Die GIZ setzt sich weltweit für eine Berufsbildung ein, die Menschen für den grünen Arbeitsmarkt fit macht. In Namibia entwickelt die GIZ etwa im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Europäische Union (EU) Kurzkurse für Weiterbildung in den Bereichen grüner Wasserstoff, Wind- und Solarenergie. Außerdem konzentriert sich das Projekt darauf, behördliche Strukturen und die Qualifikation von Ausbilder*innen zu verbessern sowie die berufliche Aus- und Weiterbildung besser an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes anzupassen.
Alle Augen auf Lüderitz
Grüner Wasserstoff soll Namibia Wohlstand bringen und der Welt den Antrieb für eine klimaneutrale Wirtschaft. Unterwegs im Südwesten des Landes, wo eine der weltweit größten Wasserstoffanlagen entstehen soll.
Die Geistersiedlung Kolmanskuppe ist für Phillipus Balhao Warnung und Ansporn zugleich. Dort, wo jetzt verlassene, sandverwehte Häuser in der Wüste stehen, entstand Anfang des 20. Jahrhunderts die Diamanten-Boomtown Afrikas. Doch nachdem die Edelsteinfelder abgebaut waren, verfiel die Siedlung.
Balhao ist Bürgermeister von Lüderitz. Die Hafenstadt im Süden Namibias liegt nur zehn Kilometer von Kolmanskuppe entfernt. Und hier will keiner die Fehler der Vergangenheit wiederholen. „Wir wollen ein Vorbild sein“, sagt er, „eine Fallstudie für Stadtplaner.“ Das heißt: „Wie man es richtig macht und zum Wohle der Menschen.“
In der Gegend von Lüderitz soll in den kommenden Jahren eine der größten Windkraft-, Solar- und Wasserstoffanlagen der Welt entstehen, inklusive Entsalzungsanlage und Tiefseehafen. Balhao, die Stadträte und die Stadtverwaltung sind entschlossen und bereit, die Chancen zu nutzen, die sich gerade auftun.
Aber was heißt schon bereit? Allein die Zahl der angekündigten Arbeitskräfte für das Megaprojekt ist genauso groß wie die Zahl der bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner von Lüderitz: rund 20.000 Menschen. Begleitende Familienangehörige nicht eingerechnet oder Menschen, die in Erwartung einer Anstellung auf gut Glück in die Bucht am Atlantik kommen werden.
Berufsbildung für grüne Energie
Grüne Energieversorgung und gerechte Kooperation
Seit zwei Jahren ist die Stadt, die auf Übersichtskarten des Landes oft gar nicht eingezeichnet ist, Hoffnungsträger für Namibia – und die europäische Wirtschaft. Der Grund: grüner Wasserstoff. Bei der Weltklimakonferenz 2021 in Glasgow hatte Namibias Präsident Hage Geingob angekündigt, eine Fläche – doppelt so groß wie das Saarland – für die Herstellung grünen Wasserstoffs zu erschließen. Der Anspruch sei, „das Leben vieler Menschen in unserem Land, in der Region und sogar in der Welt zu verändern“, sagte Geingob später. Lüderitz soll nichts Geringeres sein als das Modell für eine gerechte Kooperation zwischen Globalem Norden und Süden.
Die Gegend bietet weltweit mit die besten Bedingungen für die Stromerzeugung aus Windkraft und Sonnenenergie – und damit für die klimafreundliche Wasserstoffherstellung. Im ersten Schritt sollen hier in spätestens fünf Jahren 300.000 Tonnen grüner Wasserstoff pro Jahr produziert werden – in etwa ein Zehntel des für 2030 erwarteten Jahresbedarfs von Deutschland.
Von der Wüste bis zum Hafen von Lüderitz: geplante grüne Wasserstoff-Produktion im Süden Namibias
Fokus auf sozioökonomischer Entwicklung
Windräder und Photovoltaik sollen so viel Energie bereitstellen wie fünf bis sieben Atomkraftwerke. Zum Vergleich: Der derzeitige Stromverbrauch Namibias macht nur etwa ein Elftel davon aus. Und all das soll nur der Anfang sein. Weitere Ausbaustufen sehen eine Verzehnfachung der Wasserstoffproduktion bei Lüderitz vor. Damit stünde reichlich für den Export zur Verfügung – umgewandelt in Derivate wie Ammoniak.
Doch Namibia will nicht nur Energielieferant für die grüne Weltwirtschaft sein, der Fokus liegt auf der sozioökonomischen Entwicklung des Landes. Unter anderem werden neben vielen neuen Arbeitsplätzen auch deutlich höhere Steuereinnahmen durch den Betrieb des Wasserstoffwerks erwartet.
James Mnyupe, Wasserstoffbeauftragter der Regierung und Berater des Präsidenten, betont, dass es um noch mehr geht. „Wahrer langfristiger Wohlstand hängt nicht nur von den natürlichen Ressourcen eines Landes ab, sondern vielmehr von der Fähigkeit des Landes, diesen Ressourcen einen Mehrwert zu verleihen, der das Leben der Bürger verbessert“, sagt er. Wirtschaftliche Diversifizierung und grüne Industrie sind die Schlagworte.
Partnerschaft auf Augenhöhe
Simon Inauen, GIZ-Experte für erneuerbare Energie, kennt Mnyupe gut; sie arbeiten seit einem Jahr zusammen. „Grüner Wasserstoff ist kein reines Energiethema“, sagt er, „das Thema ist interdisziplinär.“ Inauen kam vor drei Jahren für die GIZ nach Namibia. Eigentlich ging es um dezentrale Stromerzeugung mit erneuerbarer Energie in ländlichen Gebieten. Doch als sich der Beratungsbedarf der namibischen Regierung änderte, änderte sich auch sein Aufgabenfeld.
Inzwischen laufen bei Inauen fünf Projekte im Bereich erneuerbare Energie und grüner Wasserstoff im Auftrag der Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie der EU zusammen. „Wasserstoff bietet die Möglichkeit für eine Partnerschaft auf Augenhöhe“, sagt Inauen. Namibia hilft Deutschland und der EU, ihre Klimaziele zu erreichen, umgekehrt unterstützt Deutschland Namibia dabei, die Entwicklung nachhaltig und sozial gerecht zu gestalten.
Das Besondere am Thema grüner Wasserstoff ist der Ansatz, die verschiedenen Stränge der Entwicklungszusammenarbeit zusammenzuführen. Wasserstoff ist einerseits ein neues Umfeld, für das Staaten die Rahmenbedingungen erst setzen müssen. Die Beratungsarbeit umfasst daher unter anderem Produktionsstandards und Sicherheitsvorschriften für den Transport sowie gesetzliche Grundlagen für den Aufbau von Wertschöpfungsketten und Zubau erneuerbarer Energie.
Gleichzeitig sind die Themenfelder altbekannt. Die GIZ unterstützt mit Trainings für Ministerien und Studien zu Jobanforderungen, Landnutzung, Lieferketten und Wertschöpfungsmöglichkeiten. Auch der Ausbau erneuerbarer Energien, die Stromversorgung ländlicher Gegenden, Stadtentwicklung, Berufsbildung und nicht zuletzt der Umweltschutz spielen wichtige Rollen.
Lüderitz soll der Welt nun zeigen, wie sich all das verbinden lässt. Umweltschutz vor Ort, Klimaschutz für den Planeten, Export, Stärkung der heimischen Wirtschaft. Zurück also in die Hafenstadt. Sie ist einer der wenigen Zugänge zum Atlantik in einer Wüste, deren Dünen bis ans Wasser reichen. Nur eine Straße führt hinaus, die nächste Stadt liegt 350 Kilometer entfernt im Landesinneren.
Bei Lüderitz kommt Stadtplaner*innen leicht „Dornröschenschlaf“ in den Sinn, wenn sie den abblätternden bunten Putz der Kolonialbauten aus dem 19. Jahrhundert sehen. Viele der Einwohner*innen wohnen allerdings außerhalb des bunten Ortskerns in dicht aneinandergedrängten Wellblechhütten; überall dort, wo Hügelkuppen ein bisschen Schutz vor dem Wind bieten. Er macht die Gegend mit Geschwindigkeiten von elf bis zwölf Metern pro Sekunde so attraktiv für Windräder – an der Nordsee ist die Brise um die Hälfte schwächer. Doch für die Menschen hier im Südwesten Namibias ist er eine Belastung.
Versprechen auf ein besseres Leben
Bürgermeister Balhao hat ein klares Ziel: „Wir sind hier, um einen positiven Einfluss auf das Leben der Menschen zu haben“, sagt er. Die Kommune hat in den informellen Wellblechsiedlungen öffentliche Toiletten gebaut, die nächstgelegene Schule ist zu Fuß erreichbar. Sie bereitet Baugebiete vor, die etwas Platz für größere Grundstücke und auch Spielplätze bieten, sowie Wasser- und sichere Stromanschlüsse.
Industrie und Arbeitsplätze sind Versprechen, die hier allen Hoffnung machen. Doch bisher sind Stadtverwaltung und Infrastruktur auf eine Kleinstadt ausgelegt, der Haushalt umfasst umgerechnet neun Millionen Euro. Nicht nur das Wasserstoffprojekt ist gigantisch, auch die Herausforderungen für Lüderitz sind es.
Die namibische Regierung hat die Wasserstoffproduktion und die begleitenden Maßnahmen an ein privates Konsortium vergeben. Allein in der Bauphase werden 15.000 Arbeitende gebraucht. Ob sie bei den Baustellen untergebracht werden und nur am Wochenende nach Lüderitz kommen, um auszugehen oder einzukaufen? Oder ob sie doch in Konkurrenz um den Wohnraum treten und dadurch die Preise steigen? Diese Fragen sind nur Beispiele für die großen Unwägbarkeiten – und die Zeit drängt. Die Bauarbeiten für die Wasserstoffproduktion sollen 2025 starten.
Die GIZ wird im Auftrag der Bundesregierung die Stadtverwaltung von Lüderitz dabei unterstützen, das erwartbar schnelle Wachstum zu lenken und die Entwicklung zu gestalten, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Die Geisterstadt Kolmanskuppe in der Wüste vor Lüderitz ist das Überbleibsel des kurzen Diamantenrausches in der ehemaligen deutschen Kolonie. Präsidentenberater Mnyupe ist sich aber sicher: „Dies ist nicht Kolmanskuppe. Der große Unterschied besteht darin, dass wir hier eine unendliche Ressource abbauen.“ Und die Menschen vor Ort einbinden sowie die Umwelt im Blick haben.
Umweltschutz im Blick
Namibia verankerte Umweltschutz als erstes afrikanisches Land in der Verfassung; heute stehen 44 Prozent der Landesfläche, inklusive der gesamten Küstenlinie, unter Schutz. Auch die geplanten Wind- und Solarparks, die Wasserstoffproduktion, der Hafen und die Entsalzungsanlage rund um Lüderitz liegen in einem Nationalpark. Das angrenzende Meeresgebiet ist Namibias bisher einziges Meeresschutzgebiet. Die GIZ berät im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) die Benguelastromkonvention und ihre Vertragsstaaten Angola, Namibia und Südafrika bei der Planung im Meeresraum. So soll die nachhaltige Nutzung bei gleichzeitigem Schutz der wichtigen Biodiversitätsgebiete erreicht werden. Künftig wird auch die Region um Lüderitz berücksichtigt.