Image
..
Reportage
01/2022

Gefrorene Sonne

So funktioniert grüne Wirtschaftsbelebung: Ein deutsch-indonesisches Erfolgsprojekt zeigt, wie erneuerbare Energie die lokale Wirtschaft in Fischerdörfern des Archipels stärken kann – mit solarbetriebenen Eismaschinen. 

Text
: Brigitte Spitz

Bis jetzt mussten die Menschen aus Sulamu jeden Tag mit ihren Booten über die weite Bucht von Kupang nach Süden fahren, um Eis für ihren Fisch zu holen. Vom Ufer ihres Dorfes können sie die Lichter der Hauptstadt der indonesischen Provinz Ost-Nusa-Tenggara sehen. Während sich Kupang in den letzten beiden Jahrzehnten stark entwickelt hat, tat sich in Sulamu wenig. Es gibt eine Moschee, eine Schule, kleinere Verkaufsstände in der Dorfstraße und einen alten Leuchtturm. Sulamu ist eine typische kleine Ortschaft auf dem indonesischen Archipel, der rund 17.500 Inseln zählt. Ein Dorf jenseits der großen Städte und der touristischen Hotspots auf Java und Bali. Die 1.500 Menschen in Sulamu leben sehr einfach, die meisten von ihnen von Landwirtschaft und vor allem vom Meer. Mit Algenernte und Fischfang ernähren viele ihre Familien.

Es sind Kleinfischerinnen und -fischer wie die von Sulamu, die mit ihren traditionellen Methoden sehr wichtig zur Erhaltung der reichen Meeresbiodiversität Indonesiens sind. Nachhaltige Praktiken, etwa mit Langleinen oder Reusen, vermeiden Überfischung und Beifang. Familienbetriebe stellen landesweit rund 80 Prozent der Beschäftigten in der Fischereibranche. Aber ohne funktionierende und preiswerte Kühlung ihres Fangs fehlt ihnen meist der wirtschaftlich wichtige Zugang zu den Märkten. Die industrielle Großfischerei macht die Geschäfte – und die sind erheblich: Indonesien ist der zweitgrößte Fischproduzent weltweit.

 

Bildergalerie Accordion

Bei den kleinen Fischereien reicht die Frischequalität nicht für den Export und auch lokal können sie nicht immer alles verkaufen. Blockeis für die Boote von Sulamu gibt es nur in den Kühlfabriken von Kupang. Es muss Tage vorher reserviert werden und ist nicht immer ausreichend vorhanden. Dann gehen die Fischerinnen und Fischer von Sulamu leer aus. „Manchmal müssen sie 15 Tonnen Fisch wegwerfen, weil er wegen fehlender Kühlmöglichkeiten verdorben ist“, sagt Gabriel Kennenbudi. Der Indonesier kommt aus der Gegend und kennt die Probleme der Menschen. Als er von einem Studienfreund von der Idee für eine solarbetriebene Eismaschine hörte, entschloss sich der 54-Jähige, in das Pilotprojekt des Solar Ice Makers zu investieren.

Jeden Tag bis zu 1,2 Tonnen Eis

Kennenbudi arbeitet hauptberuflich in der Verwaltung von Kupang. Der Diplom-Ingenieur ist an neuen Technologien interessiert und finanzierte das Gebäude in Sulamu, in dem ab 2022 der Solar Ice Maker jeden Tag je nach Sonneneinstrahlung bis zu 1,2 Tonnen Blockeis produzieren wird. Das sind  120 Quader à 10 Kilogramm. Auf dem Dach der kleinen Fabrikhalle sind bereits die Photovoltaik-Elemente installiert, die  Kühlanlage wird Ende 2021 eingebaut. Die Pandemie mit den Reisebeschränkungen und Lockdowns hatte den Aufbau verzögert. Dennoch haben alle Beteiligten unaufhaltsam das Projekt vorangetrieben.

Denn gerade für die Zeit nach Corona zeigt der Solar Ice Maker anschaulich, wie eine grüne Wirtschaftsbelebung aussehen kann. Eine, die alle mitnimmt. Eine echte Win-win-Situation, findet Dadan Kusdiana, Generaldirektor für Neue, Erneuerbare Energien und Ener­gieeinsparung im indonesischen Minis­terium für Energie und Bodenschätze und politischer Partner des Projekts: Die ländliche Produktivität werde verbessert, das Einkommen der Kleinfischerinnen und -fischer erhöht und gleichzeitig kann Indonesien durch die CO2-Einsparungen seine Klimaziele schneller erreichen. „Kühlung durch Solarenergie – und insbesondere die Technologie der solarbetriebenen Eismaschinen – trägt zum grünen Aufschwung Indonesiens nach der Pandemie bei“, lobt Dadan Kusdiana.

Image
Fischfang ist Lebensgrundlage auf dem gesamten Archipel.

Fischfang ist Lebensgrundlage auf dem gesamten Archipel. © Mahyuddin/Afp Via Getty Images

Wie aber funktioniert der Solar Ice Maker? Durch Sonne wird Eis produziert – und das völlig klimaneutral. Der Knackpunkt war, Solar- und Kältetechnik in der Anlage möglichst effektiv zu verbinden. Denn Sonnenenergie ist im tropischen Indonesien zwar reichlich verfügbar, aber Solarmodule bieten nur begrenzt Strom. Deshalb kommen in der Kühlanlage ein höchst effizienter Motor und spezielle Ventilatoren zum Einsatz. Hier haben die Ingenieure bei den Flügeln der Eule abgeschaut, die besonders leise und damit ener­giesparend fliegt. Ein intelligentes Energiemanagementsystem und Sensortechnik machen es zudem möglich, dass sich die Eisproduktion dynamisch und automatisch an die Sonnenenergie anpasst. Ein Wunderwerk der Technik, das weder einen Stromanschluss noch einen großen Batteriespeicher benötigt.

Ganz konkret spart allein die Pilotanlage in Sulamu jährlich 40 Tonnen CO2 ein, weil rund 14.000 Liter Diesel pro Jahr für Stromproduktion und Transport von Eis eingespart werden. Gleichzeitig verhindert die Kühlung, dass der kostbare Fisch verdirbt. Die Kleinbetriebe können ihren gekühlten Fang erfolgreich vermarkten. Allein bei Thunfisch ist der Preis von gekühlter und qualitativ hochwertiger Ware mehr als zweieinhalbfach so hoch wie der von schlechter Qualität. Das schafft jährlich eine verbesserte Wertschöpfung von umgerechnet mindestens 60.000 Euro pro Standort. Dieses zusätzliche Geld könnte künftig den Fischerfamilien zur Verfügung stehen – etwa für Investitionen in die Ausbildung ihrer Kinder.

„Besser geht’s nicht“, findet Steffen Sinn, beim deutschen Ventilatorenhersteller Ziehl-Abegg zuständig für den südost­asiatischen Markt: „Ich war von Anfang an begeistert, denn ich kenne Indonesien gut. Alles, was die Lebensbedingungen der Menschen verbessert und gleichzeitig zum Klimaschutz beiträgt, macht die Welt lebenswerter.“

Familienbetriebe stellen landesweit rund 80 Prozent der Beschäftigten in der Fischereibranche.

Familienbetriebe stellen landesweit rund 80 Prozent der Beschäftigten in der Fischereibranche. 

Initiative mit Weitblick

Indonesien ist der weltgrößte Inselstaat und vom Klimawandel besonders betroffen. Das südostasiatische Land möchte nach der Corona-Pandemie auf grüne Investitionen und Arbeitsplätze setzen und die ländliche Produktivität mittels erneuerbarer Energien voranbringen. Die GIZ unterstützt unter anderem die Verbreitung der sonnenbetriebenen Eismaschine Solar Ice Maker. Die Entwicklung begann 2016, eingebettet in das indonesisch-deutsche Energieprogramm mit verschiedenen Projekten und Auftraggebern, darunter das BMZ. Derzeit ist die Initiative beim Projekt „ExploRE“ (Strategische Erschließung wirtschaftlicher Minderungspotenziale durch den Einsatz Erneuerbarer Energien) verankert, das vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben wurde. Es wird auch durch Corona-Recovery-Hilfen Deutschlands unterstützt.

Kontakt: Frank Stegmüller, frank.stegmueller@giz.de

Die Firma aus Baden-Württemberg ist eines von neun Privatunternehmen, die den Solar Ice Maker in der Praxis vorangetrieben und mitfinanziert haben. „Wir setzen auf den Multiplikatoreffekt und hoffen, dass der Solar Ice Maker auch in anderen entlegenen Regionen der Welt für energieeffiziente, grüne Kühlung sorgen wird.“ Ähnlich optimistisch ist auch Frank Stegmüller, bei der GIZ verantwortlich für die innovativen Eismaschinen. „Allein in Indonesien mit seinen 540 kleinen, lokalen Häfen ist das Potenzial für diese herausragende Technologie enorm“, betont er.

Bereits 2016 hatte die GIZ das Projekt angestoßen. Schon damals – Jahre vor der Pandemie – ging es darum, wie die traditionelle indonesische Kleinfischerei nachhaltig gestärkt und lokale Arbeitsplätze geschaffen werden können. Schnell war klar, dass Blockeis, hergestellt mit lokaler erneuerbarer Energie, ein Hebel für die Entwicklung ist. Koordiniert durch die GIZ übernahm damals das deutsche Institut für Luft- und Kältetechnik Dresden (ILK) die Entwicklung einer besonderen solarbetriebenen Eismaschine und später den Transfer der Technologie nach Indonesien zur Produktion vor Ort.

Länder Wiki
INDONESIEN

LAND: Indonesien

HAUPTSTADT: Jakarta

BEVÖLKERUNG: 271 Millionen

BRUTTOINLANDSPRODUKT PRO KOPF: 3.870 US-Dollar

WIRTSCHAFTSWACHSTUM: -2,1 Prozent (2020)

RANG IM HUMAN DEVELOPMENT INDEX: 107 von 189

Quelle: Weltbank

„Das Dresdner ILK-Team hat ganz herausragend gearbeitet und sich auf die Bedingungen in Indonesien eingelassen“, lobt Frank Stegmüller. Die GIZ hat die passenden Partner gesucht, die Produktion mit lokalen, deutschen und europäischen Unternehmen in Indonesien etabliert und für die transparente Kommunikation zwischen allen Beteiligten gesorgt.

Mit dem Pilotprojekt kann künftig  für den Solar Ice Maker geworben werden. Die GIZ arbeitet jetzt mit der maritimen nichtstaatlichen Organisation International Pole & Line Foundation zusammen, um die Verbreitung des Solar Ice Makers voranzutreiben. Die Produktion liegt fortan bei dem indonesischen Industrieunternehmen Selaras Mandiri Tehnik (SMT). Das schafft vor Ort langfristig nachhaltige, grüne Jobs – nicht nur auf Java, dem politischen und wirtschaftlichen Zentrum Indonesiens, sondern auch im weit entfernten Sulamu.

„Die Eisproduktion bietet auch für die Jugend in diesem Dorf neue Beschäftigungsmöglichkeiten“, sagt Gabriel Kennenbudi. Der Investor denkt weiter und möchte rund um die Eisproduktion eine zentrale Anlaufstelle für Fischerinnen und Fischer schaffen, wo sie alles bekommen, von der Angelerlaubnis über Treibstoff bis zur Ausrüstung. „Wenn wir erst einmal damit angefangen haben, hoffe ich, dass mehr Menschen daran interessiert sein werden, hier umweltfreundliche Investitionen zu tätigen“, sagt der Indonesier. Fürs Erste aber müssen die Fischerinnen und Fischer aus Sulamu nicht mehr für die Eisblöcke über die Bucht von Kupang tuckern, damit ihr kostbarer Fang nicht verdirbt. Der Anfang ist gemacht.

Ziele für nachhaltige Entwicklung
Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei:
SDG 1: Keine Armut SDG 7: Bezahlbare und saubere Energie SDG 12: Nachhaltige/r Konsum und Produktion SDG 13: Maßnahmen zum Klimaschutz SDG 14: Leben unter Wasser