„Seen Suuf“ bedeutet in Senegal „dein Land“. Sichere Besitzverhältnisse für Ackerboden stehen im Mittelpunkt des gleichnamigen Projekts. Es orientiert sich am „Compact with Africa“ und ist Teil der zwischen Senegal und Deutschland bestehenden Reformpartnerschaft. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert das Projekt, das von der GIZ durchgeführt wird. Gerade für Frauen sind Landrechte in Senegal ein zentrales Thema. Wenn sie gestärkt werden, können Ernährungssicherheit und wirtschaftliche Entwicklung erreicht werden.
„Hier kann uns niemand mehr verjagen“
In Senegal zeigt eine Kleinbäuerin, wie wichtig ein neues Gesetz ist. Es verbessert den Zugang zu Land. Die GIZ unterstützt vor allem Frauen dabei, das Wissen über die neuen Rechte zu verbreiten. So kann Armut reduziert und Beschäftigung gefördert werden.
Ndella N’Diaye muss sich beeilen. Die 35-Jährige ist auf dem Weg zum Markt und trägt für ihre Einkäufe eine große Kalebasse – einen ausgehöhlten und getrockneten Flaschenkürbis – unterm Arm. Sie will Zutaten für Mbakhalou Saloum einkaufen, ein Traditionsgericht in der Region Saloum in Senegal. Auf dem Markt von Latmingué wird sie fündig und erwirbt Fisch, Reis, geriebene Erdnüsse und etwas Gemüse. Regelmäßig kocht sie für andere und erwirtschaftet mit dem Verkauf der Mahlzeiten einen Teil ihres Einkommens.
Ihre Familie zu versorgen, ist für die Mutter von vier Kindern aber nicht einfach. „Ich möchte, dass sie eine gute Ausbildung erhalten und später Arbeit finden. Doch an manchen Tagen weiß ich nicht, wie ich Hefte und Stifte für die Schule bezahlen soll.“ Ihr Mann sei oft in anderen Regionen des Landes auf Arbeitssuche, sein Einkommen nicht verlässlich. Die 35-Jährige macht, was sie kann, verkauft zusätzlich selbst hergestellten Hibiskussaft und arbeitet in der Landwirtschaft.
Frauen sind Stütze der Landwirtschaft in Afrika
Gemeinsam mit einem Zusammenschluss von Bäuerinnen baut Ndella N’Diaye Gemüse an. Die Kooperative hat sich den Namen „Gie Book Liggey“ gegeben, was übersetzt „zusammen anpacken“ bedeutet. Kleinbäuerinnen sind der Motor Afrikas bei der Produktion von Tier- und Agrarprodukten. Auf dem gesamten Kontinent produzieren Frauen rund 80 Prozent der Lebensmittel und stellen die Hälfte der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft.
Die Senegalesin ist zurück auf dem kleinen Hof, auf dem auch ihre Schwiegereltern leben. Dort hatte sie eine Zeit lang eine eigene Fläche bewirtschaftet. Der Verkauf der dort angebauten Tomaten hatte geholfen, genügend Geld für den Schulbesuch zu erwirtschaften. „Dort hinten war meine Parzelle“, sagt sie und deutet auf ein Grundstück ganz in der Nähe des Zauns. Doch ohne Vorankündigung war plötzlich Schluss. Die Kommune beanspruchte auf einmal die Fläche für sich, mit der Begründung, dort möglicherweise zukünftig Häuser bauen zu lassen.
Bis vor kurzem war so etwas in Senegal keine Seltenheit, individueller Landbesitz und gesicherte Eigentumsrechte hingegen waren die Ausnahme. Selbst Familien, die Parzellen seit Jahrzehnten bewirtschaften, besaßen häufig keine schriftlichen Dokumente, um die langjährige Nutzung schriftlich zu belegen. Kam es zu Anfragen – etwa vonseiten der Kommune –, wurden ohnehin nur die männlichen Familienmitglieder angesprochen. Die Frauen wurden nicht gehört.
Wird Land in Senegal vererbt, sind es ebenfalls die Söhne, die es erhalten, nicht jedoch die Töchter. Diese Erbfolge spiegelte sich bisher auch auf rechtlicher Ebene wider. Es konnte immer nur ein Familienmitglied als „Nutzungsberechtigter“ eingetragen werden, in der Regel war es das männliche Oberhaupt. Ein neues Gesetz ändert dies nun und ermöglicht allen Familienmitgliedern, ihre Rechte am Land eintragen zu lassen. Ein Meilenstein gerade für Frauen.
„Immer waren es Männer, die entschieden haben, welche Flächen Frauen erhalten“, sagt Ndella N’Diaye. Und ohne Rechtssicherheit liefen Frauen ständig Gefahr, diese wieder zu verlieren. Die enorme Abhängigkeit bedeute viel Stress. N’Diaye erzählt, während sie auf einem offenen Feuer Wasser für den Reis aufgesetzt und mit dem Kochen begonnen hat. „Der Verlust meiner Parzelle war eine schlimme Erfahrung für mich. Aber ich konnte damals nichts machen“, erinnert sie sich.
Neues Gesetz für klare Landnutzung
Mit dem neuen Gesetz werden die Rechte von Frauen wie Ndella N’Diaye gestärkt. Dafür ist es wichtig, dass die kommunalen Verwaltungen Grundbuchämter (Bureaux Fonciers) aufbauen. Denn hier werden die genauen Daten der Grundstücke zusammen mit Nutzungsrechten dokumentiert. Denn auch das Fehlen dieser Nachweise hat in der Vergangenheit wiederholt zu Streitigkeiten geführt. Häufig war nicht klar, wo Parzellen anfangen oder aufhören.
Ein weiterer Vorteil der neuen Gesetzgebung ist: Frauen können sich unbürokratisch zusammenschließen und die Nutzung einer bestimmten Parzelle beantragen, die sie gemeinsam bewirtschaften wollen. Wird diese bewilligt, erhalten sie eine „Déliberation“ – das französische Wort bedeutet Entscheidung oder Beschluss. Für Frauen wie Ndella N’Diaye ist es zum Schlüsselwort für eine bessere Zukunft geworden.
Besonders Kooperativen, die ein oder zwei Hektar gemeinsam bewirtschaften, haben seit Jahresbeginn von diesen Regelungen Gebrauch gemacht. „Alleine in Latmingué haben wir 150 Kooperativen. Gut 30 haben bereits ihre ‚Déliberation‘ erhalten“, sagt im Rathaus Andel Kitane. Er ist einer der Stellvertreter des Bürgermeisters. Auf seinem Schreibtisch liegt ein großes Buch, in dem der Eingang der Anträge dokumentiert wird. „Mitunter dauert die Bearbeitung einen Monat, manchmal aber auch nur wenige Tage“, sagt er. Beansprucht eine Gruppe von Frauen eine bestimmte Parzelle, organisiert die Kommune vor Ort einen Termin, um sich diese anzuschauen. Gibt es keine anderen Pläne für die Nutzung, werden die Unterlagen übergeben.
Rechtssicherheit ist besonders wichtig für Frauen
Frauen sollen bevorzugt behandelt werden, sagt der 43-jährige Kitane. „Sie haben für uns Priorität.“ Das komme schließlich der ganzen Kommune zugute. „Frauen sind beispielsweise sehr im Anbau von Gemüse engagiert. Das verbessert die Ernährungssituation der Familien.“ Zudem könnten die Kleinbäuerinnen aus dem Verkauf Überschüsse erwirtschaften. Damit lassen sich nicht nur Ausgaben für die Ausbildung der Kinder bezahlen, sondern auch Arztbesuche. Das ist wichtig, weiß Ndella N’Diaye. In der Vergangenheit musste sie mühsam angespartes Geld bei Erkrankungen in der Familie aufbrauchen.
Außerdem ist sich Kitane sicher: Ist die Rechtslage bei den Nutzflächen transparent, steigt die Bereitschaft der Nutzer*innen, zu investieren. Etwa in den Bau von Zäunen, um Gemüse vor Vieh zu schützen, oder in die Installation von Bewässerungssystemen. Das lässt wiederum die Erträge steigen und professionalisiert die Landwirtschaft.
Gesetz bekannt machen
In der Hauptstadt Dakar, die rund vier Autostunden entfernt von Latmingué liegt, lebt die Juristin Fama Dieng Ndiaye. Sie sieht in der neuen Gesetzgebung einen wichtigen Schritt, um Frauen den Zugang zu Land zu erleichtern. Sie weiß aber auch: „Das neue Gesetz muss noch bekannter werden.“ Zudem würden sich Traditionen und kulturelle Gepflogenheiten erst mit der Zeit ändern. Positive Veränderungen kommen nicht über Nacht.
In Latmingué gibt Ndella N’Diaye gerne ihr Wissen über das neue Gesetz weiter und hat dazu bereits an mehreren Workshops teilgenommen, die die GIZ gemeinsam mit Partnern organisiert hat. In persönlichen Gesprächen berichtet die Kleinbäuerin in ihrer Region, welche Schritte ihre Kooperative gegangen ist, um die „Déliberation“ zu erhalten, und welche Vorteile diese bringt.
„Es ist besser, jemandem zu erklären, wie er fischt, anstatt einfach Fisch zu verteilen.“
Sie hofft, dass möglichst viele Kooperativen, aber auch Familien Papiere für die Berechtigung zur Landnutzung beantragen. Das sei ein entscheidender Weg in die Selbstständigkeit. Auf Wolof, der am meisten verbreiteten Sprache im Land, gebe es ein Sprichwort, sagt Ndella N’Diaye: „Es ist besser, jemandem zu erklären, wie er fischt, anstatt einfach Fisch zu verteilen.“ Sie ist nicht mehr davon abhängig, dass ihr und den übrigen Frauen jemand eine Parzelle überlässt. Stattdessen kann sie Nutzungsrechte geltend machen.
Für die Senegalesin kam der Befreiungsschlag am 22. Februar 2023, als ihre Kooperative die Genehmigung für die Landnutzung erhielt. 1,58 Hektar kann „Gie Book Liggey“ beackern. „Diese Übergabe war ein wichtiger Moment. Das Dokument zeigt: Das ist unsere Fläche, die wir so bewirtschaften können, wie wir es für richtig halten. Hier kann uns niemand mehr verjagen.“
Ndella N’Diaye (rechts) und Bäuerinnen der Kooperative „Gie Book Liggey“ mit ihrer Genehmigung für die Landnutzung, der „Déliberation“
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