Erklärt

Lernen aus der Pandemie

Die Bildungskrise als Chance zum Umdenken und Modernisieren nutzen – so lautet das Gebot der Stunde und der Anspruch der GIZ.

Text
Michael Holländer
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Julian Rentzsch

Michael Holländer

  MICHAEL HOLLÄNDER  

leitet das Kompetenz-Center Bildung der GIZ.
michael.hollaender@giz.de

Die weit verbreiteten Schulschließungen durch Covid-19 haben deutliche Spuren hinterlassen: verpasster Lernstoff, mangelnde soziale Kontakte und fehlendes Schulessen sind nur ein Teil der Folgen. Nachwirkungen bleiben auch, weil viele Kinder, vor allem Mädchen, erst gar nicht in die Schulen zurückkehren, wenn diese eines Tages wieder voll geöffnet sind. Weil Bildungsabschlüsse und damit Zukunftschancen verpasst werden, der Unterrichtsausfall zu psychischen und physischen Belastungen führt oder weil Kinder zu Hause nicht ausreichend geschützt sind.

Es sind viele Faktoren, die eine „verlorene Generation“ hervorbringen könnten, wenn nicht massiv eingegriffen und umgesteuert wird. Dabei hatte sich in den vergangenen Jahren in der Bildung vieles verbessert: So stieg die Einschulungsrate in den Entwicklungsländern von durchschnittlich 83 Prozent im Jahr 2000 auf 91 Prozent im Jahr 2015. Mit den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) weitete die internationale Staatengemeinschaft den Bildungsanspruch dann noch weiter aus. Jetzt sind neben dem Zugang die „inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung“ sowie „Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle“ als Ziel ausgegeben. Auch die Maßnahmen nach Verabschiedung der SDGs hatten Wirkung gezeigt und in vielen Ländern weitere Fortschritte entlang der gesamten Bildungskette hervorgebracht. Doch seit gut einem Jahr hat sich die (Bildungs-)Welt dramatisch verändert. Ein Teil des Unterrichts verlagerte sich ins Internet, aber davon konnten nicht alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen profitieren. Nach UN-Angaben blieb das digitale Lernen für mindestens 500 Millionen Kinder ein ferner Wunsch.

Damit sich die Krise nicht so entwickelt wie derzeit befürchtet, muss Bildung zu einem festen Bestandteil des nachhaltigen Wiederaufbaus werden. Aus GIZ-Sicht sind vor allem fünf Punkte zentral: Öffentliche Schulen müssen weiter im Mittelpunkt stehen. Sie resilient und krisenfest zu machen, ist eine große Aufgabe für die Nach-Corona-Zeit. Denn Privatschulen, die in Entwicklungsländern stark für sich werben, erreichen oft nur die Privilegierten. Bildung muss in die Breite gehen und alle Kinder und Jugendlichen mitnehmen, wie es auch die Menschenrechtserklärung vorsieht. Deshalb setzt sich die GIZ für starke öffentliche Schulsysteme ein und fördert sie nicht nur durch Beratung und Ausbildung, sondern auch durch gezielte Investitionen in Schulgebäude sowie in zeitgemäße Lehr- und Lernmaterialien.

Außerdem ist Schulhygiene ein wichtiger Faktor. Ohne sie bleibt die Wiedereröffnung von Schulen ein Risiko – nicht nur in Pandemiezeiten. Gut qualifizierte Lehrkräfte sind ebenfalls entscheidend und bilden das Herzstück jeder Bildungsanstrengung. Sie zu befähigen und mit dem nötigen Rüstzeug für einen hochwertigen und immer häufiger auch digitalen Unterricht auszustatten, ist ein weiteres Ziel der GIZ in ihrer Beratung. Aber Technologien müssen passen. Um jeden Preis Tablets auszuteilen, ohne das Umfeld vorher ergründet zu haben, ergibt wenig Sinn, zum Beispiel weil Strom oder digitale Kompetenzen fehlen. Schließlich gilt es, die Beziehung zwischen der Wirtschaft und den Bildungsverantwortlichen zu stärken und die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu legen. In der Pandemie haben sich vor allem Tech-Unternehmen und Schulbuchverlage für den Distanzunterricht engagiert; diese Verbindungen sollen erhalten und ausgebaut werden.

Die GIZ wird in diesem Sinne ihren Beitrag leisten und weiter gegen die Bildungskrise arbeiten. Wir waren schon vor den coronabedingten Schulschließungen vor allem in der Stärkung von Bildungssystemen, in der Grundbildung, aber auch in der Berufs- und Hochschulbildung engagiert. Wie zum Beispiel in Tunesien, wo wir die überbetriebliche Ausbildung mit der Privatwirtschaft vorantreiben. Oder in Malawi, wo wir das Schulsystem insgesamt fördern, etwa durch neue Lehrpläne, Lernmaterialien, Lehrkräfteausbildung und Schulspeisungen. Oder mit dem Programm „Fit for School“, das wir in diversen Ländern Asiens umsetzen. Dabei geht es um die Einführung von Hygienestandards an Schulen, die schon vor der Pandemie wichtig waren, durch Corona aber neue Bedeutung erlangten.

Dass Bildung zu jedem Wiederaufbauprogramm als wichtiger Bestandteil zwingend dazugehören muss, steht für uns außer Frage. Gelingt das in möglichst vielen Ländern, dann wäre Corona eine perfekte Gelegenheit, um die längst überfällige Modernisierung von Bildungssystemen voranzutreiben und sie damit wirklich ins 21. Jahrhundert zu katapultieren – diese Chance sollte nicht ungenutzt bleiben.

aus akzente 2/21

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