Digitalisierung – menschlich und fair gestalten
Warum sich die GIZ für freie Systeme im Netz einsetzt.
Ein Beitrag von Björn Richter, Cluster-Koordinator digitale Transformation
Gemeinsam für digitale öffentliche Güter
Eine neue Ära der digitalen Transformation ist bei der diesjährigen Vollversammlung der Vereinten Nationen eingeläutet worden: Hochrangige Repräsentanten von Staaten, der Zivilgesellschaft, aus dem Privatsektor und von Philanthropen kamen zusammen, um sich gemeinsam für digitale öffentliche Güter starkzumachen. Zur Umsetzung dieser ambitionierten Agenda wurden mehr als 300 Millionen US-Dollar bereitgestellt.
Unter den Teilnehmenden waren neben Bill Gates auch Weltbankpräsident David Malpass, der Leiter des UN-Entwicklungsprogramms Achim Steiner, diverse Staats- und Regierungschefs sowie für Deutschland Bärbel Kofler, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Ihr gemeinsames Anliegen hat wegweisenden Charakter, um mit Digitalisierung das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) überhaupt noch möglich zu machen.
Digitalisierung fair und demokratisch gestalten
Beim Einsatz für digitale öffentliche Güter geht es um den freien Zugang zu digitalen Anwendungen, damit Bürger*innen bessere Serviceleistungen erhalten, unabhängig von großen Firmen wie Google oder Huawei. Zudem geht es darum, die Digitalisierung fair und demokratisch zu gestalten. Hier stehen weder soziale Kontrolle, wirtschaftliche Interessen noch das Abschöpfen von Daten im Vordergrund, sondern der Zugang zu digitalen Plattformen, die Bürger*innen den Zugang zu bestimmten Leistungen ermöglichen und gesellschaftliche Aufgaben erleichtern. Das betrifft Anwendungen für alle Sektoren, beispielsweise für das Gesundheits- oder Bildungssystem, Register für Geburten oder den Bau von Häusern, aber auch für Passanträge, Steuererklärungen und andere Verwaltungsakte.
Wichtig ist, dass sie lizenz- und damit gebührenfrei betrieben werden und allen offenstehen. Das spart Kosten, ist inklusiv und stärkt das lokale Ökosystem. Auch lassen sich solche digitalen öffentlichen Güter auf Open-Source-Software von einem Regierungsbezirk zum nächsten, von einem Land ins andere transferieren. Sie sind mithin ausbaufähig, können vervielfältigt und durch das globale Ökosystem in ihren Wirkungen verbessert werden. Dadurch entsteht ein großes Lern- und Verbreitungspotenzial für gemeinsame Skalierungen.
„Unsere Unterstützung für digitale öffentliche Güter gestaltet Digitalisierung fair und menschenzentriert.“
Zum Wohle der Menschen
Deutschland stellte in New York die GovStack-Allianz vor, die Partnerländer beim Aufbau einer sicheren, vertrauenswürdigen und inklusiven digitalen öffentlichen Infrastruktur unterstützt. Ganz konkret entwickelt die GovStack-Initiative den ersten globalen Baukasten für die Digitalisierung von Verwaltungen und arbeitet dafür zunächst mit den Pilotländern Ägypten, Ruanda und Ukraine zusammen. Dort werden Prototypen digitaler Verwaltungsdienstleistungen entwickelt, um beispielsweise die Ukraine mit digitalen Registern beim Wiederaufbau zu unterstützen. Die GIZ setzt diese Initiative des BMZ unter anderem mit Estland, der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) und der Digital Impact Alliance (DIAL) um.
Globale Allianzen wie GovStack stehen für den besonderen Ansatz, den die GIZ bei diesem Thema verfolgt: Es geht um eine Digitalisierung zum Wohle der Menschen. Sie stehen im Zentrum aller Überlegungen; digitale Anwendungen sollen ihr Leben erleichtern, sie nicht überrollen. Und vor allem sollen Bürgerinnen und Bürger das Netz möglichst kostengünstig und sicher nutzen können. Deshalb unterstützt die GIZ ihre Partner dabei, faire Digitalisierung selbst zu gestalten, und steht damit im Einklang mit den menschenzentrierten Werten der Europäischen Union.
Mit Technologie voneinander lernen
Ein weiteres Beispiel ist die Lernplattform atingi, welche die GIZ im Auftrag der Bundesregierung entwickelt und aufgebaut hat: Hier geht es um Lerninhalte, die Menschen kostenfrei nutzen können. Mehr als 300 Kurse, vom Gastgewerbe bis zum Tourismus, von Berufsorientierungskursen bis E-Skills, bietet atingi mittlerweile an und hat bereits mehr als drei Millionen Menschen weltweit erreicht. Nach Abschluss einer Lerneinheit erhalten die Teilnehmenden ein digitales Zertifikat. Der wichtigste Partner dabei ist das Smart Africa Secretariat, ein Zusammenschluss von 30 afrikanischen digitalen Ministerien.
Dass das Lernen voneinander in der digitalen Welt in alle Richtungen funktioniert, zeigt auch SORMAS als digitales öffentliches Gut. Dies ist eine App zur Kontaktverfolgung und steht für „Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System“. Sie wurde mit Unterstützung Deutschlands in Nigeria als Antwort auf die Ebola-Epidemie erdacht und nach Beginn der Corona-Pandemie auf die neue Krankheit ausgeweitet. Mittlerweile kommt die App nicht nur in anderen afrikanischen Ländern zum Einsatz, sondern auch in mehr als 240 Gesundheitsämtern in Deutschland: ein perfektes Beispiel für umgekehrte Innovation.
Faire Digitalisierung für alle
Inzwischen setzt die GIZ neben GovStack, atingi und SORMAS sieben weitere globale Flagship-Initiativen zur Förderung fairer Digitalisierung um. Die Nachfrage aus den Partnerländern hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, das entsprechende GIZ-Team ist innerhalb weniger Jahre von sieben auf 180 Mitarbeitende gewachsen. Auch der Wert des Portfolios ist explodiert, von sieben auf rund 200 Millionen Euro – ein Hinweis darauf, wie groß der Bedarf ist.
Und das alles aus guten Gründen: Mit der Digitalisierung lassen sich Wirkungen verstärken; nur mit ihr sind die SDGs überhaupt erreichbar. Doch gerade die Länder des Globalen Südens sind dafür meist auf frei zugängliche Programme angewiesen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir hier als GIZ, Deutschland und Europa im Spiel bleiben und uns zwischen die großen Player schieben – als ehrlicher Makler mit soliden Werten statt mit wirtschaftlichen oder hegemonialen Absichten.