Reportage
„Was erreicht Menschen?“
Arb Gjikolli muss noch keine Steuern zahlen, aber er kennt sich damit aus. Der Mittelstufenschüler aus dem kosovarischen Peja hat bei einem landesweiten Wettbewerb zu diesem nicht gerade leichten Thema mitgemacht. Mit seinem animierten Video hat der Jugendliche den ersten Platz belegt und dafür zu seiner Freude ein neues Tablet von der Steuerbehörde bekommen.
Wie Arb haben sich auch andere junge Menschen damit beschäftigt, weshalb Staaten solide Steuereinnahmen für funktionierende Gemeinwesen und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung brauchen. In Kosovo hat die Debatte der Schülerinnen und Schüler einen besonders wunden Punkt getroffen. Der jüngste Staat auf dem europäischen Kontinent ist für das Erreichen seiner Entwicklungsziele auf deutlich höhere Erlöse angewiesen, als er bisher erzielt hat: Zwischen 2011 und 2017 betrugen die gesamten Staatseinnahmen Kosovos nur 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und lagen damit deutlich unter dem Durchschnitt von 19 Prozent der Länder in Europa und Zentralasien.
Schattenwirtschaft bremst Entwicklung
Das 1,8 Millionen Menschen zählende Land steht zwei Dekaden nach dem Ende des Krieges immer noch vor großen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Herausforderungen. Es muss dringend in den nächsten Jahren in Infrastruktur, Bildung, Gesundheitswesen und in den Sozial- und Rechtsstaat investieren. Doch Einnahmen fehlen, auch, weil die Schattenwirtschaft weit verbreitet ist: Geschätzt gut ein Drittel aller Waren und Dienstleistungen Kosovos werden nicht versteuert. Einer von drei Beschäftigten arbeitet, ohne registriert zu sein. Das ist einer der höchsten Werte in Europa.
Vor diesem Hintergrund hat die Steuerverwaltung Kosovos (Tax Administration of Kosovo, TAK) 2018 die GIZ und die Weltbank um spezielle Unterstützung bei der Verbesserung der Steuerehrlichkeit gebeten. Die TAK setzte erstmals auf verhaltenswissenschaftliche Ansätze.
Neue Wege der GIZ
Die GIZ unterstützt schon seit längerem im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums die Finanzbehörden Kosovos. Zunehmend berücksichtigt sie bei der internationalen Zusammenarbeit auch systematisch verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse. „Was in der Vergangenheit oft intuitiv und aus Erfahrung eingeflossen ist, wird jetzt wissenschaftlich aufgearbeitet und sichtbar“, lobt Stefanie Teggemann, GIZ-Bereichsökonomin für Europa, Mittelmeer und Zentralasien, den neuen Ansatz. Aus den Erkenntnissen von Projekten auf den Philippinen, im Irak, Libanon und eben Kosovo lernt die GIZ für ihre künftige Arbeit weltweit.
In Kosovo haben sich TAK, Weltbank und GIZ gefragt, wie Bürgerinnen und Bürger dazu motiviert werden können, Steuern zu zahlen. „Es war spannend, weil wir weniger technisch vorgegangen sind. Wir wollten vielmehr wissen, was Menschen wirklich erreicht“, sagt Kadri Sternberg, die für die GIZ bis Ende 2020 für das Pilotprojekt zuständig war.
Die Behörde hat dann im Rahmen von Studien bereits registrierte Steuerzahlerinnen und -zahler angesprochen, um sie zur pünktlichen Abgabe der Steuererklärung und der Zahlung ihrer Abgaben zu bewegen. Bürgerinnen und Bürger wurden auf verschiedenen Wegen – E-Mails, SMS-Nachrichten, Briefe oder Anrufe – und mit unterschiedlichen Texten kontaktiert. Einige grundsätzliche Erkenntnisse verzeichnete das Team dabei: In Kosovo ist die Resonanz auf SMS-Nachrichten und Anrufe am besten. E-Mails wurden oft nicht geöffnet. Außerdem reagierten Menschen auf schlichte Erinnerungen ebenso wie auf ausführliche Appelle an die Steuerehrlichkeit. Die TAK musste zudem feststellen, dass viele ihrer Kontaktdaten nicht mehr aktuell waren. Eine präzise Datenbank ist künftig ein effektiver Weg, um mehr Steuerzahlerinnen und -zahler zu erreichen. Beim kurzfristigen Ziel der Studie, mehr Einnahmen zu generieren, konnte die Behörde in den ersten Wochen nach der Kontaktaufnahme einen Anstieg um bis zu vier Prozent bei den Steuererklärungen verzeichnen.
Lachen für grundlegenden Wandel
Wie aber erreicht man jene, die nicht registriert sind und bisher überhaupt keine Steuern zahlen. Der zweite Teil des Projekts widmete sich dieser Zielgruppe. Auch hier konnte das Weltbank- und GIZ-Team Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften einbringen und gesellschaftliche Debatten anstoßen: Etwa mit dem TAK-Schulwettbewerb, bei dem die Jugendlichen das Thema Steuern auch in ihre Familien und Freundeskreise tragen. Aktuell geht er in die zweite Runde und erreicht noch mehr Schülerinnen und Schüler. Oder mit Cartoons beliebter kosovarischer Künstler*innen, die mit Humor für Steuerehrlichkeit geworben haben: „Wenn über jene, die wohlhabend sind und keine Steuern zahlen, gelacht wird, kann das ein Umdenken bewirken“, sagt Kadri Sternberg. Für eine bessere Steuermoral braucht es vielfältige und kreative Ideen, langen Atem – und positive Erfahrungen von Bürgerinnen und Bürgern mit ihrer Regierung und staatlichen Dienstleistungen.
Fjolla Muja, Leiterin der Abteilung internationale Kooperation bei der TAK, weiß, dass ein Marathon vor der Steuerbehörde liegt. „Auch wenn wir noch in der Anfangsphase sind, wir sind auf dem richtigen Weg zu mehr Steuerehrlichkeit“, sagt sie, „mit den richtigen Werkzeugen und Kommunikationskanälen können wir das Verhalten in einem Zeitraum von sieben bis zehn Jahren ändern.“
Bis dahin will der Wettbewerbssieger und junge Steuerexperte Arb Gjikolli seine Ausbildung beendet haben und als Programmierer gut verdienen. Steuern muss er dann auch zahlen, aber das ist für den kosovarischen Schüler schon jetzt selbstverständlich. Daran lässt er keinen Zweifel.
akzente 11/21