„Klimawandel und Naturverlust bedrohen unseren Wohlstand“
GIZ-Vorständin Ingrid-Gabriela Hoven kommentiert den politischen Nachhaltigkeitsherbst.
Frau Hoven, dieser Herbst ist durchzogen von internationalen Konferenzen zum Thema Nachhaltigkeit. Interessiert sich angesichts von Wirtschaftsflaute, Migration und geopolitischen Umbrüchen noch jemand für das Thema?
Ich komme gerade vom Biodiversitäts-Gipfel in Cali. Und ich hatte sehr wohl den Eindruck, dass das Thema Aufmerksamkeit erfährt. Nicht nur die Zivilgesellschaft, sondern auch die Privatwirtschaft warb für einen Paradigmenwechsel. Das Interesse der Medien war groß und betonte die Dringlichkeit zu handeln – es ist 5 nach 12. Viele Menschen wollen eine umweltfreundliche Zukunft gestalten. Aber natürlich beschäftigen sie auch die Themen Wirtschaft, Migration und Krisen. Man sollte all das aber nicht gegeneinander ausspielen, sondern die Themen vielmehr im Zusammenhang sehen. Unser Wohlstand ist durch den Klimawandel und den Verlust an Biodiversität ernsthaft bedroht. Umgekehrt gilt: Je entschlossener wir den Umbau zu einer treibhausgasneutralen und naturfreundlichen Wirtschaft vorantreiben, desto größer können die Wohlstandsgewinne daraus sein. Neue Technologien, Geschäftsmodelle, Produkte, Märkte und unsere Gesundheit stehen sozusagen auf der Habenseite. Es gibt Berechnungen von McKinsey, die von deutlichen Wachstumsimpulsen ausgehen, aber die Trendwende gehen wir zu langsam an. Nach UN-Prognosen überschreiten wir die kritische Grenze von 1,5 Grad Erderwärmung schon in den nächsten vier Jahren. Und durch den beispiellosen Naturverlust ist dem Weltwirtschaftsforum zufolge die Hälfte der globalen Wirtschaftskraft in Gefahr. Das Thema Nachhaltigkeit vor diesem Hintergrund in die zweite Reihe zu schieben, halte ich für nicht angebracht.
„Auf der Hamburg Sustainability Conference wurden mehr als 15 Vereinbarungen geschlossen – so können starke Allianzen entstehen.“
Der Herbst begann mit dem Zukunftsgipfel in New York, dann folgte die Hamburg Sustainability Conference. Was nehmen Sie davon mit?
Die Treffen haben gezeigt, was auf dem Spiel steht, aber auch dass es weiterhin den Willen gibt, die Nachhaltigkeitsagenda voranzutreiben. In New York wurde ein „Global Digital Compact“ verabschiedet. Dieses internationale Rahmenwerk soll Leitplanken für eine zunehmend digitale Welt definieren und diese technologische Entwicklung ordnungspolitisch begleiten. Wir wissen heute, dass die Digitalisierung gerade den ökologischen Transformationsprozess beschleunigen und beflügeln kann und sprechen daher von einer „Twin Transition“. Deshalb hat die Verabschiedung dieses Compacts weit mehr als Symbolcharakter.
Welche Bedeutung hat die Hamburg Sustainability Conference? Sie wurde zum Teil als irrelevant kritisiert.
Das sehe ich anders. Die Konferenz war ein sehr guter Anfang. Sie soll für Nachhaltigkeit das werden, was München für Sicherheit ist: ein Treffen, bei dem ein Mal im Jahr alle maßgeblichen Akteure zusammenkommen, um sich auszutauschen und Nachhaltigkeitslösungen zu entwickeln, Vertreter*innen der Privatwirtschaft eingeschlossen. Ich habe das als sehr nutzbringend und wertvoll empfunden. Es wurden mehr als 15 Vereinbarungen geschlossen – zwischen Regierungen, Finanzagenturen, multilateralen Entwicklungsbanken, der Zivilgesellschaft, dem Privatsektor und internationalen Organisationen – so können starke Allianzen entstehen. Und genau solche Partnerschaften brauchen wir. Zu den Ergebnissen von Hamburg zählen Initiativen zu nachhaltigen Wasserstoffversorgungsketten für die globale Schifffahrt, fairen Rohstoffpartnerschaften für die Batterieproduktion und einer gerechteren internationalen Finanzarchitektur. Auch eine Hamburg-Charta für inklusive und faire Mobilität wurde verabschiedet.
Die Biodiversitätskonferenz in Cali bildete den Auftakt von drei COPs hintereinander in diesem Nachhaltigkeitsherbst. Ihr Fazit bisher?
Ich halte es vor allem für wichtig, die drei Themen Biodiversität, Klima und Wüstenbildung eng verknüpft zu bearbeiten: Sie gehören zusammen und verstärken sich gegenseitig – im Guten wie im Schlechten. Der Verlust an Biodiversität beschleunigt den Klimawandel. Wenn Wälder und Moore verloren gehen, wird CO2 freigesetzt. Bleiben sie hingegen intakt, speichern sie Unmengen an Kohlendioxid und dienen als natürliche Senke. Auch der Stopp des Landverlusts unterstützt den Klimaschutz, weil Ackerland und Wälder deutlich mehr CO2 speichern als Wüstenflächen. Umgekehrt kann der Klimawandel die Wüstenbildung und den Artenschwund noch beschleunigen, wie das Beispiel der Korallenriffe zeigt. Das heißt, diese Herausforderungen lassen sich nur als Ganzes bewältigen und nur, wenn wir die Menschen ins Zentrum der Lösungsansätze stellen.
Und doch haben wir drei separate Konventionen und Verhandlungsprozesse …
Das ist richtig, aber wir sehen, dass sich die Prozesse annähern. Im vergangenen Jahr bei der Klima-COP zum Beispiel hat Biodiversität eine große Rolle gespielt. Das war früher anders. Inzwischen sprechen viele schon von einer Doppel- oder sogar Tripel-Krise, wenn Land und Boden auch noch mitgedacht werden. Immer mehr Redner*innen bei den COPs machen entsprechende Querverweise.
Und was erhoffen Sie sich von der bevorstehenden Klima-COP?
Das kann man im Vorhinein nie sagen. Vergangenes Jahr in Dubai waren die Erwartungen nicht sehr hoch; das Treffen endete schließlich erfolgreicher als gedacht. Immerhin wurde dort zum ersten Mal offiziell das Ende der fossilen Energien in Aussicht gestellt. Auch wurde der Fonds „Loss and Damage“ durch verschiedene Finanzzusagen, unter anderem aus Deutschland, arbeitsfähig. Das war mehr, als viele dachten, mich eingeschlossen. Dieses Mal ist wieder ein erdölexportierendes Land Gastgeber; entsprechend erwarte ich mir weniger als vom Klima-Gipfel nächstes Jahr in Brasilien am Rande des Amazonas. Aber ich lasse mich gerne überraschen – und werde zusammen mit den anderen Vertreter*innen Deutschlands alles versuchen, um voranzukommen.
„Mehr als 130 Staaten haben mittlerweile beschlossen, bis zur Mitte des Jahrhunderts Net-Zero zu erreichen.“
Sie sprachen am Anfang von diversen Gefahren, die von höheren Erdtemperaturen ausgehen. Machen wir keine Fortschritte?
Doch, machen wir. Nehmen Sie die globale Energiewende. Vor zwanzig Jahren hätte niemand diese rasante Entwicklung für möglich gehalten. Als die erste Renewables Conference 2004 in Bonn stattfand, galt das Thema noch als nachrangig. Inzwischen boomen die Erneuerbaren nahezu überall auf der Welt. Beim Ausbau reiht sich ein jährlicher Rekord an den nächsten. Neue Studien zeigen sogar, dass der Globale Süden besonders rasch vorgeht beim Ausbau der regenerativen Energien und etwa ein Fünftel der Länder dort den Norden bereits überholt hat. Aus gutem Grund: Erneuerbare Energien sind klimafreundlicher, aber insgesamt auch billiger, und machen Staaten und Gesellschaften unabhängiger. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine war mit all seinen Folgen auch für die Energieversorgung für viele Politiker*innen ein Augenöffner. Mehr als 130 Staaten haben mittlerweile beschlossen, bis zur Mitte des Jahrhunderts Net-Zero zu erreichen. Hier sehe ich klare Fortschritte. Allerdings müssen wir bei der Transformation schneller und sehr viel ambitionierter werden. Und wir müssen die Menschen mitnehmen. Der neueste „Emissions Gap Report“, der jährlich vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen herausgegeben wird, prognostiziert ansonsten eine Erderwärmung von 3 Grad. Das kann sich niemand wünschen – weder für sich selbst noch für seine Kinder und Enkelkinder. Im Ergebnis brauchen wir also eine klima- und naturfreundliche, aber zugleich auch gerechte Wirtschaft. Und das möglichst schnell.
Wie setzt sich die GIZ für diese Transformation ein?
Wie ernst wir das Ziel einer nachhaltigen und sozial gerechten Transformation nehmen, möchte ich mit einer einzigen Zahl belegen: Etwa ein Drittel des GIZ-Portfolios wenden wir für den Klimasektor auf. Deutschland gehört zu den größten Gebern weltweit. Wir unterstützen Länder dabei, eine klimaneutrale Wirtschaft aufzubauen, Anpassungsmaßnahmen umzusetzen und die Schwächsten gegen die Folgen von höheren Temperaturen zu schützen. Neben klassischen Energieprojekten fördern wir dafür zum Beispiel auch die Ausbildung von Energieexpert*innen und Facharbeiter*innen – Stichwort „Green Skills“. Eine ganzheitliche Transformation kann nur gelingen, wenn es genügend ausgebildete Arbeitskräfte in den grünen Sektoren gibt. Als Fazit bedeutet das: Unser Engagement auf diesem Gebiet nützt dem Klimaschutz, der exportorientierten deutschen Wirtschaft und ist ein Beitrag zu internationaler Stabilität. Wenn uns dieser Wandel hin zu einer gerechteren und nachhaltigen Welt gelingt, dann ist das auch ein wichtiger Beitrag zu Frieden und Sicherheit. Die GIZ arbeitet weltweit für eine lebenswerte Zukunft – das ist unsere Mission und Motivation.