez und Aguilar sind nicht mit dem Pflücken der Kaffeekirschen beschäftigt. Am Rande der Kaffeeplantage sind vor zwei Jahren Heilpflanzenfelder entstanden. Neben Salbei, Estragon, Minze und Thymian werden auf einer Größe von etwa drei Fußballplätzen vor allem Oregano und Juanilama angebaut. Juanilama, ein in Costa Rica heimisches Kraut, wirkt krampflösend. Genau wie Oregano, welches antiseptische und schleimlösende Eigenschaften besitzt, wird es für die Produktion eines Bio-Hustensafts genutzt. Das Projekt der „plantas medicinales“, der Arzneipflanzen, entstand in Kooperation mit der costa-ricanischen Pharmafirma Lisan, die sich auf Naturmedizin spezialisiert hat und aus Aquiares große Teile ihrer Grundstoffe bezieht.

Mit dicken grauen Handschuhen säubert Lizeth Jiménez einige Blätter einer Oreganopflanze. Wenn sie von ihrer Arbeit erzählt, legt sich ein breites Lächeln auf ihr Gesicht. „Mein Leben lang habe ich nur Kaffee gepflückt, jetzt lerne ich hier etwas über Heilpflanzen, über das Herstellen von ätherischen Ölen und Seifen. Ich fühle mich jetzt wichtig“, sagt die 42-Jährige. Jiménez stammt wie ihre Kolleginnen aus Aquiares und hat ihr Leben der Familie und dem Kaffee gewidmet. „Aber es gab eben nur in der Erntezeit Arbeit“, sagt sie.

Festes Einkommen für Frauen

Inzwischen gehört die Costa-Ricanerin zu einer Gruppe von zehn Frauen, die in Aquiares auf der Heilpflanzenfarm arbeiten. Sie säen, ernten, trimmen und pflegen die Pflanzen, aber sie lernen auch, daraus Produkte herzustellen. In Aquiares werden Seifen, Gels und Essenzen gefertigt. Das Besondere an dem Heilpflanzenprojekt ist, dass die Frauen aus dem Dorf jetzt einen festen Job haben und ein festes Gehalt beziehen. Es sei fast wie ein neues Leben, freut sich Jiménez. „Ich stehe morgens auf und freue mich auf die Arbeit, ich fühle mich als Teil des Ganzen.“

Und dank des sicheren Einkommens entwickelt die eine oder andere Frau auch Ideen für neue berufliche Perspektiven. Etwa Celeste Aguilar, die schon mit 16 Mutter wurde. Die inzwischen 24-Jährige studiert und will Agrarwissenschaftlerin werden. Durch die Arbeit im Heilpflanzenprojekt sei ihr Selbstbewusstsein gestiegen, unterstreicht Celeste. „Jetzt sehen die Männer, dass wir mehr können, als nur Löcher zu graben.“

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Kaffeebeeren am Ast und eine Hand die pflückt Soren Pessoa

„Hier werden Natur- und Umweltschutz ernst genommen“

Im Interview erklärt Andreas Villar, Koordinator des GIZ-Clusters für Klima und Biodiversität in Costa Rica, warum das Land in Klimafragen Verbündeter Deutschlands ist. mehr

Wie kommen Heilpflanzen auf die größte Kaffeefarm Costa Ricas?

Die Eigentümer der Kaffeefarm Aquiares setzten schon vor einigen Jahren auf nachhaltige und umweltfreundliche Kaffeeproduktion – und dachten daran, sich breiter aufzustellen. „Nach der Pandemie war die Not so groß, dass wir schnell Projektideen entwickelt haben“, erläutert Diego Robelo, Geschäftsführer und Miteigentümer von Aquiares. „Und wir hatten Glück, dass Lisan für ihren Hustensaft die Blätter des Eucalyptus benötigt, den wir auf unserer Kaffeeplantage pflanzen und pflegen.“ Die Bäume gehören zum Konzept des nachhaltigen, diversen Anbaus, spenden Schatten und speichern CO2.

Und so wurde nach und nach die Zusammenarbeit ausgeweitet und die Idee der Heilpflanzenfelder entwickelt. Man suchte vom Kaffeeanbau erschöpfte Böden in Nähe des Dorfes, widmete sie um und gab Frauen die Chance auf ein festes Einkommen unabhängig von Erntezyklen. „Die Idee ist nicht nur nachhaltig und grün, sondern bietet auch noch eine Geschäftsnische“, zählt Robelo auf. Und setzt auf die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen der Region: ein Gewinn auf vielen Ebenen.

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Diego Robelo, Geschäftsführer und Mitbegründer von Aquiares Soren Pessoa

Diego Robelo, Geschäftsführer und Miteigentümer von Aquiares

Länder-Wiki
Land: Costa Rica
Hauptstadt: San José
Bevölkerung: 5,2 Millionen
Rang im Human Development Index: 58 von 191 Staaten/Gebieten
Erreichen von Netto-Null-Emissionen: im Jahr 2050
Quelle: Weltbank; HDR; UN Climate Summit

Partnerschaft mit der Privatwirtschaft

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH arbeitet seit vielen Jahren mit Aquiares zusammen und unterstützte die Finca bei der klimafreundlichen Kaffeeproduktion. Die GIZ beriet zudem, wie man Biodünger einsetzt, und schulte mit Hilfe von Lisan die Frauen in den Themen Landwirtschaft und Ökoproduktion. „Wir haben auch direkte Hilfe bekommen, um einen Kessel und eine Destillieranlage für die ätherischen Öle anzuschaffen“, betont Robelo. „Ohne die GIZ hätten wir das Projekt nicht so schnell starten können.“ Dank der Partnerschaft mit Lisan konnte es sich erfolgreich entwickeln, weshalb „plantas medicinales“ auch ein gelungenes Beispiel für Entwicklungspartnerschaften (Public Private Partnerships, PPP) ist.

„Ohne die GIZ hätten wir das Projekt nicht so schnell starten können.“

Diego Robelo
Geschäftsführer und Miteigentümer von Aquiares
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Eine Frau füllt Öl in eine Flasche, zwei andere Frauen schauen zu Soren Pessoa

Klimaschutz und wirtschaftlicher Erfolg

Die Heilpflanzen passen zudem hervorragend zum Konzept der Finca: Bereits seit 2014 produziert sie ihren Kaffee CO2-neutral und hat das Prädikat „Carbono Neutral“ der costa-ricanischen Regierung erhalten. Der 35-jährige Geschäftsführer Robelo hat sehr früh erkannt, dass nachhaltige Produktion und Klimaschutz durchaus mit wirtschaftlichem Erfolg Hand in Hand gehen. „Wir können zeigen, dass Costa Rica nicht nur hochwertigen Kaffee herstellen kann, sondern dabei auch weniger Emissionen freisetzt“, erzählt er. Und das passe ja bestens in eine Welt, in der die Verbraucherinnen und Verbraucher immer häufiger wissen wollten, wo und wie ihr Produkt entstanden ist.

Mit seiner Vision einer ökologisch ausgerichteten und wirtschaftlich erfolgreichen Kaffee-plus-Finca liegt Diego Robelo ganz auf der Linie Costa Ricas. Das mittelamerikanische Land ist schon lange grün ambitioniert und bemüht sich, soweit es geht, die Landwirtschaft, den Verkehr und auch Teile der Industrie und Landwirtschaft auf CO2-arm oder -neutral umzustellen. In Aquiares am Fuße des Vulkans Turrialba, zwischen Kaffeesträuchern und Heilpflanzenfeldern, sind sie auf diesem Weg schon ein Stück weitergekommen.

Auf Klimakurs

Costa Rica ist richtungsweisend beim Klimaschutz. Die GIZ unterstützt das Land dabei, seine Klimaziele zu erreichen. Beispielsweise in der Kaffeeproduktion mit dem Programm „Transforma-Innova“. Finanziert wird es durch die Internationale Klimaschutzinitiative und die Europäische Union. Das Heilpflanzenprojekt in Aquiares ist ein Beispiel für einen sozial gerechten Transformationsprozess. Es wurde im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) im Rahmen des Programms „Ideen für Green Recovery in Zentralamerika und der Dominikanischen Republik“ durchgeführt.

Kontakt „Transforma-Innova“: Alberto Vega-Exposito; Kontakt „Ideen für Green Recovery“: Kathrin Russner
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Hände von zwei Personen halten Kaffeebeeren Soren Pessoa
Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei:
SDG 5: Geschlechtergleichheit SDG 12: Nachhaltige/r Konsum und Produktion SDG 13: Maßnahmen zum Klimaschutz SDG 15: Leben an Land
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