Gastbeitrag

Hier Verschwendung, dort Hunger

Millionen Menschen sind unterernährt, während zugleich tonnenweise Lebensmittel verderben oder weggeworfen werden. Das geht uns alle etwas an.

Text
Jessica von Blazekovic

Iss deinen Teller leer, in Afrika verhungern die Kinder“ – wer kennt diesen Spruch nicht aus seiner Kindheit? Inzwischen sind viele Eltern glücklicherweise zu der Erkenntnis gelangt, dass es falsch ist, Kinder zum Aufessen zu zwingen. Kein Kind in Äthiopien wird allein deshalb satt zu Bett gehen, weil der kleine Noah in Berlin-Kreuzberg seinen Kartoffelstampf aufgegessen hat. Ohnehin sind es vielmehr die Erwachsenen, die sich diese Redensart aus der Mottenkiste der Erziehungsmaßnahmen zu Herzen nehmen sollten: Weltweit landen Schätzungen zufolge jedes Jahr 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel im Müll, ein Drittel der Gesamtproduktion. Das Bundeslandwirtschaftsministerium geht davon aus, dass allein in Deutschland jährlich 12 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden – mehr als die Hälfte davon in privaten Haushalten.

„Kein Kind in Äthiopien wird allein deshalb satt zu Bett gehen, weil der kleine Noah in Berlin-Kreuzberg seinen Kartoffelstampf aufgegessen hat.“

Das ist angesichts von rund 700 Millionen hungernden Menschen auf der Welt (eine Zahl, die seit 2014 wieder steigt) nicht nur aus ethischen Gründen ein Problem. Zwar konnte ein kausaler Zusammenhang zwischen dem verschwenderischen Lebensstil der Industrienationen und dem Hunger in den Entwicklungsländern bislang nicht hergestellt werden. Und doch gehen Organisationen wie die Welthungerhilfe davon aus, dass unser Verhalten durchaus einen Einfluss auf den sicheren Zugang zu Nahrung für Menschen in anderen Weltgegenden hat.

So liegen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge inzwischen rund zwei Drittel der Ackerflächen im Ausland, die für die Produktion von Lebensmitteln für deutsche Verbraucher benötigt werden. Je größer hierzulande also die Nachfrage nach Lebensmitteln, desto mehr Anbaufläche wird andernorts für den Export benötigt und geht dem Heimatmarkt verloren. Werden die Anbauflächen knapper, steigen zudem die Preise für Lebensmittel; das erschwert Menschen in Entwicklungsländern den Zugang zu Nahrung noch zusätzlich. Ein in diesem Zusammenhang häufig verwendeter Begriff ist das „Land Grabbing“ internationaler Investoren, die Ackerland für den Anbau sogenannter Cash-Crops aufkaufen. Das sind lukrative Nutzpflanzen wie zum Beispiel Soja oder Mais, die nur dem Export und nicht der Selbstversorgung der Bäuerinnen und Bauern dienen.

Der Klimawandel verschärft die globale Hungersnot. Von Asien bis Afrika zerstört er die Lebensgrundlage von Millionen Menschen, weil Böden erodieren oder Dürren und andere Wetterextreme den Anbau von Nahrungsmitteln erschweren. Und auch hier spielt die Verschwendung von Lebensmitteln eine Rolle: Sie hat Schätzungen zufolge einen CO2-Fußabdruck von jährlich 3,6 Gigatonnen Kohlendioxid und trägt damit in einem fast so großen Ausmaß zur Klimaerwärmung bei wie der globale Straßenverkehr.

Nein, die Menschen in Deutschland können die weltweite Hungersnot nicht allein dadurch beenden, dass sie weniger Lebensmittel wegwerfen. Das Thema ist weitaus vielschichtiger; fragile Staaten, Krisen und Konflikte, aber auch Schwierigkeiten bei der Lagerhaltung und Verteilung von Nahrung tragen dazu bei. Doch es spricht viel dafür, dass die Art und Weise, wie wir mit Lebensmitteln umgehen, ein bedeutender Teil des Problems ist. Deshalb sollten wir auch alle, nicht nur Noah in Berlin-Kreuzberg, an dessen Lösung arbeiten – und beim Essen maßhalten.

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