Kulturerbe
Albanische Schätze
Mit einem „Klatsch“ landet die Mischung aus Ziegenhaar und Kalk auf der 300 Jahre alten Wand. Majlinda Çuka verschmiert die Masse mit ihrem Spatel konzentriert auf dem Unterputz. Sie steht auf einem Gerüst und arbeitet an einem historischen Schatz: Die Albanerin restauriert zusammen mit anderen Handwerkerinnen und Handwerkern eines der weißen Häuser von Berat. Die zentralalbanische Stadt gehört mit drei kompakten Altstadt-Quartieren, vielen Moscheen und Kirchen zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten des südosteuropäischen Landes. 2008 wurde Berat der Titel „UNESCO-Weltkulturerbe“ verliehen. Typisch sind die Kopfstein-Viertel mit ihren alten Häusern und den schier endlosen Fensterreihen.
Deshalb wird Berat auch die „Stadt der 1.000 Fenster“ genannt und wurde bereits vom ehemaligen Regime unter Enver Hoxha zur Museumsstadt erklärt. Damals kümmerten sich spezialisierte Handwerker in sogenannten Ateliers um ausgewählte historische Orte. Doch diese Zeugnisse der Geschichte des Landes gerieten nach dem Sturz des Kommunismus 1990 und in der schwierigen Übergangszeit aus dem Blick. Die junge Demokratie Albaniens kämpfte und kämpft noch mit vielen anderen Problemen, etwa Korruption oder Jugendarbeitslosigkeit.
Es geht um mehr als nur um Steine
Steinerne Schätze verfielen, die ehemals sehr angesehenen Meister der Restauration verloren ihr Einkommen und kommerzielle Interessen dominieren. Doch gerade in unsicheren Zeiten ist der Erhalt des kulturellen Erbes wichtig, betont Lejla Hadžić von „Cultural Heritage without Borders Albania“ (CHWB).
Diese Nichtregierungsorganisation hat sich dem Erhalt historischer Orte und der Friedensarbeit auf der Balkanhalbinsel verschrieben. Ihr Name bedeutet „Kulturerbe ohne Grenzen“ und sie ist außer in Albanien auch in anderen Ländern der Region aktiv.
Im Auftrag des Landes Hessen unterstützt die GIZ seit 2016 CHWB bei dem Qualifizierungsvorhaben in Albanien. Rund 130 Handwerkerinnen und Handwerker wurde seither als Stuckateure, Zimmerleute und Steinmetze fortgebildet. Darunter waren rund 25 Prozent Albaner, die nach ihrer Flucht in andere Länder inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Zertifikate der Restaurationskurse belegen ihre besondere Qualifikation für historische Stätten schwarz auf weiß.
Bei der Restauration alter Stätten werden neue Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft geknüpft und den Menschen wird Sicherheit vermittelt. „Kulturelles Erbe ist überall um uns herum, es hat uns geformt und zu dem gemacht, was wir sind. Wenn es verschwindet, verunsichert uns das“, sagt Lejla Hadžić. Außerdem will die Organisation das Fachwissen der Meister erhalten und an jüngere Handwerkerinnen und Handwerker weitergeben, damit sie eine berufliche Perspektive in ihrer Heimat bekommen.
Ausgebildet wurde die Handwerkerinnen und Handwerker von erfahrenen Meistern wie Jorgji Fani aus Berat. Seit 45 Jahren arbeitet der Albaner in historischen Gebäuden.
Der gelernte Steinmetz hat auch in den anderen Sparten jede Menge Fachwissen angehäuft. Fani ist Lehrmeister von Majlinda Çuka, eine der wenigen Frauen in den Restaurationsteams. Die 46-Jährige ist diplomierte Fresken- und Ikonenmalerin. Doch von Gelegenheitsaufträgen für kunstvolle Heiligenbilder kann sie das Leben für sich und ihre zwei Kinder nicht finanzieren. Deshalb hat sie sich für die zusätzliche Qualifikation als Stukkateurin und Holzexpertin in Berat entschieden. Und das, obwohl sie in der rund 100 Kilometer entfernten albanischen Hauptstadt lebt. Jeden Morgen fährt sie um 6.10 Uhr mit dem Bus nach Berat. Und abends nach der Rückkehr um 17 Uhr wartet noch der Zweitjob in der Bibliothek der großen orthodoxen Kathedrale mitten in Tirana auf sie.
„Ja, es ist eine große Belastung, aber mit der zusätzlichen Qualifikation und dem Zertifikat habe ich eine bessere Perspektive für Jobs – auch bei Freskenarbeiten“, sagt Majlinda Çuka. Außerdem mache ihre die Arbeit mit „ihrem Meister Jorgji“ und den Kolleginnen und Kollegen Freude. Während sie die Wand im ältesten Teil des Gebäudes verputzt, hämmern und sägen nebenan die Zimmerleute an einer verzierten Holzdecke.
Im Erdgeschoss sind weiße Kalksteine schon verbaut, jetzt werden die Fugen gefüllt. Hier packen viele Hände an, um aus der noch vor wenigen Monaten verfallenen Ruine ein Schmuckkästchen zu machen. Und wenn gelegentlich Touristen auf ihrer Tour durch die Gassen von Berat hinter die weißen Steinmauern schauen, sind die Handwerkerinnen und Handwerker schon etwas stolz auf das, was sie leisten. Und hoffen, dass sich ihre Arbeit für alle auszahlt.
Oktober 2018
Ansprechpartnerinnen:
Martina Ebensen, martina.ebensen@giz.de
Lejla Hadzic, lejla.hadzic@chwb.org