Es gibt drei regionale Menschenrechtsgerichtshöfe weltweit:
• Den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (Corte Interamericana de Derechos Humanos, Corte IDH) mit Sitz in San José, Costa Rica
• Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg, Frankreich
• Den Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker (African Court on Human and Peoples’ Rights) in Arusha, Tansania
„Frauen inspirieren“
Die Präsidentinnen der drei regionalen Menschenrechtsgerichtshöfe im akzente-Interview: Imani Daud Aboud aus Afrika, Nancy Hernández López aus den Amerikas und Síofra O’Leary aus Europa über Frauen in der Justiz, Vorbilder und die Zusammenarbeit über Kontinente hinweg
Mit Ihnen, Frau Aboud, Frau Hernández und Frau O’Leary, stehen erstmals Frauen an der Spitze aller regionalen Gerichtshöfe für Menschenrechte. Was bedeutet das für Sie?
Síofra O’Leary: Das ist ein starkes Signal an Frauen und Mädchen auf unseren verschiedenen Kontinenten. Es zeigt, dass das Durchbrechen der gläsernen Decke in der Justiz zwar Zeit braucht, aber möglich ist. Ich bin die 16. Person an der Spitze des Europäischen Gerichtshofs und die erste Frau auf dieser Position seit seiner Gründung im Jahr 1959. Ein Menschenrechtsgerichtshof muss die Gesellschaft widerspiegeln, der er dient. Daher war es nicht vertretbar, eine lange und ununterbrochene Reihe von männlichen Präsidenten fortzusetzen. Es ist wichtig, dass Frauen auf Richterbänken und in Führungspositionen in der Justiz Plätze einnehmen. Wir müssen die Legitimität der Justiz in den Augen der Öffentlichkeit sicherstellen und auch die Qualität der Urteile verbessern, indem wir ein breiteres Spektrum an Lebenserfahrungen einbeziehen.
Imani Daud Aboud: Diese Entwicklung zeigt einen entscheidenden Wandel in Richtung Inklusion und Abbau geschlechtsspezifischer Barrieren im Rechts- und Menschenrechtsbereich. Sie vermittelt die klare Botschaft, dass Frauen nicht nur am Kampf für die Menschenrechte beteiligt sind, sondern auch den Kurs der Justiz und des Eintretens für die Menschenrechte mitbestimmen. Es ist ein Hoffnungsschimmer und auch ein Modell für Institutionen weltweit. Es unterstreicht die Bedeutung von Vielfalt und Geschlechterparität auf allen Führungsebenen.
Nancy Hernández López: Aber es darf kein Einzelfall bleiben. Es ist immer noch die Ausnahme, dass Frauen Führungs- und Entscheidungspositionen in der Justiz erreichen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Frauen auch weiterhin in diesen Gremien vertreten sind und mitwirken. Ich verpflichte mich, unermüdlich daran zu arbeiten, diesen positiven Trend zu verstärken und ein Vermächtnis zu schaffen, das künftige Generationen von Frauen dazu inspiriert, ihre Ziele im Rechtsbereich zu erreichen.
Nancy Hernández López
Das passt zum Motto des Internationalen Frauentags 2024: „Inspire Inclusion“ – „Inklusion inspirieren“. Die Vorbildrolle ist für Sie alle wichtig?
O’Leary: Ja, auch wenn es nicht immer angenehm ist, im Rampenlicht zu stehen, ist mir klar, dass meine derzeitige Position jüngere Frauen inspirieren kann. So denken sie vielleicht über eine Karriere im Rechtswesen oder in multilateralen und supranationalen Organisationen wie dem Europarat und der Europäischen Union nach.
Hernández: Ich finde auch, es ist meine Verantwortung als weibliche Führungskraft, meine Geschichte sichtbar zu machen. Ich muss zeigen, wie unterschiedlich Frauen sind und wie wichtig ihre Vertretung ist. Heute bin ich an diesem Platz, aber ich hoffe, dass morgen auch Frauen mit einer anderen Geschichte als der meinen diesen Platz einnehmen werden. So dass wir das berufliche und persönliche Wachstum anderer Frauen aus verschiedenen Generationen fördern können. Ich hoffe, dass die nächste Generation nicht nur Risse in die gläserne Decke reißt, sondern sie auch durchbricht, um eine demokratischere und gerechtere Gesellschaft zu schaffen.
Aboud: Das Motto „Inspire Inclusion“ entspricht ganz meiner Entschlossenheit, ein Vorbild zu sein. Die nächste Generation zu inspirieren, ist nicht nur ein Privileg, sondern auch eine große Verantwortung. Es geht darum, Stereotype abzubauen, Frauen und Mädchen Wege in Bildung und Beruf zu eröffnen. Es geht darum, junge Frauen aktiv zu unterstützen, damit sie Führungsrollen übernehmen können. Dazu müssen wir dafür sorgen, dass es konkrete Unterstützung für persönliche Entwicklung und Erfolge gibt. Dazu gehören Stipendien, Praktika und Mentorenprogramme für Frauen im Rechtsberuf. Wichtig ist auch die Förderung einer geschlechtersensiblen Politik in den Justizorganen. Und die Leistungen von Frauen müssen hervorgehoben werden, um Vorbilder sichtbar zu machen.
O’Leary: Es sind konkrete Dinge, die dazu beitragen, andere zu unterstützen oder zu inspirieren. Eine Initiative, der ich mit Stolz angehöre, ist das Gender Champions in the Judiciary Network. Das ist ein regionales Netzwerk von Richterinnen und Richtern in den westlichen Balkanstaaten, das sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzt. Als dessen Schirmherrin habe ich an Konferenzen zu Themen wie häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie Bekämpfung von Vorurteilen und Diskriminierung teilgenommen. Für Frauen in Führungspositionen in der Justiz ist es wichtig, dass sie sich in der Lage fühlen, die unterschiedliche Art und Qualität weiblicher Führungsqualitäten zu demonstrieren – anstatt einfach zu versuchen, frühere Stile und Muster nachzuahmen.
Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit zwischen den drei regionalen Menschenrechtsgerichtshöfen?
Aboud: Sie ist Ausdruck unseres gemeinsamen Engagements für die weltweite Wahrung und Förderung der Menschenrechte auf unseren verschiedenen Kontinenten. Und sie unterstreicht die Bedeutung der regionenübergreifenden Kooperation bei der Bewältigung der aktuellen Menschenrechtsprobleme. Eine dynamische Plattform zum Lernen und zur gegenseitigen Unterstützung. Sie erhöht die Wirksamkeit unserer gemeinsamen Bemühungen zum Schutz der Menschenrechte und die Schaffung von Präzedenzfällen, die den Menschen in den verschiedenen Regionen zugutekommen.
Hernández: Die drei regionalen internationalen Menschenrechtsgerichtshöfe stehen schließlich zunehmend vor gemeinsamen Herausforderungen. Ich werde weiter das Umfeld für einen offenen Dialog fördern, bei dem wir voneinander lernen, aktuelle Herausforderungen wirksam angehen und künftige voraussehen können. Das ständige Dialogforum ist seit seiner Einrichtung im Juli 2018 ein wichtiger Mechanismus zur Stärkung dieser Zusammenarbeit.
O’Leary: Seit der ersten Erklärung von San José, die damals unterzeichnet wurde, hat sich der Kontakt von einer Ad-hoc-Kooperation zu einer dauerhaften Form des juristischen Dialogs entwickelt. 2023 hatte ich die Ehre, eine Delegation von Straßburger Richterinnen und Richtern zu unserem dritten Forum nach San José zu begleiten. Und habe unmittelbar erlebt, wie wichtig der Dialog ist. Besonders stolz bin ich auf die „Gemeinsamen Rechtssprechungsberichte“. Sie sind ein konkretes Ergebnis unserer Zusammenarbeit und regen zu verstärkten Querverweisen auf die Rechtsprechung der jeweils anderen Seite an. Es gibt natürlich immer noch Möglichkeiten, unsere Zusammenarbeit weiter zu vertiefen. Aber trotz der Entfernungen, die uns physisch trennen, sind die Bande zwischen unseren drei Gerichten stark.
Hinweis: Die Präsidentinnen der Menschenrechtsgerichtshöfe wurden getrennt voneinander befragt.
Die regionalen Menschenrechtsgerichtshöfe
Zusammenarbeit über Kontinente hinweg
Mit dem Vorhaben „Regionales Völkerrecht und Zugang zur Justiz in Lateinamerika“ fördert die GIZ Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Costa Rica, Ecuador, Kolumbien und Mexiko – und darüber hinaus: Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat die GIZ die drei regionalen Menschenrechtsgerichtshöfe dabei unterstützt, ein dauerhaftes Dialogforum einzurichten. Bei den regelmäßigen Treffen an den verschiedenen Standorten werden Themen diskutiert, die alle drei Gerichte stark beschäftigen.