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Thorsten Schäfer-Gümbel Gaby Gerster
Interview

„Unsere Arbeit ist wichtiger denn je!“

Thorsten Schäfer-Gümbel, Vorstandssprecher der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, über die globale Verantwortung Deutschlands und wie internationale Zusammenarbeit auch im eigenen Land wirkt

Die Entwicklungszusammenarbeit steht in der Kritik, zum Teil wird sie sogar infrage gestellt. Halten Sie das für gerechtfertigt?

Tatsächlich erleben wir eine intensive Diskussion über die Notwendigkeit und Wirkung von internationaler Zusammenarbeit. Wir haben gute Argumente in dieser Diskussion: Sie leistet einen substanziellen Beitrag im Interesse Deutschlands, weil sie entscheidende Zukunftsfragen adressiert. Sie ist ein wichtiger Baustein und Ausdruck globaler Verantwortung. Damit präsentieren wir uns als verantwortlicher und handlungsfähiger Partner in der Welt.

Was genau leistet die Entwicklungszusammenarbeit für Deutschland?

Zunächst einmal bringen wir Leistungen in unseren mehr als 120 Partnerländern und verbessern die Lebensqualität und die Existenzgrundlagen von Menschen dort. Doch wir sollten klar sehen, dass diese Arbeit auf Deutschland zurückwirkt: Wir bekämpfen Fluchtursachen und Armut weltweit. Internationale Zusammenarbeit sorgt durch den Ausbau erneuerbarer Energien in Entwicklungsregionen für die Eindämmung des Klimawandels und darüber hinaus vermindert sie die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, zum Beispiel durch grünen Wasserstoff. Das führt auch hierzulande zu mehr Energiesicherheit. Sie eröffnet Chancen für Deutschlands Wirtschaft, weil sie Türen in Märkte und für neue Technologien öffnet. Sie trägt dazu bei, dringend benötigte Fachkräfte zu gewinnen. Und das sind nur einige Beispiele aus unserer Arbeit.

Also brauchen wir mehr statt weniger Entwicklungszusammenarbeit?

Es bräuchte angesichts der Polykrisen, die wir gerade erleben, definitiv mehr internationale Zusammenarbeit, denn diese Krisen machen nicht an Grenzen halt. Die Nachhaltigkeitsziele, die wir uns als Weltgemeinschaft gesetzt haben und die als Paket ein Mittel gegen die derzeitigen Herausforderungen darstellen, sind längst noch nicht erreicht. Wir müssen mehr Tempo machen und das geht nur gemeinsam. Internationale Zusammenarbeit ist heute wichtiger denn je. Deutschland ist eine Exportnation und mehr als die meisten Staaten auf gute internationale Beziehungen angewiesen. Unser Wohlstand basiert in großem Maße darauf: Jeder zweite Euro in Deutschland wird im Export verdient.

Trotzdem sind die Entwicklungsausgaben unter Druck geraten …

Das ist richtig. Im aktuellen Haushalt ist der Etat des BMZ gesunken und das führt auch bei uns zu weniger Aufträgen. Das ist aus all den schon genannten Gründen bedauerlich und aus meiner Sicht für Deutschland nicht zielführend. Als Unternehmen stellen wir uns auf die neue Lage ein, auch wenn wir damit natürlich nicht glücklich sind.

Könnten Sie nicht mehr mit der Wirtschaft kooperieren und dadurch die knappen Haushaltsmittel schonen?

Die enge Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft ist für die GIZ wichtig und Teil ihrer DNA. Auch die Agenda 2030 ist nicht ohne private Mittel zu erreichen. Das haben wir verinnerlicht. Das Ziel unserer Arbeit besteht darin, Strukturen für eine selbsttragende Entwicklung, für eine nachhaltige Wirtschaft und Investitionen zu schaffen. Wir sind keine Außenwirtschaftsagentur, aber wir haben überschneidende Interessen: etwa bei der Gewinnung von Fachkräften, die zentral für Deutschlands zukünftigen Wohlstand sind. Dabei achten wir genau darauf, dass nicht Arbeitskräfte ihr Heimatland verlassen, die dort selbst gebraucht werden, sondern dass daraus ein „Triple Win“ wird, dass das Heimatland profitiert, das Gastgeberland und die Migrant*innen selbst. Generell gilt: Florierende Wirtschaft braucht ein friedliches Umfeld und das wiederum setzt Entwicklung voraus. Frieden braucht Entwicklung. Die GIZ trägt messbar zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen bei und leistet so einen Beitrag auch zu mehr wirtschaftlicher Stabilität. Übrigens spart jeder Euro, der für nachhaltige Entwicklung in den Partnerländern investiert wird, den Steuerzahlenden später vier Euro für humanitäre Nothilfe. Langfristig und nachhaltig zu arbeiten, zahlt sich also aus.

Die GIZ setzt auf zahlreiche Programme und Projekte, um Lebensbedingungen von Menschen zu verbessern und globale Herausforderungen anzugehen. Was davon wirkt wirklich?

Die internationale Zusammenarbeit ist wahrscheinlich eines der am besten evaluierten Politikfelder. Wir überprüfen unsere Ansätze und Aktivitäten permanent. Arbeiten wir effizient und wirtschaftlich? Bieten wir die passenden Leistungen an? Das sind Fragen, die wir uns kontinuierlich stellen. Wo nötig, steuern wir um. Nicht zuletzt deshalb ist unsere Bilanz gut; das zeigt auch unser jüngster Evaluierungsbericht: Im Durchschnitt werden die Projekte dort mit 2,3 bewertet. Sie sind effektiv, effizient und nachhaltig. GIZ wirkt!

Was erreicht die GIZ denn konkret?

Allein im Jahr 2022 – die Zahlen aus 2023 erheben wir gerade noch – haben wir mit Auftraggeber*innen und Partner*innen dazu beigetragen, dass 370.000 junge Menschen eine Berufsausbildung abschließen konnten. Mehr als 5,5 Millionen Menschen haben besseren oder erstmals Zugang zu moderner Energie erhalten. Wir haben mit unseren Aktivitäten das Äquivalent von sieben Millionen Tonnen CO2 eingespart und mehr als 10,5 Millionen Menschen dabei unterstützt, die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Das sind nur einige der Highlights aus einem einzigen Jahr.

Was ist mit Krisenländern wie Mali?

In Mali arbeitet die GIZ nach dem Militärputsch 2021 und dem Abzug der Bundeswehr weiter, damit sich die Lage in der Sahelregion nicht noch weiter verschlechtert. Wir sind dort regierungsfern tätig, das heißt, wir arbeiten mit Nichtregierungsorganisationen und lokalen Behörden zusammen, um Projekte weiterzuführen, die der Bevölkerung direkt zugutekommen. Wir fördern dort zum Beispiel nachhaltige Landwirtschaft, Abwasserentsorgung oder unterstützen Binnenvertriebene und Gemeinden, die sie aufnehmen. Mit Kleinprojekten im Norden des Landes hat die GIZ seit 2016 die Lebensbedingungen von rund einer halben Million Menschen verbessert. Das wirkt stabilisierend auf die dortigen Kommunen. Und es zeigt, dass wir selbst unter schwierigen Rahmenbedingungen wirksam arbeiten und Fortschritte für die Menschen vor Ort erreichen. Arbeiten in Krisenländern und Konfliktregionen ist für uns traurige Realität. Das würden wir uns anders wünschen, aber das Beispiel Mali zeigt: Wir sind handlungs- und lieferfähig, auch unter solchen Bedingungen.

Was hat Mali mit Deutschland zu tun? Müssen wir uns wirklich um die dortige Landwirtschaft kümmern?

Stabilere Verhältnisse schaffen Perspektiven vor Ort. Wir wissen, dass gerade Westafrika ein wichtiger Teil der Route nach Europa ist. Je mehr die Menschen ein Auskommen für sich und ihre Familien haben, desto weniger müssen sie sich auf den teils gefährlichen Weg Richtung Europa machen. Eine stabile Sahelregion ist auch im Interesse Deutschlands.

Sie sind auch vor der eigenen Haustür aktiv – Stichwort Ukraine. Warum ist das Engagement dort so wichtig für die GIZ?

Auch dort arbeiten wir unter herausfordernden Bedingungen. Aber diese Unterstützung liegt in unserem unmittelbaren (Sicherheits-)Interesse. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte bilaterale Geber in der Ukraine. So unterstützen wir zum Beispiel die Wirtschaft, die auch in Kriegszeiten weiterarbeiten muss, um den Menschen Einkommen und Perspektiven zu bieten. Wir helfen aber auch Kommunen dabei, Krankenhäuser, Schulen und Gemeindezentren aufrechtzuerhalten. Seit Kriegsbeginn wurden bereits 1.500 Kleinunternehmen mit Zuschüssen unterstützt. Wir sind in der Ukraine mit aktuell rund 660 Millionen Euro in verschiedenen Projekten und Programmen engagiert. Neben der schnell benötigten Hilfe für die Menschen richtet sich unsere Arbeit schon jetzt auf den Wiederaufbau des Landes und auf die Hinführung zur EU. Unsere Arbeit dort ist ein wichtiger Baustein der europäischen Friedensordnung.

Das alles sind Beispiele dafür, wie engagiert unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten. Wir sind die Expert*innen fürs Tun! Und sorgen dafür, Entwicklungszusammenarbeit auch unter zum Teil schwierigsten Bedingungen umzusetzen. Es sind unsere GIZ-Teams in aller Welt, die sicherstellen, dass wir diese Leistungen bringen, effizient und passgenau arbeiten. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken.

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Thorsten Schäfer-Gümbel Gaby Gerster

Thorsten Schäfer-Gümbel