Naturkatastrophen, die Folgen der Corona-Pandemie, gesellschaftliche Instabilität: Die Region „Somaliland“ ist von multiplen Krisen betroffen. Das Projekt „Verbesserung des Katastrophenrisikomanagements und der Ernährungssicherung zur Stärkung der Resilienz in ‚Somaliland‘“ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) adressiert diese Krisen. Und setzt sich zusätzlich dafür ein, dass die wirtschaftliche, politische und soziale Teilhabe von Frauen und jungen Menschen erhöht wird.
Wo Mais und Hirse sprießen
Die Lebensbedingungen am Horn von Afrika sind harsch. Wie Menschen in dieser von Krisen erschütterten Gegend unterstützt werden können, zeigt ein Besuch in der Region „Somaliland“.
Mit geübten Griffen rührt Shukri Yusuf Ali den Brotteig an. Das Getreide dafür hat sie selbst angebaut: Sorghumhirse. Nach dem Anrühren muss der Sauerteig einige Stunden ruhen, bevor Yusuf Ali ihn auf einer heißen Platte über dem Holzkohlefeuer ausbacken kann. Das Warten fällt ihr leicht, denn für heute hat sie schon genug Fladenbrote, um ihre Familie satt zu kriegen.
Überhaupt bereitet es ihr längst nicht mehr so viel Kopfzerbrechen wie früher, ihre sechs Kinder, ihren Mann und sich selbst zu ernähren. Denn seit drei Jahren hält sie nicht nur einige Ziegen, sondern bestellt auch Felder. Zwei Hektar hat sie insgesamt. „Früher konnte ich meinen Kindern fast nur Reis oder Pasta anbieten“, sagt die 32-Jährige. Beides habe sie kaufen müssen. „Jetzt essen wir außer Sorghum auch Gemüse und Schwarzaugenbohnen.“
Alles, was auf die Teller kommt, hat Yusuf Ali selbst angebaut. Die Bohnen enthalten viel Protein, sind also ausgesprochen nahrhaft. Tomaten, Zwiebeln und Wassermelonen baut sie auch an, für den Verkauf. Damit erzielt sie ein Einkommen, je nach Erntemenge bis zu 120 Euro im Monat.
Treffen der dörflichen Gemeinschaftsgruppe in Derimara
Die Kleinbäuerin wohnt mit ihrer Familie in Derimara in „Somaliland“. Die nach Unabhängigkeit strebende Region gehört offiziell zu Somalia. Sie liegt im Nordwesten des Landes. Die Menschen leben dort unter widrigen Bedingungen, die Krisen sind mannigfaltig: Die Sicherheitslage sowie staatliche Institutionen sind aufgrund der politischen Lage fragil. Die Corona-Pandemie und die gestiegenen Lebensmittelpreise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben die Versorgungslage verschärft. Und der Klimawandel wirkt sich am Horn von Afrika längst aus.
Das haben auch die Menschen im Dorf Derimara erlebt, die traditionell Pastoralisten waren: Sie lebten also ausschließlich von ihren Tieren, mit denen sie auf der Suche nach Weidegründen umherzogen. Die Dürren der vergangenen Jahre haben die Viehzüchter gezwungen, ihre Lebensweise zu verändern. „In den extremen Trockenzeiten haben viele ihre gesamten Herden verloren“, berichtet Aden Eid Qalomi. Er ist Landwirtschaftsberater bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH. Seit 2019 zeigt er Menschen rund um Derimara die Grundlagen der Landwirtschaft und bringt für den Start der Kleinbetriebe auch Arbeitsgeräte und verbessertes, lokales Saatgut mit.
Nach dem Verlust der Tiere hatte das Projekt zunächst auch den Wiederaufbau von Herden unterstützt. Doch schnell sei klar gewesen, dass das ausschließliche Vertrauen auf die halbnomadische Tierhaltung in Zeiten der Klimakrise lebensgefährlich sei, erklärt Eid Qalomi. Denn Wetterextreme treten am Horn von Afrika immer häufiger auf. Für die Tiere sind lange Dürreperioden ebenso gefährlich wie die oft eiskalten Starkregenfälle, die gerade auf lange Trockenzeiten folgen. Die ausgezehrten und geschwächten Tiere erfrieren manchmal zu Hunderten in einer Nacht. Und wenn ihre Herden sterben, ist in der harschen Umwelt „Somalilands“ auch das Leben ihrer Besitzer*innen in Gefahr.
Dass in einer solchen Situation ausgerechnet Landwirtschaft einen Ausweg bieten kann, klingt im ersten Augenblick überraschend. Denn die nomadische Viehhaltung braucht weniger Wasser als der Ackerbau. Und nur zehn Prozent der Fläche von „Somaliland“ sind überhaupt landwirtschaftlich nutzbar. Das Klima ist heiß und trocken, viele Gebiete sind gebirgig und es gibt kaum Humus, also wertvollen Erdboden.
Dennoch gibt es Potenzial. Die Gegend um Derimara gehört zu den fruchtbaren Flecken in „Somaliland“. Im Juni stehen Sorghumhirse und Mais auf den Feldern übermannshoch, die Pflanzen wirken kräftig und gesund. Vor allem Erstere ist fast erntereif. Bis vor drei Jahren blieben diese Flächen weitgehend ungenutzt, kaum jemand hatte Erfahrung mit dem Ackerbau.
„Früher war es sehr ungewöhnlich, dass eine Frau Getreide anbaut, aber inzwischen ist das kein Problem mehr.“
In Zusammenarbeit mit dem GIZ-Team hat sich das geändert. „Dank der Trainings habe ich erkannt, wie nützlich der Ackerbau für das Überleben ist“, sagt Kleinbäuerin Shukri Yusuf Ali. Mehr noch: Da sie nun ein Einkommen erzielt, muss sie sich keine Sorgen mehr darum machen, wie sie das Schulgeld für ihre Kinder zusammenbekommt. Früher war sie regelmäßig gezwungen, in der Verwandtschaft um Unterstützung zu bitten. Wenn nicht genug Geld zusammenkam – was immer wieder der Fall war –, wurden eines oder mehrere der Kinder vom Schulbesuch ausgeschlossen, bis die Gebühr gezahlt werden konnte.
Inzwischen gibt es auf dem Acker so viel zu tun, dass auch Yusuf Alis Mann mithilft. Selbstbewusst sagt sie: „Ich bin die Bäuerin, er arbeitet mir zu.“ In der traditionell patriarchalen somaliländischen Gesellschaft ist auch das ein Zeichen der Veränderung.
„Früher war es sehr ungewöhnlich, dass eine Frau Getreide anbaut“, sagt Yurub Saleban Ali, eine andere erfolgreiche Bäuerin von Derimara. „Aber inzwischen ist das kein Problem mehr.“ 90 bäuerliche Kleinbetriebe gibt es mittlerweile im Ort, 30 davon werden von Frauen geführt. Zum Vergleich: Vor drei Jahren waren es noch 40 Bauern und eine Bäuerin. Rein auf den Ackerbau verlässt sich allerdings niemand, alle halten weiterhin Tiere, die Frauen überwiegend Ziegen.
Einer der männlichen Kleinbauern ist Mohamoud Awale. Er bewirtschaftet zehn Hektar, die er von seinem Vater überschrieben bekam. Anfangs lag das fruchtbare Land brach. „Ich habe es nicht genutzt“, sagt der 28-Jährige. Das änderte sich, nachdem er 2020 an einem Training der GIZ teilgenommen hatte. Seither baut er Getreide und Gemüse an.
70 Prozent mehr Einkommen
„Mein Einkommen ist um 70 Prozent gestiegen, und wie viel ich an Erfahrung und Wissen gewonnen habe, kann ich gar nicht beziffern.“ Mohamoud Awale ist mittlerweile ein leidenschaftlicher und sehr erfolgreicher Jungbauer. Oder genauer gesagt: ein Agro-Pastoralist, also jemand, der Land bewirtschaftet, aber auch einige Tiere hält, in seinem Fall Rinder und Ziegen. Im Jahr verdient er nach eigenen Angaben durchschnittlich knapp 4.600 Euro. Das ist in „Somaliland“ ein sehr beachtliches Einkommen. Eine Krankenschwester verdient umgerechnet rund 2.600 Euro im Jahr, ein Polizist oder eine Polizistin etwa 1.500.
Dass sie in Derimara trotz der Folgen des Klimawandels so erfolgreich sind, hat nicht nur damit zu tun, dass Regenmenge und Bodenbeschaffenheit dort etwas günstiger sind als anderswo. „Der Schlüssel dazu, mit den Folgen der Klimakrise klarzukommen, ist Diversifizierung“, sagt GIZ-Berater Eid Qalomi. Gemeint ist damit die Vielfalt der Feldfrüchte und die der Einnahmequellen. „Wenn der Regen in einer Saison gar nicht oder spärlich fällt und das Getreide vertrocknet, bleibt den Menschen noch der Gemüseanbau, denn die kleinen Flächen können sie bewässern“, erklärt der Experte. Die Tiere und deren Milch sind ein weiteres Standbein für den Lebensunterhalt.
Traditionelle Getreidesorte wiederentdeckt
Entscheidend ist außerdem, welches Saatgut die Menschen in die Erde bringen. Fast zufällig entdeckte Eid Qalomi bei seinen Recherchen eine traditionelle Sorghumsorte wieder, die nun mit großem Erfolg auf den Feldern von Derimara und in ähnlichen Klimazonen „Somalilands“ wächst. Sie heißt „Dhib-yar“, was übersetzt „leicht anbaubare Sorghumsorte“ heißt. Sie wird besonders schnell reif, in der Regel innerhalb von drei Monaten. Damit braucht sie nur halb so lange wie manche der importierten Sorten.
„Das erhöht natürlich die Chance, dass die Pflanzen innerhalb der Reifezeit genug Regen kriegen“, erklärt der GIZ-Berater. Er ist zuversichtlich, dass die alten Varianten den Weg zurück auf die Felder finden, weil ihre Vorteile vor allem in Zeiten des Klimawandels unschlagbar sind: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie trotz längerer Trockenzeiten doch noch Ertrag bringen, sei sehr viel höher als bei anderen Sorten.