Urbane Mobilität ist nur ein Bereich des Programms Euroclima , das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Europäischen Union finanziert wird. Es soll in 33 Ländern in Lateinamerika und der Karibik die Auswirkungen des Klimawandels verringern und die Anpassung stärken. Klimaresiliente Ernährungssicherung, die Förderung von Biodiversität und klimafreundlichen Energiesystemen gehören ebenfalls dazu.
Wie Ibagué voranradelt
Abseits der großen Metropolen Lateinamerikas zeigt eine Stadt in Kolumbien, wie sozial und klimafreundlich Mobilität mit kostenlosen Leihrädern ist. Ein Beispiel für den richtigen Weg zum Erreichen des UN-Nachhaltigkeitsziels 11 – Nachhaltige Städte und Gemeinden.
Die mobile Revolution in Ibagué sieht auf den ersten Blick bescheiden aus: neongelb, robust und vorne mit einem Körbchen. Es sind 85 Fahrräder und E-Bikes, die seit Anfang 2023 in der Stadt im Zentrum Kolumbiens verteilt sind.
„Mit der Einführung dieses Leihsystems für Fahrräder beginnen wir, nach Alternativen zu suchen, um uns umweltschonend und vor allem kostenlos fortzubewegen“, schwärmte Bürgermeister Andrés Hurtado bei der Eröffnung der acht Leihstationen.
Ibagué ist die Hauptstadt des Departements Tolima am Osthang der kolumbianischen Zentralkordillere, eines Zweiges der Anden. Mit rund einer halben Million Menschen ist die Stadt für kolumbianische Verhältnisse allenfalls mittelgroß. Leihradsysteme hatten bisher nur die großen Metropolen wie Medellín oder Bogotá. Das ändert sich nun durch die Kooperation mit dem Programm Euroclima, das den Klimaschutz in Lateinamerika fördert.
Euroclima setzt da an, wo die lokalen Partner am meisten Bedarf sehen: In Guatemala waren es elektrische Autorikschas. In Chile ging es um eine landesweite Strategie für nachhaltige Mobilität. Und im kolumbianischen Ibagué wünschte man sich eben Leihräder.
Radsportikonen aus Kolumbien
Kolumbien ist die Heimat von Spitzenradsportlern wie Nairo Quintana oder Egan Bernal, dem ersten Südamerikaner, der die Tour de France gewann und damit das gelbe Trikot in Paris über die Ziellinie trug. In der Freizeit sieht man Kolumbianer*innen in Scharen die Anden auf ihren Rennrädern hochstrampeln. Aber als Transportmittel im Alltag gibt es beim Fahrrad noch Luft nach oben.
Acht von zehn Menschen in Lateinamerika leben nach Angaben der Weltbank in Städten – und die Städte wuchern immer weiter. Die Infrastruktur kommt nicht hinterher. Guter öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) bedarf der Planung, Zeit und Geld. Daran fehlt es häufig.
Auch in Ibagué hakt es hier. Anstelle eines integralen städtischen Bussystems gibt es mehrere private Unternehmen. Bei jedem Umstieg auf der Strecke müssen die Fahrgäste neu bezahlen. Das macht den ÖPNV teuer und ineffizient. Und Teile der Stadt sind überhaupt nicht angebunden. Die Verwaltung arbeitet zwar an einem besseren Bussystem – doch derweil sind viele Menschen auf Auto und Motorrad angewiesen.
Die Leihräder sollen helfen, diese Lücke auf kurzen Strecken zu schließen – und das Fahrrad generell beliebter machen. Die Leihstationen befinden sich an strategisch günstigen Orten im Zentrum der Stadt – praktisch für Besorgungen und Behördengänge. Auch Parks, Museen und Busbahnhöfe sind leicht zu erreichen.
Eine weitere Besonderheit: Das System soll sozial sein. So ist der Verleih gratis, außerdem wurden für Schwangere und Senior*innen E-Bikes angeschafft. Und schließlich wünschte sich die Stadt, dass die Handy-App, um die Räder auszuleihen, aus einheimischer Hand stammt.
Euroclima unterstützte Ibagué bei technischen, rechtlichen und finanziellen Fragen. Davon gab es viele: Wohin sollen die Stationen? Welche Behörden reden mit? Welche Räder eignen sich? Welches Leihsystem? Außerdem bezahlte das Programm die Anschaffung der Räder, Stationen und der App.
Pilotprojekt weist den Weg
Die Stadt kümmerte sich zunächst um die Softwareentwicklung sowie die nötigen Formalitäten in Verwaltung und Stadtrat. Inzwischen hat sie die Kosten für den laufenden Betrieb des Fahrradverleihs übernommen. Wenn sich das System bewährt, sollen weitere Stationen in Ibagué hinzukommen. Außerdem soll das Pilotprojekt anderen Städten beim Aufbau von eigenen Leihsystemen helfen.
„Lateinamerika hat insgesamt große Fortschritte bei der nachhaltigen Mobilität gemacht“, sagt Alejandro Ceballos, technischer Berater der GIZ. So sei die Region mittlerweile der zweitgrößte Markt für Elektrobusse gleich nach China, weiß der Kolumbianer. Das liege aber vor allem an Metropolregionen wie Bogotá oder Santiago de Chile.
Dennoch kann der öffentliche Nahverkehr den Bedarf in den wachsenden Städten nicht mehr decken. Und so verschmutzen immer mehr Motorräder und Autos die Luft und stehen im Stau. Ein eigenes Auto gilt zudem als Statussymbol. „Wir müssen diese Kultur abbauen, die auf Individualismus basiert – hin zu einem gemeinschaftlichen Denken“, sagt Alejandro Ceballos.
Ibagué sei da vorbildlich gewesen: Die Stadtverwaltung habe eine Kommunikationsstrategie ausgearbeitet, um eine neue Kultur zu entwickeln. Das scheint aufzugehen. „Die Menschen in Ibagué sind stolz auf ihre Fahrräder“, sagt Alejandro Ceballos. Innerhalb von sechs Monaten hatten sich 2.300 Einwohner*innen für das Leihsystem registriert. Sie radeln für den Klimaschutz und sparen gleichzeitig Geld.