Porträt

Die starke Stimme der Lenca

Moderatorin Martina López fördert per Radio in einem Biosphärenreservat in Honduras Umweltbildung.

Text: Sandra Weiss Fotos: GIZ/Fabiola Budde

Fast jeder kennt Martina López in San Marcos de Caiquín – oder zumindest ihre Stimme. Denn die 37-Jährige war die erste weibliche Moderatorin von Radio Comunitaria Tenán, einem freien, indigenen Sender im Westen von Honduras. Die Besonderheit ist sein Sendegebiet: Es liegt mitten im Biosphärenreservat Cacique Lempira – Señor de las Montañas. Rund 30.000 Menschen leben dort, davon 30 Prozent Indigene der Ethnie Lenca, so wie auch López. Die Gegend ist ziemlich isoliert. In die 30 Kilometer entfernte nächstgrößere Stadt Gracias führt eine ungeteerte Straße, die sich in der Regenzeit in eine Schlammpiste verwandelt. Nur ein Bus täglich fährt nach Gracias und zurück. Auch die Kommunikation der weit verstreut lebenden Menschen untereinander ist schwierig. Umso wichtiger ist das Radio: Dort werden nicht nur aktuelle Informationen und Alltagstipps ausgetauscht, dort wird auch das Umweltbewusstsein der Zuhörenden gestärkt.

Image
Martina López

„Unsere Wälder sind wunderschön, es gibt Tukane, Rehe und Orchideen“, erzählt López. Doch in den vergangenen Jahren sind mehr Menschen in die Region zugewandert. „Der Kaffeeanbau hat zugenommen und viel Wald wurde für Plantagen abgeholzt“, sorgt sich die Mutter zweier Kinder. Doch wie vermittelt man Menschen, die auf die Selbstversorgung und Einkünfte aus dem Verkauf von Kaffee angewiesen sind, dass der natürliche Wald wertvoller ist als eine Kaffeeplantage, wenn diese eine wichtige Einkommensquelle ist? López hat ihre eigene Strategie, und die lautet: aufklären statt verurteilen. Sie erzählt von der Funktion der Wälder im Wasserkreislauf und vom Klimawandel, der Wasser bald zu einem knappen Gut machen wird.

Der Radiosender ist eng verbunden mit der Universidad Indígena y de los Pueblos (UIP) in La Campa. Die Institution setzt sich dafür ein, das Wissen der Vorfahren zu erhalten und weiterzugeben. Sie bietet Kurse an in indigenem Recht, traditioneller Medizin und Spiritualität. Zudem hat sie ein Netzwerk von Agrarökolog*innen aufgebaut, um traditionelle Praktiken und überliefertes Wissen zu retten und mit modernen Techniken zu verbinden. Radio Tenán wiederum verbreitet dieses wertvolle Wissen in der Bevölkerung. Diese Verbindung macht es so beliebt. Denn es geht um mehr als reine Umweltbildung: Hier setzen sich Indigene gemeinsam für ihr kulturelles Erbe und die Zukunft ihrer Heimat ein.

Image
Honduras Biodiversity

Die Menschen zum Mit- und Nachmachen bewegen

Martina López nimmt dabei eine besondere Rolle ein. Sie wirkt als Bindeglied zwischen der lokalen Verwaltung, der Universität und dem Radiosender. „Großen Erfolg haben unsere kurzen Radioclips, in denen wir praktische Umwelttipps geben“, sagt sie. Da geht es zum Beispiel darum, den Abfall aus der Kaffeeproduktion sachgerecht zu entsorgen. Oder um diversifizierten Anbau, um eine abwechslungsreiche Ernährung zu gewährleisten. Die Tipps müssen möglichst einfach und klar verständlich daherkommen. Deshalb tüftelt das Team von Radio Comunitaria Tenán oft lange an Slogans wie: „Pflanzt Zuckerrohr, statt Rohrzucker zu kaufen!“ Mit Erfolg. Diesen Satz höre sie jetzt öfter aus dem Mund der Bauern bei Gemeindeversammlungen, schmunzelt López. Ihr ist es wichtig, die Bevölkerung zum Mit- und Nachmachen zu animieren.

Auf die Idee mit den Radiospots kam das Team durch eine von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) finanzierte Schulung. „Bei der Schulung bekamen wir viele nützliche Tipps zu Programmformat, Schnitt und Atemtechnik bei der Moderation“, erzählt López. Neben der Schulung gab es Mikrofone, ein Mischpult und einen neuen Computer, weil der alte durch Blitzeinschlag zerstört worden war – und einen Blitzableiter gleich dazu. Radio Tenán wird gefördert im Rahmen des Projekts „PROCAMBIO II“ zum nachhaltigen Ressourcenmanagement in Biosphärenreservaten, das die GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Honduras umsetzt.

Image
Honduras Biodiversity

Die Arbeit erfordert auch Mut

Für Radio Tenán war das eine große Hilfe, denn der Sender lebt ausschließlich von Spenden. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ehrenamtlich tätig. 2014 startete das Radio mit einer Gruppe Freiwilliger. „Wir hatten keine Ahnung und kein Geld, waren aber sehr motiviert“, erzählt López. Sie selbst läuft zwei Stunden zu Fuß von ihrem Dorf bis zu dem in einem kleinen Holzhäuschen untergebrachten Sender. Oder besser gesagt, sie lief.

Anfang 2022 wurde Pablo Hernández, der Gründer und Direktor des Radios, in San Marcos de Caiquín ermordet. Seitdem hat López Angst und moderiert nur noch, wenn jemand aus dem Dorf sie auf dem Motorrad mitnehmen kann. Warum Pablo Hernández ermordet wurde und wer hinter der Tat steckt, ist bis heute unklar. Radio Tenán ist zwar populär, aber die freimütige, kritische Berichterstattung des Senders gefällt nicht jedem. Besonders, wenn das Radio über lokale Korruption und undurchsichtige Geschäfte berichtet, begeben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Radio Tenán in Gefahr.

Image
Martina López in San Marcos de Caiquín

Umweltschutz ist ein heikles Thema in einem Land, in dem die Ausbeutung der Natur ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Das zeigte der Mord an der Lenca-Aktivistin Berta Cáceres im Jahr 2016. Die Trägerin des Goldman Environmental Prize hatte Widerstand gegen den Bau eines Staudamms organisiert. Für ihre Ermordung wurden der Präsident der Betreiberfirma des Staudamms verurteilt sowie zahlreiche Mitarbeiter, korrupte Staatsbeamte und Mitglieder der honduranischen Sicherheitskräfte. Laut der internationalen Nichtregierungsorganisation Global Witness sind diese Morde „keine Einzelfälle in einem Land, das seit jeher zu den tödlichsten Ländern der Welt für Land- und Umweltaktivisten gehört“. Im Jahr 2020 wurden laut der Organisation 17 Umweltschützer*innen ermordet.

Selbstbewusstsein von Frauen stärken

Für López spielt das Radio nicht nur eine wichtige Rolle im Umweltschutz, sondern auch bei der Emanzipation der Frauen. Sie ist dank ihrer Radiopräsenz für viele inzwischen ein Vorbild geworden. Denn es ist nicht üblich, dass junge Lenca-Frauen so selbstbewusst in der Öffentlichkeit das Wort ergreifen. Machismo und patriarchale Strukturen sind in der Region weit verbreitet. López richtet sich deshalb in ihren Sendungen oft explizit an die Frauen, greift ihre Anliegen auf und ermuntert sie, sich stärker einzubringen ins Gemeindeleben. Naturheilkunde beispielsweise ist ein Thema, das vor allem ihre Hörerinnen sehr interessiert, hat sie festgestellt. Damit die lokalen Heilpflanzen nicht aussterben, ist es wichtig, die Wälder intakt zu erhalten – so schließt sie immer wieder den Kreis zum Umweltschutz. Ihre Hoffnung ruht besonders auf der Jugend. Ihr größter Fan ist die eigene Tochter, die neunjährige Ana Raquel. „Ich möchte es auch einmal so weit bringen wie du“, hat sie ihr neulich gesagt. Für López war dies das schönste Lob.

Image
Honduras Biodiversity