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Zwei Frauen laufen am Strand mit dem Rücken zum Betrachter Pierre-Yves Babelon/stock.adobe.com
Feature

Stimmen von und für Frauen

Irakische Journalistinnen berichten ungeschönt über die Lebenswirklichkeit von Frauen im Irak.

Text: Olivia Cuthbert

Mara* arbeitete gerade an etwas ganz anderem, als ihr die Idee kam, über Geschlechterrollen im Irak zu berichten. Ein ungewöhnliches Thema in einem Land, in dem patriarchale Strukturen Frauen und Mädchen enge Grenzen für ein selbstbestimmtes Leben setzen.

Seit Mara vor zehn Jahren Journalistin geworden ist, sieht sie es als ihre Aufgabe, auf die Lebensumstände irakischer Frauen und Kinder aufmerksam zu machen. Sie hat dabei Bedrohungen und Mobbing in einem stark von Männern dominierten Berufsfeld ertragen und überwinden müssen.

Irakische Medien berichten nur selten über Kämpfe und Herausforderungen, denen Frauen sich stellen müssen. „Im Irak ist es sehr schwierig, Geschichten über Frauen zu veröffentlichen und dabei alle Einzelheiten frei zu schildern“, sagt die Journalistin. „Die meisten Medien publizieren gern Erfolgsgeschichten über Frauen, aber sie beleuchten nicht ihr Leiden.“

Deshalb bewarb sie sich sofort bei einer besonderen Initiative, zu der ihr eine Freundin den Link geschickt hatte: Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH unterstützt im Irak journalistische Berichterstattung, die Geschlechterstereotypen aufbricht. Das ist Teil eines landesweiten Programms im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Das Ziel ist, irakische Frauen beim Wiederaufbau des Landes und beim Friedensprozess gleichberechtigt einzubinden.

Kein Frieden ohne Frauen

Ein verändertes, authentisches Frauenbild in den Medien ist nur ein Beispiel, wie im krisengeschüttelten Irak mehr für die Gleichberechtigung getan werden kann. Das Programm „Stärkung der Teilhabe von Frauen am Wiederaufbau und Friedensprozess im Irak“ im Auftrag des BMZ widmet sich ganz unterschiedlichen Aspekten. Dazu gehören etwa Onlinekurse zu digitalen Fähigkeiten, Förderung von Frauen im Sport oder psychosoziale Unterstützung von jesidischen Frauen.

Für Mara bedeutete dies die Freiheit, Hintergrundberichte über Themen zu schreiben, die von den irakischen Medien normalerweise übergangen werden. „Ich fühle mich den Frauen gegenüber verpflichtet und will deren Geschichten veröffentlichen“, sagt sie.

Mit großer Resonanz: „Viele haben mich über die sozialen Medien kontaktiert und mir von dem Druck berichtet, gegen ihren Willen zu heiraten und Kinder zu bekommen. Ich habe gesehen, wie sie bedrängt und beleidigt wurden“, sagt die Reporterin. Derart kontroverse Themen werden im Irak selten diskutiert oder gar anerkannt. Und die Erwartung, zu heiraten und Kinder zu bekommen, ist für manche Frauen eine schwere Last.

Mara wurde bei ihrer Recherche besonders auf eine Frau aufmerksam. Als Aktivistin wollte Layla* sich nicht anpassen und setzte sich für das Recht der Frauen ein, keine Ehe einzugehen und eigene Träume zu verfolgen. „Sie wurde angegriffen und beschimpft“, erinnert sich Journalistin Mara.

Für einen Artikel sprach sie auch mit anderen Frauen, die gegen ihren Willen gezwungen worden waren, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Die Berichterstattung zog Kreise. Eine Reihe von Professor*innen und Doktorand*innen irakischer Universitäten kontaktierte Mara, um Teile des Artikels in ihrer Forschung und Lehre zu verwenden. „Das hat mich darin bestärkt, wie wichtig es ist, zuvor totgeschwiegene Themen zu beleuchten“, sagt sie.

Länder-Wiki
Land: Irak
Hauptstadt: Bagdad
Bevölkerung: 44,5 Mio.
Rang im Human Development Index: 121 von 191 Staaten/Gebieten
Global Gender Gap Index (2021): 154 von 156 Ländern
Quelle: Weltbank, HDI, Global Gender Gap Index

Vorbild für Reporterinnen

Jetzt möchte sie anderen helfen, es ihr nachzutun, und Vorbild für angehende Reporterinnen sein. Sie sollen Themen beleuchten, die viel zu lange umschifft und übergangen worden sind. „Vor fünf Jahren galt Journalismus noch als sehr schwieriger Berufsweg für irakische Frauen. Glücklicherweise hat sich das Bewusstsein gewandelt und die Branche beginnt uns zu akzeptieren“, sagt Mara. Die Zahl der Reporterinnen wachse. Konkrete Zahlen gibt es derzeit zu diesem Berufsfeld nicht. Doch insgesamt ist der Weg in Berufe für Frauen im Irak noch weit: Ihr Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung im Land beträgt nur 14 Prozent.

Noor* ist eine Kollegin von Mara und begann ihre Medienkarriere 2011. Sie schaffte es im Laufe der Jahre, dass auch in konservativen Gegenden im Süden des Landes die Ablehnung für ihre Arbeit in Bewunderung umschlug. „Anfangs war es sehr schwierig, aber ich wollte meiner Umgebung die Stirn bieten und beweisen, dass Frauen in jedem Beruf neben Männern arbeiten können“, sagt sie. Mit der Unterstützung von Freund*innen und Familie hielt sie durch und förderte auch andere Frauen bei ihrer journalistischen Laufbahn. „Jetzt gibt es drei oder vier weitere Journalistinnen in meiner Stadt“, sagt sie.

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Eine Frau im Gewand läuft auf einer Steinwüstenlandschaft John Wreford/Shutterstock

Chance für unabhängige Berichte

Auch Noor wurde von einer Reporterkollegin auf das Projekt für mehr Teilhabe von Frauen im Irak aufmerksam gemacht. Sie ergriff sofort die Chance für unabhängige Berichterstattung. „Alle Journalistinnen im Irak sind befreundet. Wir informieren und unterstützen uns gegenseitig“, sagt sie. Durch ihre Teilnahme am Projekt konnte sie eine Geschichte gründlich und in aller Tiefe recherchieren, die sie schon lange schreiben wollte: über das Leben der Frauen in den Sumpfregionen im Süden des Landes.

„All die Herausforderungen, denen ich mich als Journalistin stellen musste, sind gar nichts im Vergleich zum Leid der Frauen, die in den Sümpfen leben“, sagt Noor. „Eine Frau, die ich dort traf, wollte ihr Neugeborenes zur Adoption freigeben, weil sie schlicht nicht genug Geld hatte, um ein Kind aufzuziehen.“ Das Leben in den irakischen Sumpfgebieten war schon immer hart, aber durch den Klimawandel trocknen die Flüsse aus. Die Menschen in der Region leben seit Generationen von den Gewässern. Wenn ihre Lebensgrundlagen zerstört werden, müssen sie wegziehen, erklärt Noor die Hintergründe ihrer Recherche.

Sie konnte eine Fernsehreportage über die Notlage der Frauen in den Sumpfregionen drehen. „Das gab mir die Gelegenheit, ihr Leben zu schildern, und das ganz ohne Druck, die Geschichte auf eine bestimmte Art und Weise zu präsentieren. Es hat mich inspiriert, weiter eine Stimme für diese Frauen zu sein.“

* Die Namen aller Frauen wurden von der Redaktion geändert.

Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei:
SDG 5: Geschlechtergleichheit SDG 10: Weniger Ungleichheiten SDG 16: Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen