Einfach und dezentral unterstützen – das ist das Ziel des Vorhabens, das die GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umsetzt. Durch den russischen Angriffskrieg ist die Basisinfrastruktur vieler ukrainischer Städte und Gemeinden zerstört. Um diese wiederaufzubauen, setzt das Vorhaben auf bestehende und neue Partnerschaften zwischen deutschen und ukrainischen Städten, Landkreisen und Gemeinden. Es stellt Beschaffungspakete nach Themen wie Bauhofausstattung, Fahrzeuge, Medizingeräte oder Solarbeleuchtung. Diese werden an die deutschen Kommunen geliefert, welche den Transport in die ukrainischen Partnerkommunen organisieren. Das Vorhaben kooperiert mit dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Landkreistag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund sowie Engagement Global mit seiner Servicestelle Kommunen in der Einen Welt.
Eine starke Verbindung: deutsch-ukrainische Städtepartnerschaft
Wie eine Städtepartnerschaft dank jahrzehntelanger Stiftungsarbeit schnelle Hilfe in die Ukraine bringt – zu Besuch in Norddeutschland
Ein regnerischer Frühlingsmorgen in der Hansestadt Lüneburg. In den meisten der malerischen roten Backsteinhäuser am Stadtrand ist es noch ruhig, doch bei der Stiftung Hof Schlüter herrscht bereits reger Betrieb. Morgen ist ein wichtiger Tag: Der Transport eines Kleinbusses und eines 18-Tonners nach Bila Zerkwa in der Ukraine steht an. Und bis die Fahrzeuge vom Hof rollen können, gibt es einiges zu erledigen.
Inmitten des regen Treibens steht Mykola Dashkevych. Der Ukrainer, der von allen Kolja genannt wird, ist kein Mann der großen Worte, im Mittelpunkt zu stehen, ist nicht sein Ding. Er lässt lieber Ergebnisse sprechen. Er organisiert die letzten Formalitäten, spricht mit den Fahrern, die am Vorabend angekommen sind. Immer an seiner Seite ist seine Frau Tetyana Burkivska, kurz Tanja. Sie sind bald zwanzig Jahre zusammen, arbeiten gemeinsam für die Stiftung. Die beiden werden den Kleinbus in die Ukraine fahren.
Bis zum Beginn des russischen Angriffskriegs waren Kolja und Tanja das Verbindungsglied der Stiftung in der Ukraine. Sie organisierten vor Ort die bürokratischen Belange, sortierten Anfragen und begleiteten Transporte, zwei bis drei Mal im Monat. Am 7. März 2022 kamen sie nach Lüneburg. Die Entscheidung, aus Bila Zerkwa wegzuziehen, war hart. „Aber ich habe Kolja gesagt, dass er hier viel mehr ausrichten kann als dort“, sagt Tanja.
Tetyana Burkivska und Mykola Dashkevych
Partnerschaften stärken, Austausch fördern
Die beiden Fahrzeuge hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beschafft. Das Vorhaben stärkt kommunale Partnerschaften zwischen deutschen und ukrainischen Städten und Gemeinden und trägt so zum Bevölkerungsschutz und Wiederaufbau in der Ukraine bei. Die deutschen Städte bewerben sich auf Hilfspakete, wie zum Beispiel Kommunalfahrzeuge, Bauhofgeräte, medizinische Produkte oder Ausstattungen für Schulen. Die Überführung in die Ukraine organisieren die Städte, Landkreise und Gemeinden dann eigenständig oder mit Unterstützung der Zivilgesellschaft, wie hier mit Hilfe der Stiftung.
Neben den Sachgütern profitieren die Kommunen besonders vom Austausch, den die GIZ gemeinsam mit ihren Partnern ermöglicht. Sie können beispielsweise in einer regelmäßigen Runde praktische Fragen klären: Wer hat schon Erfahrungen mit Baufahrzeugen gemacht? Wie organisiert man einen Transport? Worauf ist an der Grenze zu achten? So geben die Beteiligten ihr Wissen untereinander weiter und auch zwischen den deutschen Städten, Landkreisen und Gemeinden entstehen neue, vertrauensvolle Netzwerke.
Doppelte Unterstützung für Bila Zerkwa
Bila Zerkwa ist eine der teilnehmenden Städte in der Ukraine. Die Stadt liegt rund 85 Kilometer südwestlich von Kiew. Zwar liegt sie nicht an der Front, versorgt jedoch viele Soldat*innen, die nachts ins ansässige Krankenhaus gebracht werden. Außerdem beherbergt sie seit Kriegsbeginn Binnenvertriebene. Viele von ihnen haben fast nichts dabei. Es fehlt an allem. Sie zu versorgen und zu integrieren, stellt die 230.000 Einwohner*innen von Bila Zerkwa vor große Herausforderungen.
Die Route von Lüneburg (Deutschland), über Lublin (Polen) bis nach Bila Zerkwa (Ukraine)
Darum hat sich die Stadt mit zwei deutschen Städten verbunden: seit Dezember 2022 durch eine Solidaritätspartnerschaft mit Braunschweig, seit März 2023 mit Lüneburg. Diese Konstellation ist eine Besonderheit. Auch die beiden deutschen Städte tauschen sich aus und koordinieren, wenn möglich, ihre Unterstützungslieferungen. So wie heute: Der Kleinbus geht über die Initiative Braunschweigs nach Bila Zerkwa, der 18-Tonner durch Lüneburg. Beide Gefährte werden gemeinsam durch die Stiftung Hof Schlüter überführt.
Diese gab auch den Impuls für die Solidaritätspartnerschaft mit Lüneburg. Die gemeinnützige Stiftung unterstützt Bila Zerkwa seit über 25 Jahren. Seit Beginn des Krieges 2022 hat sich das Engagement der ehrenamtlichen Helfer*innen noch einmal deutlich intensiviert, sie schickten bereits über 170 Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern in die Ukraine – von Bettwäsche bis zu Krankenwagen war alles dabei.
Keine Eitelkeiten
Die Zusammenarbeit innerhalb der Kommunalpartnerschaften ist ein Gewinn für alle Seiten. Die beiden deutschen Städte profitieren von den jahrelangen Verbindungen der Stiftung in die Ukraine und dem Wissen, wie man Hilfsgüter dorthin bringt. Denn trotz der großen Not vor Ort gilt es, viele bürokratische Hürden zu nehmen.
André Novotny leitet die Stiftung Hof Schlüter. Die Kooperation zwischen Lüneburg, Braunschweig und Bila Zerkwa ist auch für ihn etwas Besonderes: „Es gibt keine Eitelkeiten, niemand schaut darauf, besonders gut dazustehen. Alle arbeiten an dem gemeinsamen Ziel: möglichst gut Hilfe zu leisten.“
André Novotny, Vorstand der Stiftung Hof Schlüter
Arbeit ohne Ende
Dafür arbeitet auch Kolja unermüdlich. Morgens vor acht geht es los auf dem Hof: Anfragen bearbeiten, Spenden abholen, Fahrten organisieren. Abends zu Hause schläft er oft ein, bevor er etwas essen kann, sagt Tanja. Kolja lächelt. „Ist schon okay so, wir arbeiten für die Ukraine und das ist wichtig.“ Neben den Transporten haben sie zu Kriegsbeginn Kinder, Jugendliche und ihre Betreuer*innen aus dem Kinderheim von Bila Zerkwa nach Lüneburg gebracht. Auch für sie ist er da. Immer weitermachen, kein Stillstand.
Tanja und Kolja haben vier erwachsene Söhne. Einer lebt in Polen, zwei in der Ukraine. Einer von ihnen war erst mit in Lüneburg, doch nach 18 Monaten wollte er wieder nach Hause. Ihr jüngster Sohn ist noch hier, er hat eine Behinderung. Am Anfang war es sehr hart für ihn, berichtet Tanja: „Er hat viel geweint und gesagt, er will nach Hause.“
Inzwischen hat sich die Lage verändert. Er macht ein Praktikum bei der Lebenshilfe, hat eine gute Freundin gefunden und ist glücklich mit seinem Leben in Deutschland. Tanjas Eltern leben noch in Bila Zerkwa. Es ist kompliziert, sie ist hin- und hergerissen. Ob und wann sie wieder in die Ukraine ziehen, können die beiden nicht beantworten. Doch eins ist für Kolja ganz klar: „Unsere Seele ist in der Ukraine.“
Der Tag ist ein Wechselbad der Gefühle. Auf der einen Seite strahlt das Team eine große Freude und Herzlichkeit aus. Man kennt sich seit Jahren, Jahrzehnten sogar. Alle packen mit an, reißen Witze, wie alte Freunde eben. Dann wieder die andere Seite: Kolja zeigt ein Video von einem Friedhof, unzählige Fähnchen, jedes steht für einen Gefallenen. Stille macht sich breit.
Partnerschaft weiterdenken
André Novotny war im Herbst 2023 das letzte Mal persönlich in Bila Zerkwa. „Das Leben dort geht weiter. Die Kinder gehen zur Schule, nehmen den Luftalarm mittlerweile ohne Panik auf. Alle gehen ganz langsam runter in den Keller, sitzen da und lernen einfach weiter.“ In der aktuellen Situation gehe es vorrangig darum, die ukrainische Partnerstadt mit den wichtigsten Dingen zu versorgen: für Krankenhäuser, Bauhöfe, Schulen.
Ziel ist auch, die Solidaritätspartnerschaft irgendwann zur regulären Städtepartnerschaft weiterzuentwickeln. Denn die Ukraine ist ein interessanter Partner für kulturelle und auch für wirtschaftliche Verbindungen, erklärt André. In Bila Zerkwa gibt es einen großen Reifenhersteller, ein wachsendes Industrieareal, in der Region arbeiten gute Programmierer. Auch der Austausch von Wissen und Fachkräften über die Grenzen könnte spannend werden. Momentan lernen viele Ukrainer*innen Deutsch. Daraus können langfristige Verbindungen entstehen, von denen beide Länder profitieren. Der Grundstein ist gelegt, Vertrauen ist da. Jetzt hoffen alle auf baldigen Frieden.