Porträt
„Ich möchte ein Leben ohne Angst führen“
Wer Passy Mubalama kennenlernt, ist beeindruckt von ihrer inneren Stärke. Die Motivation, sich für ein besseres Leben in ihrer Heimat einzusetzen, verliert die Kongolesin offenbar nie. Kurz nach unserem ersten Gespräch bricht Ende Mai 2021 der Vulkan Nyiragongo nahe der Zweimillionenstadt Goma aus. Wie 400.000 andere Menschen in der Region Nord-Kivu muss die 37-Jährige fliehen. Mehr als 30 Menschen sterben bei der Naturkatastrophe. Als wir schließlich wieder ein Lebenszeichen von Passy Mubalama bekommen, hat sie die Arbeit in der von ihr gegründeten Nichtregierungsorganisation „Aidprofen“ schon wieder aufgenommen.
Aufgeben war noch nie eine Option für die Menschenrechtsaktivistin, trotz aller widrigen Umstände. Der Nyiragongo war bereits 2002 ausgebrochen. Auch damals musste ihre Familie flüchten und fand sich plötzlich in einer winzigen Hütte in einem Camp für Binnenflüchtlinge wieder. Neben Naturkatastrophen war Passy Mubalamas Kindheit und Jugend vor allem von politischer Instabilität geprägt. 1994 wurden im Nachbarland Ruanda binnen weniger Wochen mehr als 800.000 Tutsi sowie gemäßigte und oppositionelle Hutu ermordet. Viele Menschen flüchteten über die Grenze. In Goma war die Lage dramatisch. „Für uns Kinder war es verstörend anzusehen, dass Menschen auf der Straße starben, weil sie nichts zu essen hatten.“ In den folgenden Jahren kehrte in ihrer kongolesischen Heimat keine Ruhe ein. Nach dem Sturz des diktatorischen Machthabers Mobutu Sese Seko durch Rebellenchef Laurent-Désiré Kabila folgten weitere Kriege in der Region, die reich an wertvollen Bodenschätzen ist.
Die Sorge, selbst erschossen zu werden oder ein Familienmitglied zu verlieren, wurde für Passy Mubalama zum täglichen Begleiter. Zwar habe sich die Lage etwas stabilisiert, sagt sie. Doch von Frieden ist keine Rede. „Die Mehrheit der Bevölkerung geht nach 19 Uhr nicht mehr raus. Schon gegen 18 Uhr versuchen alle, nach Hause zu kommen“, berichtet die Kongolesin. „Es kommt zu Entführungen und Ermordungen. Wir hören täglich, dass wieder jemand umgebracht wurde.“
Tatenlos zusehen wollte sie nie
Passy Mubalama haben all diese Erfahrungen motiviert, aktiv zu werden. Tatenlos zusehen wollte sie nie. Zunächst arbeitete sie als Journalistin und berichtete über Menschenrechtsverletzungen. 2011 gründete sie ihre eigene Organisation: eine, die Frauen stärkt und für ein friedliches Miteinander kämpft. „Ich war von den vielen Fällen auch sexueller Gewalt in Flüchtlingscamps schockiert und fand, es reicht nicht, nur darüber zu schreiben. Ich musste selbst etwas dagegen unternehmen. Als Kongolesin trage ich Verantwortung.“ So ist „Aidprofen“ entstanden, eine Nichtregierungsorganisation, die versucht, Menschen zusammen zu bringen. In einer Region, in der Gewalt, Willkür und Misstrauen zum Alltag gehören und in der es kein Vertrauen in staatliche Strukturen gibt, ist das keine einfache Aufgabe. Passy Mubalama setzt dafür auf ihre guten Kontakte in alle religiösen und gesellschaftlichen Gruppen.
Talente für den Frieden suchen
Um Botschaften für ein friedliches Zusammenleben zu verbreiten, hat die Organisation bereits zwei Talentwettbewerbe veranstaltet. Junge Menschen aus unterschiedlichen Ethnien oder Glaubensrichtungen wurden aufgerufen, zusammen Lieder, Theaterstücke oder Gedichte schreiben. „Unser größter Erfolg ist, dass sie das bis zum Ende gemeinsam durchgezogen haben“, strahlt sie. Ganz gezielt hat Passy Mubalama dabei auch junge Frauen angesprochen und später zur großen Präsentation Journalistinnen und Journalisten eingeladen. Es ist schließlich ein weiteres Ziel von „Aidprofen“, Frauen in der Gesellschaft mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. „Sie müssen in der Gesellschaft künftig eine größere Rolle spielen, mehr entscheiden.“
Der Anstoß für den Talentwettbewerb kam aus dem Netzwerk „Religionsübergreifender Dialog über gewalttätigen Extremismus“, kurz iDove (Interfaith Dialogue on Violent Extremism). 2017 war iDove als Pilotprojekt gemeinsam vom African Union Citizens and Diaspora Directorate und der GIZ im Auftrag des BMZ ins Leben gerufen worden. Die Idee dahinter: Menschen wie Passy Mubalama zu bestärken, damit sie gegen gewalttätigen Extremismus unter jungen Leuten angehen und andere für ein friedliches Miteinander begeistern.
Von Anfang an bei iDove dabei
Sie sei eine iDoverin der ersten Stunde, sagt Passy Mubalama stolz. Die erste aus der Demokratischen Republik Kongo. Vor vier Jahren war sie auf der Homepage der Afrikanischen Union (AU) darauf aufmerksam geworden und hatte sich beworben. Der regelmäßige Austausch mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten aus 61 Ländern inspiriert Passy Mubalama besonders. Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie nahm sie an den iDove-Konferenzen in Addis Abeba in Äthiopien sowie in der senegalesischen Hauptstadt Dakar teil. Seither tauschen sie sich vor allem über WhatsApp-Gruppen und virtuelle Zoom-Treffen aus. Von den Hürden lässt sich die iDoverin nicht beirren. Die Kongolesin ist fest davon überzeugt, dass Extremismus verhindert werden kann. Neben der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit sei dafür ein anhaltender Dialog notwendig. „Das ist der Schlüssel.“
Deshalb setzt sie sich für mehr Miteinander in ihrer krisengebeutelten Heimat ein. „Aidprofen“ bietet Trainings zu Friedensbotschafterinnen und -botschaftern zwischen verfeindeten Gruppierungen an. Auch dies ist vom iDove-Netzwerk inspiriert. Die ersten 20 jungen Leute haben bereits mitgemacht. Durch Veränderungen von ganz unten will Passy Mubalama ihrem großen Ziel für sich und ihre Landsleute einen Schritt näher kommen: „Ich möchte endlich ein Leben ohne Angst führen.“
Akzente 09/2021