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Frauen bei Feldarbeit Momar Talla Cissé
Interview

„Wir haben es selbst in der Hand“

Susan Chomba ist die Direktorin von Vital Landscapes am World Resources Institute. Im Interview erläutert die Wissenschaftlerin, warum sie nicht am diesjährigen Klimagipfel COP28 teilnimmt und warum wir trotzdem alle die Hoffnung nicht verlieren sollten.

Interview: Friederike Bauer

Frau Chomba, Sie arbeiten schon seit vielen Jahren zum Klimawandel und zu Nachhaltigkeitsthemen. Wie ist Ihr Eindruck: Machen wir Fortschritte oder treten wir bloß auf der Stelle?

Wir machen Fortschritte, aber die Bilanz ist durchwachsen. Die Verwendung erneuerbarer Energiequellen hat im letzten Jahrzehnt zugenommen . Das ist eine gute Nachricht, aber der Wandel muss schneller vorangehen, denn wir müssen so rasch wie möglich aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. Trotzdem finde ich, dass wir vorankommen. Anders sieht die Lage bei den Ernährungssystemen und dem Naturschutz aus – und die erzeugen weltweit etwa 30 Prozent aller Treibhausgase. Wir sollten den immer stärkeren Verlust von Artenvielfalt und das Aussterben wichtiger Tierarten nicht aus dem Blick verlieren.

Was ist denn hier anders?

Wir hängen vor allem bei der Landwirtschaft hinterher: Wie wir Lebensmittel produzieren, verarbeiten, transportieren und verbrauchen, ist ganz und gar nicht nachhaltig. Überlegen Sie einmal: Der Verlust und die Verschwendung von Lebensmitteln verursachen etwa acht Prozent der weltweiten Klimagas-Emissionen. Wäre Lebensmittelverlust ein Land, käme es als Verursacher an dritter Stelle nach China und den USA. Mit der Lösung dieses Problems hätten wir also einen starken Hebel, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu vermindern und zugleich die Ernährungssicherheit zu verbessern.

Wie sieht es mit Maßnahmen zur Klimaanpassung aus?

Ein weiteres Feld, auf dem wir wirklich zu langsam sind. Im jüngsten „Global Stocktake“-Report wurde deutlich, dass die derzeitigen Maßnahmen zum Klimaschutz bei weitem nicht ausreichen, um den Temperaturanstieg auf höchstens 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Die Auswirkungen der Klimakrise sind real, werden immer heftiger und schwerwiegender. Wir müssen also mit den Folgen höherer Temperaturen umgehen und uns an neue Gegebenheiten anpassen. Besonders wichtig ist das für Entwicklungsländer, denn die sind am stärksten vom Klimawandel betroffen und haben normalerweise nicht die Mittel, sich anzupassen. Viele arme Gruppen und Gemeinschaften leiden bereits unter klimabezogenen Verlusten wie Viehsterben, Ernteausfällen oder verlieren sogar ganz ihre Existenzen. Beispiele dafür sind die Länder am Horn von Afrika, die abwechselnd von Dürren und Flutkatastrophen heimgesucht werden, aber neben anderen auch Länder wie Madagaskar, Mosambik und Malawi.

Glauben Sie, dass die Entwicklungsländer schon die Unterstützung bekommen, die sie benötigen?

Nein, das glaube ich nicht. Dabei brauchen sie Unterstützung, um widerstandsfähiger zu werden. Im Jahr 2009 kam man überein, bis 2025 jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar bereitzustellen, damit die ärmeren Länder sich besser anpassen können. Dieses Versprechen ist seitdem jedes Jahr und bei jedem Klimagipfel, an dem ich teilgenommen habe, gebrochen worden. Manche aktuellen Berichte deuten an, dass die wohlhabenden Länder das Zahlungsziel 2023 zum ersten Mal erreicht haben könnten, aber diese Berichte sind höchst umstritten, die Beweislage bleibt unklar.

Wie dem auch sei, die bisherige Unfähigkeit, diese Selbstverpflichtung seit 2009 einzuhalten, hat das Vertrauen zwischen Entwicklungsländern und Industrienationen nicht gerade gestärkt und war oft die Achillesferse bei den Verhandlungen auf vergangenen Klimagipfeln.

Was ist mit dem „Loss and Damage“-Fonds?

Bei der letzten COP in Ägypten war der große Fortschritt die Einrichtung dieses Ausgleichsfonds – um Länder zu unterstützen, die unter unumkehrbaren Folgeschäden der Klimakrise leiden. Das war hervorragend, aber die Einzelheiten müssen immer noch ausgearbeitet werden. Wir werden sehen, ob diese COP28 beim Fonds vorankommt oder ihn gar nicht beachtet. Die Ankündigung von Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten zum Auftakt der Konferenz, jeweils 100 Millionen US-Dollar in den Fonds einzuzahlen, war ein vielversprechender Anfang, aber wir brauchen mehr. Der Bedarf wird hier auf 580 Milliarden US-Dollar jährlich bis 2030 geschätzt und auf 1,7 Billionen US-Dollar jährlich bis 2050.

Besonders junge Menschen verlieren die Geduld mit dem Tempo der Klimapolitik. Teilen Sie diese Haltung?

Oh ja, auch wenn ich vielleicht nicht mehr jung bin. Wir haben jetzt den 28. Klimagipfel – eine unerfreuliche Erinnerung daran, dass wir schon seit 27 Jahren über den Klimawandel reden: viel Blabla und wenig Taten. Menschen, die damals bei der ersten COP geboren wurden, sind längst erwachsen. Haben vielleicht inzwischen selbst schon Familie und Kinder. Das ist ziemlich beunruhigend. Wir müssen also den Druck auf die Staatsoberhäupter der Welt hochhalten und ihnen klarmachen, dass es mit jedem verstreichenden Tag schwieriger und anstrengender wird, den Klimawandel umzukehren.

Was erwarten Sie vom diesjährigen Klimagipfel?

Leider nicht sehr viel, da Dubai Gastgeber ist. Wahrscheinlich wird die Öl-, Gas- und Kohleindustrie den Gipfel als Spielwiese nutzen, sich in die Foren drängen und falsche Lösungen anbieten. Aber ich bin ganz bewusste Optimistin und hoffe, dass ich unrecht behalte. Das Schlimmste wäre, wenn dieses Treffen bloß wieder eine Art Talkshow wäre, noch dazu in einem Land, das von fossilen Brennstoffen enorm profitiert hat. Das ist einer der Gründe, warum ich an diesem Gipfel nicht teilnehme.

Ist das eine Form des Protests?

Genau, eine Art persönlicher Protest. Kein offizieller. Ich finde es moralisch höchst problematisch, einen Klimagipfel in Dubai abzuhalten, weil das durchaus als Unterstützung für die fossile Brennstoffindustrie gedeutet werden kann. Es ist eine moralisch komplexe Lage, denn wir sind alle in diese Industrie verwickelt und an ihren Geschäften beteiligt. Wir fahren Autos, die mit fossilem Brennstoff angetrieben werden, und so weiter. Aber wir brauchen gewisse Richtlinien, die es uns leichter machen zu sagen: Wir führen keine Gespräche über die Klimakrise mit oder nehmen finanzielle Unterstützung an von den Systemen, die unsere Auslöschung vorantreiben. Da ziehen wir die Grenze.

Wir leben augenblicklich in einer Welt mit vielen Krisen. Inwiefern beeinflusst das unsere Fähigkeit, diesen Planeten klimafreundlicher zu gestalten?

Die Welt erlebt gerade eine doppelte Katastrophe, nämlich die Klimakrise und den Verlust der Artenvielfalt, die miteinander verknüpft sind. Darüber hinaus haben wir die Corona-Krise erduldet und sehen Konflikte und Kriege in der Ukraine, in Palästina und Israel, im Sudan, in Äthiopien und anderen Ländern. Das macht es sehr schwer, die Aufmerksamkeit auf den Klimawandel zu lenken. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Krieg in der Ukraine heftige Auswirkungen auf viele Ländern hatte und hat: einen Anstieg der Preise für Energie, Düngemittel und Lebensmittel. Konjunkturprogramme infolge der Pandemie und andere finanzpolitische Maßnahmen haben die Inflation in den meisten Entwicklungsländern in die Höhe schnellen lassen, die nun mitten in einer neuen Schuldenkrise stecken. Die Armut wird wahrscheinlich steigen und das Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele bis 2030 bleibt ein Wunschtraum.

Sehen Sie Möglichkeiten, mit Hilfe von Umwelt und Natur andere Wirtschaftskrisen abzufedern?

Die derzeitige Schuldenkrise betrifft viele afrikanische Länder. Sie untergräbt ihre Fähigkeit, den Klimawandel zu bekämpfen, eine umweltfreundliche Industrialisierung voranzutreiben oder grundlegend in Gesundheit, Bildung und Infrastruktur zu investieren. Im Rahmen der Klimaverhandlungen wurden Möglichkeiten diskutiert, vor allem Ländern mit hoher Biodiversität und geringer Entwaldung die Schulden zu erlassen oder sie zumindest abzufedern. Eines dieser Instrumente ist der sogenannte Debt-for-Nature-Swap, bei dem im Gegenzug für Naturschutz auf Schuldenrückzahlung verzichtet wird. Es ist notwendig, alle möglichen Instrumente zu prüfen, naturbasierte Lösungen eingeschlossen. Aber das muss zugleich mit einer Reform der globalen Finanzsysteme verbunden werden.

Glauben Sie, dass wir das 1,5-Grad-Ziel bis 2050 trotzdem erreichen können?

Jede wissenschaftliche Untersuchung sagt, dass es schwierig wird, die globale Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu halten. Eine realistischere Frage könnte lauten: Können wir die Erwärmung auf 2 Grad begrenzen oder nicht? Dennoch möchte ich nicht zur Weltuntergangsfraktion gehören. Wir haben es selbst in der Hand: Das berühmte Fenster der Möglichkeiten ist noch ein Stück weit offen. Aber wir müssen jetzt wirklich loslegen und endlich mehr transformative Veränderungen einleiten.

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Susan Chomba privat

Susan Chomba ist die Direktorin von Vital Landscapes am World Resources Institute („Weltressourceninstitut“, WRI). Damit leitet sie die Arbeit des WRI zu Ernährungssystemen, Land und Wasser in Afrika.

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