Reportage

Geld für kreatives Wachstum

Damit Frauen in Jordanien mit eigenen Unternehmen durchstarten können, brauchen sie Finanzwissen – und Zugang zu Geld und digitalen Tools. Wir haben zwei Gründerinnen besucht, die sich damit auf den Weg gemacht haben.

Text: Brigitte Spitz Fotos: Rajiv Raman

Die Arbeitsplätze von Nisreen Pharaon und Reem Al-Smeirat könnten nicht unterschiedlicher sein. Hier ein Schmuckgeschäft in einem der schicken Einkaufszentren von Amman, dort eine Autowerkstatt nordwestlich von Jordaniens Hauptstadt. Beide Jordanierinnen verbindet der Wunsch, selbstständig zu arbeiten. Doch gerade Frauen haben es in der traditionellen Gesellschaft oft schwer, Kredite oder Investitionen zu erhalten, um ihren Unternehmen den richtigen Schub zu geben und zu wachsen.

Nisreen Pharaon und Reem Al-Smeirat haben sich von diesen Hürden nicht aufhalten lassen. Sie wurden auf dem Weg zu ihren eigenen Firmen von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und ihren jordanischen Partnern unterstützt. Kleine Betriebe sind das Herz der Wirtschaft in dem haschemitischen Königreich. Sie stellen die meisten Arbeitsplätze. Das ist wichtig in einem Land, dessen Bevölkerung sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt hat – Jordanien hat allein rund 650.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen.

99
Prozent
aller jordanischen Betriebe haben weniger als 100 Beschäftigte.

Kleine Firmen groß machen

Damit kleine Unternehmen in Jordanien ihr Potenzial besser ausschöpfen und wachsen können, erhalten sie Unterstützung durch die Projekte „Innovative Ansätze für die finanzielle Inklusion von Kleinst-, kleinen und mittleren Unternehmen (KKMU) in Jordanien“ und „Beschäftigungsorientierte Förderung von KKMU“. Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung arbeitet die GIZ mit der Jordanischen Zentralbank und weiteren Partnern zusammen. So sollen vor allem mehr Frauen Finanzinstrumente wie Mikrokredite und Darlehen nutzen können.

Länder-Wiki
Land: Jordanien
Hauptstadt: Amman
Bevölkerung: 11,3 Mio.
Rang im Human Development Index: 102 von 191 Staaten/Gebieten
Erwerbsquote von Frauen: 14 Prozent
Quelle: Weltbank; HDR

Autodesignerin in Jordanien

Unerschrocken neue Wege gehen, das ist das Ding von Reem Al-Smeirat. Seit sie als Kind von ihrem Vater ein Modell des ikonischen BMW 850 geschenkt bekam, begeistert sie sich für Autos. Dass es Frauen in der Branche schwer haben, hat sie nicht abgeschreckt. Sie studierte zunächst an der Deutsch-Jordanischen Universität in Amman Industriedesign und absolvierte ein Semester an der Hochschule Magdeburg-Stendal. 2020, nachdem sie den Master in Transportdesign erlangt hatte, erhielt sie von einer Universität in Turin das Zertifikat „erste Autodesignerin im Nahen Osten“.

Danach gründete die junge Jordanierin zwei Start-ups: Das eine ist ein Unternehmen für Autodesign, mit dem sie in der arabischen Region an verschiedenen Projekten für neue Wege der Mobilität arbeitet. Außerdem betreibt sie in der Nähe von Amman eine Werkstatt, in der (vor allem) Frauen in Technik und Autopflege ausgebildet werden.

„Ich wusste anfangs nichts – nicht, wie man seine Steuern berechnet, sein Unternehmen anmeldet oder wie viel alles kostet“, erinnert sich Reem Al-Smeirat. „Der wirklich schwere Teil bei der Unternehmensgründung war aber der Zugang zu Finanzierungen.“ Vor allem Kleinstbetriebe mit vier oder weniger Beschäftigten können fast nie auf Kredite zurückgreifen, hat eine Studie der GIZ und der Jordanischen Zentralbank gezeigt. Der Grund sind konservative Kreditwürdigkeitsprüfungen, die sehr kleinen Betrieben oft keine Chance geben.

Reem Al-Smeirat profitierte vom Gründerinnenprogramm „Wathba“ des GIZ-Partners Amam Ventures. „Wathba war der sichere Ort, um laut zu denken, Fehler zu machen und die richtige Richtung einzuschlagen." Die Vernetzung mit Menschen aus ihrer Branche waren für sie sehr hilfreich. Ebenso offene Diskussionen über jede Frage und jeden Gedanken zu ihrer Geschäftsidee, erinnert sich Reem Al-Smeirat: „Ehrlich gesagt ist das am Anfang der Reise das, was wirklich zählt." Die energiegeladene Autodesignerin konnte schließlich ihr Unternehmen zum Laufen bringen. Sie erhielt Zugang zu Krediten über einen Entwicklungs- und Beschäftigungsfonds für junge Menschen in Jordanien.

Was sie anderen Frauen rät, die sich selbstständig machen wollen? „Lesen, lernen und so viel wie möglich über unterstützende Mentorenprogramme oder Inkubatoren recherchieren“, sagt Reem Al-Smeirat und schiebt noch ein Gandhi-Zitat nach: „Sei die Kraft der Veränderung, die du in der Welt suchst.“

Image
Reem Al-Smeirat Rajiv Raman

Reem Al-Smeirat

Lernen, wie man ein Geschäft betreibt

Nisreen Pharaon ist ein kreativer Mensch. Die Jordanierin steht vor Glasvitrinen mit ihren handgefertigten Armbändern, Ketten und Ohrringen und strahlt. Hier in dem Ausstellungsraum, den sie mit anderen Designerinnen im angesagten Einkaufszentrum Swefieh Village teilt, zeigt sie ihre Kollektion. Featherlight Jewelry, federleichter Schmuck, heißt ihre Firma. Doch der Start zu einem richtigen Unternehmen war eher schwer.

„Ich wusste anfangs nichts über die finanzielle Seite, nichts über Darlehen, Geschäftskonten oder Bilanzen“, sagt sie und erzählt, dass sie klein angefangen habe. Vor gut zehn Jahren, als Mutter von damals drei kleinen Jungs, machte sie ihr Hobby zum Beruf. Nach den begeisterten Reaktionen von Freund*innen zeigte sie ihre Kreationen auf Basaren und Ausstellungen in Amman. Dafür waren zunächst keine großen Investitionen nötig und sie bekam finanzielle Unterstützung von ihrem Mann und ihrem Vater.

„Als ich dann 2019 meinen Laden hier eröffnete, hatte ich das Gefühl, jetzt ist es ein richtiges Unternehmen.“ Kurz darauf legte die Corona-Pandemie auch in Jordanien alles lahm. Nisreen Pharaon gab nicht auf, warb fortan über Social-Media-Kanäle für ihren Schmuck und nahm Onlinebestellungen an. Und sie nahm an einem Trainingskurs von Aman Ventures für junge Unternehmerinnen teil, einem von der GIZ unterstützten Programm. 

„Ich habe vor allem von der Finanz- und Rechtsberatung profitiert. Hier brauchte ich Hilfe, denn als Kreative denke ich vor allem daran, ob die Produkte gut aussehen“, sagt Nisreen Pharaon, „aber das reicht nicht.“ Mit dem neuen finanziellen Wissen konnte sie nach der Pandemie ihren Laden wieder eröffnen und professionell betreiben. Inzwischen beschäftigt sie drei Frauen. Als Nächstes will die Designerin eine Website aufbauen. Sie ist neugierig geworden, wie sie ihre Finanzen besser verwalten kann, und interessiert sich auch für neue Tools: digitale Werkzeuge, die finanzielle Transaktionen für kleine Betriebe wie den der Schmuckdesignerin leichter machen, etwa durch leichtere Rechnungsstellung. 

So ein Tool ist „Qawn“, übersetzt „Universum“, die erste cloudbasierte soziale Finanzplattform in der MENA-Region, also den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas. Die Jordan Ahli Bank, Partner der GIZ, hatte im Sommer 2023 diese App vorgestellt. Mehr zu FinTechs, Kleinstunternehmen und Kreditbewertung im folgenden Interview. 

Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei:
SDG 1: Keine Armut SDG 4: Hochwertige Bildung SDG 5: Geschlechtergleichheit SDG 8: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum SDG 17: Partnerschaften zur Erreichung der Ziele