Inklusion ist eine Reise
Warum die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderungen in der internationalen Zusammenarbeit wichtig ist und welche Fortschritte es dabei gibt, erklärt Bernd Schramm.
Manche behaupten, Inklusion von Menschen mit Behinderungen sei teuer und komme nur wenigen zugute. Das ist falsch! Insgesamt haben 16 Prozent der Weltbevölkerung eine oder mehrere Behinderungen; der Anteil der Frauen ist höher als jener der Männer. Etwa vier Fünftel der Behinderungen sind unsichtbar. Etliche dieser Menschen sieht man kaum, weil es noch immer zu viele Barrieren gibt, die eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe verhindern. Inklusion ist also kein Luxus, um den man sich vielleicht kümmert, wenn noch Zeit und Geld vorhanden sind. Sondern sie ist für viele Menschen und deren Angehörige eine notwendige Voraussetzung für ein würdevolles Leben.
Dazu kommt: Von inklusiven und barrierearmen Gesellschaften profitieren alle. Ob es die Rampe ist für die Rollstuhlnutzer*innen, die dann auch Eltern für ihre Kinderwagen zur Verfügung steht; oder Voice-to-Text-Dienste, die als Transkriptionsprogramme dienen können; oder der Bus, der sich fürs Einsteigen zur Seite neigen kann und auch für ältere Menschen eine Hilfe ist. Was für Menschen mit Behinderungen notwendig ist, erleichtert das Leben vieler anderer. Zumal potenziell jeder Mensch vorübergehend auf einen barrierefreien Alltag angewiesen sein kann. Die wenigsten Behinderungen treten von Geburt an auf, viele werden im Laufe des Lebens durch Krankheit oder Unfälle erworben und bleiben nicht immer dauerhaft bestehen.
Verpflichtung und Nutzen gleichermaßen
Es gibt inzwischen klare Beweise dafür, dass inklusive Gesellschaften nachhaltiger sind, weil sie alle mitnehmen und dadurch unterschiedliche Fähigkeiten von Menschen nutzen können. Anders zu sein und anders zu denken, geht oft mit Innovationen einher; daraus können kreative Lösungen entstehen. Deshalb investieren wir im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit gezielt in die Ausbildung von Menschen mit Behinderungen auf solchen Gebieten, für die es auf dem Arbeitsmarkt eine Nachfrage gibt. Teilhabe an Bildung und Beschäftigung ist von zentraler Bedeutung auf dem Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft.
Die Basis für die Unterstützung der GIZ bildet die UN-Behindertenrechtskonvention, die mittlerweile 191 Staaten ratifiziert haben. Sie schafft keine Sonderrechte, sondern konkretisiert die universellen Menschenrechte aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen. Deutschland hat die Konvention 2007 unterzeichnet und sich damit zu deren Umsetzung verpflichtet. In Artikel 32 wird ausdrücklich auf die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit für die Förderung von Inklusion verwiesen. Entsprechend besteht für das BMZ und damit auch für die GIZ die Pflicht, diesen Vorgaben zu folgen. Inklusion ist dem BMZ-Menschenrechtskonzept zufolge aber auch Ausdruck der Menschenwürde und Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung.
Zahl der Projekte mit Inklusionsbezug steigt
Dazu tut sich einiges in der GIZ: Seit diesem Jahr gibt es vom Bundesentwicklungsministerium eine verbindliche OECD-DAC-Kennung für Projekte. Jedes neue Vorhaben muss angeben, ob es bei seiner Arbeit Menschen mit Behinderungen aktiv einbezieht. Das wirkt! Inzwischen wächst die Zahl der GIZ-Projekte mit Inklusionsbezug aufgrund neuer Zusagen aus dem BMZ. Es ist zwar noch immer einiges zu tun angesichts der 1,3 Milliarden Menschen mit Behinderungen weltweit, aber der Trend zeigt klar nach oben!
Zu den positiven Beispielen im GIZ-Portfolio zählt die IT Bridge Academy in Kenia, bei der Menschen mit Behinderungen zu Experten und Expertinnen für Netzwerktechnik und Cyber Security ausgebildet werden und unmittelbar danach Anschluss auf dem Arbeitsmarkt finden. Davon profitieren pro Jahr 150 junge Talente mit Behinderungen, davon 40 Prozent Frauen. Ein ähnliches Programm gibt es in Südafrika. In Jordanien werden inklusive Kindergärten und Schulen eingerichtet, um bereits bei der frühkindlichen Bildung anzusetzen und Chancengleichheit im Bildungssystem zu ermöglichen. Und für besonders benachteiligte Frauen und Mädchen mit Behinderungen in Simbabwe, die häufig von Gewalt betroffen sind, wurde in einem Projekt der Zugang zum Rechtssystem verbessert. Das sind nur einige aus einer steigenden Zahl an Projekten der GIZ.
Global Disability Summit 2025
Zudem bringt Deutschland mit Unterstützung der GIZ das Thema Inklusion auch international voran. Die Bundesrepublik richtet gemeinsam mit Jordanien und der International Disability Alliance, dem weltweiten Dachverband für Menschen mit Behinderungen, den nächsten Global Disability Summit Anfang April 2025 in Berlin aus. Die GIZ ist über das Globalvorhaben Inklusion an den Vorbereitungen beteiligt und unterstützt die drei Gastgeber.
Im Mittelpunkt des Gipfels stehen Selbstverpflichtungen für mehr Inklusion von unterschiedlichen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sowie neue Initiativen, etwa zu inklusiven und resilienten Städten oder für eine bessere Datenlage zu Menschen mit Behinderungen. Derzeit wird zudem eine ambitionierte Abschlusserklärung vorbereitet, welche die Zahl von Entwicklungsvorhaben mit Inklusionsbezug auf Länderebene deutlich erhöhen soll. Das wäre ein weiterer Schritt nach vorn, denn viele Entwicklungsprogramme sind immer noch nicht inklusiv. Es braucht mehr Verbindlichkeit, um dem Thema und den vielen Betroffenen gerecht zu werden.
Eine Frage der Haltung
Grundsätzlich gilt: Inklusion baut Barrieren und Diskriminierungen ab und schafft die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben. Sich auf diese Reise zu begeben, ist gar nicht so schwierig, aber ein ständiger Lernprozess. Es gibt immer etwas anzupassen, zu verbessern und neu auszuprobieren. Wichtig ist, die Reise überhaupt zu beginnen, also Inklusion konsequent auf allen Ebenen mitzudenken und einzuplanen. Das geht am besten über den persönlichen Kontakt und das gegenseitige Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen. Wenn man von Anfang an Vorkehrungen trifft, ist es auch nicht teuer. Und dafür braucht es nicht immer sofort ausgeklügelte Konzepte, manchmal reicht der Wille, etwas zu verändern. Inklusion ist deshalb vor allem eine Frage der Haltung. Denn auch Barrieren im Kopf tragen zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen bei.