Valentyna Mazhbits, geboren 1976, ist promovierte Psychiaterin und Psychotherapeutin. Im März 2022 floh sie mit ihren beiden Kindern aus der Ukraine nach Deutschland. Ihr Mann blieb in Kiew. Im Rahmen der Klinikpartnerschaft Solomiya („Frieden“) koordiniert sie nun an der Berliner Charité den Aufbau psychosozialer Hilfen für Menschen in ihrer Heimat. Das Förderprogramm Klinikpartnerschaften wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Else Kröner-Fresenius-Stiftung finanziert und von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH durchgeführt. Derzeit gibt es 374 Projekte in 66 Ländern (Stand: September 2022).
„Die ganze Gesellschaft braucht Hilfe bei der Aufarbeitung“
Die ukrainische Psychiaterin und Psychotherapeutin Valentyna Mazhbits arbeitet seit ihrer Flucht nach Deutschland an der Berliner Charité für das Klinikpartnerschaftsprogramm Solomiya (ukrainisch für „Frieden“), um psychiatrische Krankenhäuser in ihrer Heimat zu unterstützen.
Frau Mazhbits, Sie arbeiten derzeit an der Berliner Charité für das Klinikpartnerschaftsprogramm Solomiya. Wie kam es dazu?
Ich habe die Ukraine im März 2022 mit meinen beiden Söhnen und unserem Hund verlassen und kam zunächst in einem Hotel für Geflüchtete in Frankfurt am Main unter. Noch im selben Monat begann ich, mich ehrenamtlich in dem Solomiya-Projekt zu engagieren. Im Juni zog ich dann nach Berlin, um an der Charité für das Programm zu arbeiten. Ich bin sehr froh, dass ich meinem Land auf diese Weise helfen kann.
Was haben Sie vor dem Krieg gemacht?
Ich war zuletzt als Erwachsenenpsychiaterin und Psychotherapeutin in Privatkliniken in Kiew tätig und habe die Internationale Organisation für Migration, die IOM, beraten. Außerdem habe ich als Senior Researcher am Institut für Psychiatrie in Kiew gearbeitet.
Wie steht es ein knappes Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges um die Betreuung von psychisch erkrankten Patientinnen und Patienten in der Ukraine?
Die medizinische Grundversorgung ist durch den Krieg stark beeinträchtigt. Viele Krankenhäuser sind zerstört oder beschädigt. Es fehlt an Personal und Medikamenten. Das gilt auch für die psychiatrischen Kliniken, sie sind überlastet, viele Patient*innen mussten wegen der Kriegshandlungen evakuiert werden. Dabei sind psychologische Hilfen wichtiger denn je. Die Menschen wissen nicht, was sie am nächsten Tag erwartet, sie sorgen sich um Angehörige, viele haben alles verloren. Dadurch haben Psychosen, Belastungsstörungen und andere schwere psychische Erkrankungen zugenommen.
Wie würden Sie die mentale Gesundheit der Menschen in der Ukraine vor dem Krieg beschreiben?
Wie in jeder anderen Gesellschaft gab es in der Ukraine Menschen, die unter Depressionen oder auch Angstzuständen litten. Seit dem Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen 2014 stieg die Zahl solcher Erkrankungen. Grundsätzlich haben wir aber ein normales Leben geführt und nicht an Krieg gedacht.
Wie viele Menschen in der Ukraine bräuchten aktuell psychologische Hilfe?
Ich denke, dass die gesamte Gesellschaft Hilfe bei der Aufarbeitung der schrecklichen Erlebnisse brauchen wird. Gegenwärtig ist psychologische Ersthilfe wichtig, Unterstützung bei der Bewältigung von Stresssituationen und zur Vermeidung des Burn-out-Syndroms. In Zukunft werden Rehabilitationsmaßnahmen erforderlich sein, damit sich die Menschen wieder an das zivile Leben anpassen können. Ganz besonders gilt das für Angehörige von Verstorbenen sowie für Militärangehörige und ihre Familien. Auch Suizidprävention wird ein wichtiges Thema sein.
Wie bewerten Sie die Klinikpartnerschaft Solomiya?
Dieses Programm ist das Beste, was uns in dieser schweren Zeit passieren konnte. Ich kann nicht in Worte fassen, wie dankbar die ukrainischen Ärztinnen und Ärzte vor Ort für die Unterstützung sind. Denn die Lage in der Ukraine wird von Tag zu Tag schlimmer.
Wie sieht Ihre Arbeit an der Charité derzeit aus?
Wir versuchen in erster Linie, den akuten Bedarf der Kliniken in der Ukraine zu decken. Als Projektmitarbeiterin kümmere ich mich darum, sie mit Medikamenten zu versorgen. Gleichzeitig bieten wir Onlineschulungen für medizinisches und nicht medizinisches Personal an, das psychologische Ersthilfe benötigt. Es geht darum, einzuschätzen, wer weiterhin darauf angewiesen sein wird. Außerdem entwickeln wir eine App mit psychologischen Bildungsinhalten.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen vor Ort?
Derzeit machen uns vor allem die ständigen Stromausfälle und das instabile Internet in der Ukraine zu schaffen. Deshalb bilden wir auch Trainerinnen und Trainer aus, die direkt vor Ort Schulungen durchführen.
Sind Sie die einzige Ukrainerin, die im Rahmen des Programms in der Charité tätig ist?
Wir sind ein Team von Fachleuten aus Deutschland und der Ukraine. Außer mir sind in unserem Projekt noch drei weitere Fachkräfte aus der Ukraine dabei.
Was war für Sie persönlich das größte Erfolgserlebnis, seit Sie in der Klinikpartnerschaft mitwirken?
Ich stamme aus Charkiw, meine Eltern leben noch dort. Die Stadt ist durch die Kriegshandlungen schwer zerstört, das Gesundheitssystem befindet sich in einem kritischen Zustand. Als wir den ersten Medikamententransport in die Stadt bringen konnten, war das ein sehr bewegender Moment für mich.