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Man hält zwei Platinen in der Hand
Reportage

Recycling auf anderem Niveau

In Nigeria weist ein Pilotprojekt zu Elektroschrott den Weg, wie die Recyclingindustrie in Afrika vorangebracht werden kann und Menschen beim Zerlegen der ausrangierten Geräte geschützt werden. Unterwegs in der Megacity Lagos.

Text: Katrin Gänsler Fotos: George Osodi

Im Lager von Iliya Abba stapeln sich Kartons mit elektronischen Geräten. Der 32-Jährige hat sein kleines Unternehmen direkt gegenüber vom „Computer Village“ aufgebaut. Das ist in Nigerias Megacity Lagos, mit ihren geschätzten 20 Millionen Menschen, der Ort, um Laptops, PCs und Bildschirme zu kaufen. Doch die Waren von Abba sind am Ende ihres Lebenswegs angekommen. Wertvoll sind sie trotzdem für den jungen Nigerianer, denn er ist Zwischenhändler für Laptops und Bildschirme, die sich nicht mehr reparieren lassen.

Üblicherweise werden sie „auseinandergebrochen“, wie in Nigeria umgangssprachlich gesagt wird, um Wertstoffe einzeln weiterzuverkaufen. Auch Abba hat das lange Zeit so gemacht, berichtet er, obwohl bei dieser Arbeit das Risiko für die Gesundheit groß ist. Die verbauten Materialien haben spitze Kanten. Kaum jemand der Gelegenheitsarbeiter*innen hat professionelles Werkzeug. Deshalb sind gefährliche Schnittverletzungen häufig. Außerdem können Elektroschrott-Zerleger*innen und ihre Familien mit rund 1.000 gefährlichen Schadstoffen in Kontakt kommen, hat die Weltgesundheitsorganisation untersucht.

Inzwischen hat Iliya Abba seine kleine Firma professionalisiert und sich für einen neuen Weg entschieden. Dass der Nigerianer heute die Geräte als Ganzes weiterverkauft, hat mit Oluwatobi Adegun zu tun. Er leitet die nigerianische Organisation Verde Impacto, die eng mit der Firma Closing the Loop zusammenarbeitet. Mit diesem Unternehmen, das seine Basis in den Niederlanden hat, und weiteren Partnern startete die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH Anfang 2021 ein Pilotprojekt, um die Kreislaufwirtschaft in Nigeria voranzubringen.

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Alte Platinen werden aus einem Gehäuse rausgeschraubt

Kreislaufwirtschaft voranbringen

Das Pilotprojekt „Kompensation für Elektroschrott als internationaler Finanzierungsmechanismus in Nigeria“  ist ein pragmatisches Beispiel für innovative und skalierbare Lösungen zum Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, das von der PREVENT Waste Alliance  angestoßen wurde. Als Plattform für den Wissensaustausch und die internationale Zusammenarbeit bringt sie Organisationen aus dem Privatsektor, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und öffentlichen Einrichtungen entlang globaler Wertschöpfungsketten zusammen. Das PREVENT-Sekretariat wird von der GIZ gemanagt. Die PREVENT Waste Alliance wurde vom deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ins Leben gerufen.

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Recycling-Einkaufswagen-Icon

Hand in Hand mit Partnern

Das Pilotprojekt zu Elektroschrott in Nigeria arbeitet mit fünf Partnerorganisationen zusammen:

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Marktplatz

Damit es sich für Sammler*innen und Händler*innen von Elektroschrott in Nigeria lohnt, die unbrauchbaren Geräte an Recycling-Fachfirmen zu verkaufen, müssen sie ausreichend bezahlt werden. Und Recycling-Firmen wiederum müssen für das Recycling und vor allem das sachgerechte Management von Schadstoffen entlohnt werden.

Dazu wendet Closing the Loop das Prinzip einer freiwilligen Kompensation für Elektroschrott an. Das bedeutet, dass ein neues elektronisches Gerät mit dem verantwortungsvollen Recycling einer entsprechenden Menge an Elektronikschrott im Globalen Süden verbunden ist. Quasi: Eins auf den Markt bringen, eins recyceln. Unternehmen – etwa Hersteller oder Einzelhändler – können beim Verkauf eines PCs, Laptops oder Smartphones einen zusätzlichen Betrag berücksichtigen. „Wenn es einen solchen zusätzlichen Finanzierungsstrom gibt, lässt sich auch in Lagos sachgerecht recyceln“, sagt Andreas Manhart vom Öko-Institut in Freiburg im akzente-Interview. Das renommierte Institut hat das Pilotprojekt in Nigeria mit Studien begleitet.

461
Kilotonnen
Elektroschrott fielen laut Vereinten Nationen 2019 in Nigeria an.

Zurück nach Lagos. Oluwatobi Adegun von Verde Impacto hat mit viel Engagement Iliya Abba davon überzeugt, Bildschirme und Fernseher nicht selbst zu zerlegen, sondern an eine Fachfirma weiterzuverkaufen. Die beiden Männer haben sich vor Jahren kennengelernt, als Adegun noch als Informatikstudent regelmäßig das „Computer Village“ besuchte, um mehr über Elektroschrott und Recyclingmöglichkeiten zu erfahren. Die Kontakte aus dieser Zeit zahlen sich jetzt aus.

Für Adegun hat fachgerechtes Recycling zwei große Vorteile: Die Bedingungen für Arbeitende im informellen Sektor werden verbessert und die Umwelt wird geschützt. „Alles, was nicht mehr brauchbar ist, landet bisher auf der Müllkippe oder es wird sogar einfach irgendwo weggeschmissen. Ein Teil wird verbrannt.“ Das belastet den Boden, die Luft und das Klima.

55
Prozent
der 220 Millionen Menschen in Nigeria nutzen inzwischen das Internet – vor allem mit Smartphones.

Die Bildschirme von Iliya Abba landen hingegen komplett beim nigerianischen Unternehmen Hinckley, einem Recyclingbetrieb für Elektroschrott. Es liegt am anderen Ende von Lagos im Stadtteil Lekki, knapp 70 Kilometer vom „Computer Village“ entfernt. „Bei uns kommen Geräte an, die sich nicht mehr reparieren lassen“, sagt Israel Olagunju, zuständig für die Bereiche Forschung und Produktionsaufsicht.

Olagunju führt durch die große Halle. Zunächst werden alle Geräte gewogen und gemessen. Anschließend stellen die Mitarbeiter*innen sie auf die lange Werkbank, die zwischen den Eingangstoren steht. Dort zerlegen vier Männer sie in Einzelteile. Zunächst lösen sie die Schrauben an der Ummantelung aus Plastik. Nach und nach tritt das Innenleben der Fernseher und PC-Bildschirme zum Vorschein. Sie bauen die Platinen aus, Lautsprecher, Kabel, Lampen und Metalle. Alle Teile werden auf verschiedene Stapel gelegt. Hier tragen alle Arbeitskleidung und Handschuhe. Für die beiden Frauen, die den Schredder bedienen, der die Plastikhüllen zerkleinert, sind zudem Schutzbrillen Pflicht.

Mohammed Umar gehört zu dem Hinckley-Team. Seit fünf Jahren arbeitet er für das Unternehmen. Er baut Fernseher, Bildschirme oder Lautsprecher auseinander: „Das geht alles zügig“, sagt er und zeigt auf die Einzelteile, die er heute schon ausgebaut hat. Umar ist froh über seinen festen Job. In Lagos ist das nicht selbstverständlich. Aber die Recyclingindustrie ist ein wachsender Arbeitsmarkt, weiß Mohammed Umar.

Sein Chef Olagunju bleibt stehen und zeigt auf das Plexiglas, das einst in einem Fernseher verbaut war. Auch das ist wertvoll, wie die vielen anderen Bestandteile der Bildschirme und Fernseher, die zurück in den Rohstoffkreislauf gehen. Das Plexiglas hat sogar eine ganz besondere Zukunft: Aus einigen Platten sind mittlerweile Gehäuse für Solarlampen entstanden. Nachhaltig Neues aus verschrottetem Altem – und das alles „made in Nigeria“.

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Mann entsorgt Gehäuseteile von Elektrogeräten

Mohammed Umar gehört zum Recycling-Team von Hinckley.

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Zwei Mitarbeiter einer Recycling-Firma unterhalten sich

Arbeiten gut zusammen: Oluwatobi Adegun von Verde Impacto und Israel Olagunju von Hinckley.

Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei:
SDG 3: Gesundheit und Wohlergehen SDG 8: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum SDG 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur SDG 12: Nachhaltige/r Konsum und Produktion SDG 13: Maßnahmen zum Klimaschutz