Interview

„Sie wollen unbedingt in die Schule zurück“

Alice Albright ist Geschäftsführerin der „Globalen Bildungspartnerschaft“, die sich für gute Bildung in Ländern mit niedrigem Einkommen einsetzt. Im Interview spricht sie über die enorme Bedeutung des Lernens und warum Kinder auf der ganzen Welt darauf brennen, zurück in die Schule zu dürfen.

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Britta Pedersen/dpa
Interview
Friederike Bauer

Die Corona-Pandemie hat der Bildung einen Rückschlag versetzt. Was sind die schwerwiegendsten Folgen?
Die Pandemie hat die größte Unterbrechung von Schulbildung verursacht, die wir je erlebt haben. Auf dem Höhepunkt waren 1,6 Milliarden Kinder nicht in der Schule, fast die Hälfte davon in Ländern mit niedrigem Einkommen. Am härtesten davon getroffen wurden die verletzlichsten Kinder und Jugendlichen der Welt. Bereits jetzt können wir beobachten, dass Corona die Ungleichheit verschärft hat. Hunderte Millionen Kinder, die auf Schulessen angewiesen sind, hatten keine verlässliche Mahlzeit mehr am Tag. Auch könnte die Pandemie mehr als 100 Millionen Menschen in extreme Armut treiben. Je länger Schulunterbrechungen dauern, desto wahrscheinlicher ist es, dass Kinder nie wieder zurückkehren. Bis zu 20 Millionen Mädchen brechen wegen einer frühen Heirat oder Teenager-Schwangerschaft womöglich die Schule ab. Zudem könnten Millionen in Kinderarbeit gezwungen werden, um ihre Familien zu unterstützen.

„Langfristig gesehen unterstützen Investitionen in Bildung den Aufbau friedlicher und inklusiver Gesellschaften.“

Was bedeutet das für den sozialen Zusammenhalt von Gesellschaften?
Schulen bieten nicht nur eine sichere, fürsorgliche und förderliche Lernumgebung. Kinder können dort auch besondere Fähigkeiten erwerben, wie kritisches Denken, Zusammenarbeit mit anderen und Probleme lösen. All das sind wichtige Werkzeuge, um in einer zunehmend globalisierten Welt zu bestehen. Langfristig gesehen unterstützen Investitionen in Bildung den Aufbau friedlicher und inklusiver Gesellschaften. Je stärker und gerechter das Bildungssystem eines Landes ist, desto mehr lernen seine Kinder heute und desto mehr verdienen sie in der Zukunft. Für viele Kinder ist Schule mehr als ein Ort des Lernens. Schulen sind Lebensadern, die Mahlzeiten, Gesundheitsdienste, Sicherheit – und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft bieten.

Lässt sich das vierte Nachhaltige Entwicklungsziel (SDG) überhaupt noch erreichen?
Tatsächlich hat die Corona-Pandemie weltweit große Auswirkungen, die alle SDGs gefährden. Daher arbeiten wir mit unseren Partnerländern zusammen, um deren Bildungssysteme zu reformieren und einen dauerhaften Wandel für die Kinder zu bewirken. Wenn zum Beispiel alle Mädchen und Jungen eine Grund- und Oberschule besuchen können sollen, brauchen Regierungen umfassende und inklusive Pläne für den Bildungssektor, der alle Anstrengungen bündelt. Nur durch Zusammenarbeit lassen sich die im vierten SDG gesetzten Ziele erreichen.

Alice Albright - Die US-Amerikanerin ist seit 2013 Geschäftsführerin der „Globalen Bildungspartnerschaft“. Zuvor war sie in der Obama-Regierung Chief Operating Officer der Export-Import Bank of the United States.
Alice Albright - Die US-Amerikanerin ist seit 2013 Geschäftsführerin der „Globalen Bildungspartnerschaft“. Zuvor war sie in der Obama-Regierung Chief Operating Officer der Export-Import Bank of the United States.

Welche Maßnahmen müssten so schnell wie möglich ergriffen werden, um Abhilfe zu schaffen?
Regierungen müssen sicherstellen, dass Schülerinnen und Schüler in Verbindung mit Bildung und Lerninhalten bleiben. Solange die Schulen geschlossen sind, müssen sie weiterlernen können und motiviert bleiben. Die „Globale Bildungspartnerschaft“ hat 66 Länder mit insgesamt mehr als einer halben Milliarde US-Dollar unterstützt, um auf die Veränderungen im Bildungssektor durch Corona zu reagieren. Die Gelder wurden genutzt, um Kindern Angebote für Distanzunterricht zu machen, zum Beispiel über Radio, Fernsehen oder die Bereitstellung von schriftlichen Lehrmaterialien. Zudem wurden Lehrerfortbildungen zu neuen Lehrmethoden finanziert und Schulen so ausgerüstet, dass sie sicher wieder öffnen können.

Alle sprechen vom Wiederaufbau nach der Pandemie. Welche Rolle kommt dabei der Schulbildung zu?
Wenn Staaten Pläne zum Wiederaufbau und dem Umgang mit der Pandemie entwerfen und umsetzen, muss Bildung ganz oben auf ihrer Liste stehen. Durch die Wiedereröffnung der Schulen können Länder zurück aufs richtige Gleis kommen und Kindern ein dringend notwendiges Gefühl von Normalität geben. Investitionen in Bildung helfen bestimmten Bevölkerungsgruppen, aus der Armut zu kommen, und schützen die am meisten gefährdeten Kinder davor, abgehängt zu werden. Alle Mädchen und Jungen sollten die Chance haben zu lernen. Zudem ist Bildung die beste Investition in eine nachhaltige, friedliche und widerstandsfähige Zukunft.

„Entwicklungszusammenarbeit ist entscheidend dafür, dass Länder effektive und effiziente Bildungssysteme aufbauen können.“

Was könnte in diesem Zusammenhang getan werden, um Bildungssysteme widerstandsfähiger zu machen, auch im Hinblick auf zukünftige Erschütterungen?
Für eine Erholung nach der Corona-Pandemie müssen Regierungen sicherstellen, dass Bildungssysteme politisch und finanziell eine Priorität bleiben. Bildungsetats gilt es im Wettstreit um begrenzte Ressourcen als Folge der Pandemie zu verteidigen. Auch sollten Schulen die Möglichkeiten des Distanzunterrichts langfristig in ihren Alltag integrieren, Hygienestandards beachten und Lehrkräfte dazu befähigen, neue Lehrmethoden anzuwenden. Durch solche Reformen der Bildungssysteme sind sie gegen künftige Krisen besser gewappnet.

Wie wichtig ist Entwicklungszusammenarbeit für die Stärkung von Bildungssystemen?
Entwicklungszusammenarbeit ist entscheidend dafür, dass Länder effektive und effiziente Bildungssysteme aufbauen können. Durch besser koordinierte Anstrengungen im Bildungssektor können Geber dazu beitragen, allen Kindern schneller eine hochwertige Bildung zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen nationale Regierungen echte Veränderungen auf den Weg bringen. Die internationale Hilfe sollte Anreize für solche Reformen schaffen und sie befördern. Im Juli hatten wir zum „Globalen Bildungsgipfel“ eingeladen. Dort haben wir die führenden Politikerinnen und Politiker der Welt aufgefordert, ihre Hand zu heben – #RaiseYourHand – und sich zu einer Unterstützung von mindestens fünf Milliarden US-Dollar für Bildungssysteme in bis zu 90 Ländern und Territorien zu verpflichten.

Gibt es etwas, das Sie während der Covid-19-Krise in Bezug auf Bildung besonders beeindruckt hat?
Wenn ich mit Schülerinnen und Schülern über die Auswirkungen der Pandemie spreche, höre ich regelmäßig eins: dass sie es kaum erwarten können, wieder zur Schule zu gehen. Kindern auf der ganzen Welt ist klar, wie wichtig Bildung für ihre Zukunft ist. Sie kann sie aus der Armut befreien, ihnen zu einem Job verhelfen und sie befähigen, aktive und engagierte Mitglieder der Gesellschaft zu werden. Jedes Kind verdient die Möglichkeit, zu lernen und die notwendigen Fähigkeiten zu erlangen, damit es seine Träume verwirklichen kann.

aus akzente 2/21

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