Interview

„Geschlechtergerechtigkeit über Kontinente hinweg fördern“

Das Auswärtige Amt hat vor kurzem eine neue feministische Außenpolitik vorgestellt. Renata Giannini vom Frauennetzwerk Unidas ist Expertin auf diesem Gebiet; in akzente gibt die Brasilianerin Einblick in ihre Arbeit und erklärt, was das bedeutet und wie es die Beziehungen zwischen Deutschland und Lateinamerika beeinflussen könnte oder sollte.

Interview: Friederike Bauer

Sie sind Teil von Unidas. Worum geht es dabei und wie hängt das Netzwerk mit der feministischen Außenpolitik Deutschlands zusammen?

Das Frauennetzwerk gibt es seit 2019. Sein Ziel ist, Geschlechtergerechtigkeit über Kontinente hinweg zu fördern, in diesem Fall zwischen Deutschland, Lateinamerika und der Karibik. Im Rahmen von Unidas treffen sich Frauen regelmäßig – virtuell und in Präsenz – und tauschen sich darüber aus, wie man Frauenrechte stärken kann und wie sie in allen gesellschaftlichen Bereichen besser vertreten sein könnten. Dazu organisiert Unidas Workshops und andere Fachveranstaltungen, manchmal auch in Untergruppen. In einer solchen Gruppe beschäftigen wir uns explizit mit feministischer Außenpolitik.

Um etwas zu erreichen, muss man mit den Betroffenen direkt in Kontakt treten, auch mit den Frauen. Das macht die klassische Außenpolitik normalerweise nicht.

Renata Giannini
vom Frauennetzwerk Unidas

Was genau machen Sie in dieser Untergruppe?

Wir diskutieren darüber, was feministische Außenpolitik bedeutet, was sie umfasst und wie sie aussehen sollte. Wir haben zudem eine Umfrage durchgeführt, um herauszufinden, welche Aspekte die deutsche feministische Außenpolitik in Bezug auf Lateinamerika berücksichtigen sollte. Die Umfrage war im August 2022 fast einen Monat lang freigeschaltet. In dieser Zeit haben mehr als 30 Frauen aus Lateinamerika, der Karibik und Deutschland mitgemacht. Die Ergebnisse haben wir in einem Bericht zusammengefasst, der im Januar dieses Jahres veröffentlicht wurde. In einem Workshop für die Mitglieder von Unidas aus Deutschland und Lateinamerika haben wir die Resultate auch analysiert.

Was ist das wichtigste Ergebnis der Studie?

Es gibt drei Hauptresultate, von denen das erste das offensichtlichste ist: Geschlechtergerechtigkeit. Das wurde als Hauptprinzip einer feministischen Außenpolitik ausgemacht. Trotz aller Rhetorik und manchmal auch trotz aller Gesetze genießen Frauen fast nirgendwo die gleichen Rechte und Privilegien wie Männer. Allerdings lassen sich einige der größten Herausforderungen unserer Zeit nur bewältigen, wenn Frauen in deren Lösung einbezogen werden. Dazu gehören zum Beispiel: gesellschaftlicher Zusammenhalt, Verbesserungen in Gesundheitswesen und Bildung sowie Klimaschutz. Das heißt, wir müssen entsprechende Bedingungen schaffen, damit Frauen teilhaben können und damit ihre Bedürfnisse auch in der Außenpolitik berücksichtigt werden.

Was steht an zweiter Stelle?

Menschliche Sicherheit: Die klassische Außenpolitik verfolgt ein bestimmtes Sicherheitskonzept, das meist auf militärischen und polizeilichen Aspekten beruht. Aber wenn Sie eine Frau in einem Armenviertel in Rio nach ihrem Sicherheitsverständnis fragen, wird sie Ihnen wahrscheinlich eine ganz andere Antwort geben. Sie wird vom Essen für ihre Kinder sprechen, von einem sicheren Zuhause und dergleichen mehr. Dieses Sicherheitskonzept ist viel ganzheitlicher. Nach unserer Umfrage sollte sich feministische Außenpolitik mehr auf menschliche Sicherheit konzentrieren als auf das klassische Konzept. Bei humanitären Krisen sollte beispielsweise zuerst analysiert werden, wie die Zielgruppe aussieht, wie viele Frauen und Kinder sich unter den Notleidenden befinden, bevor die Hilfe bereitgestellt wird. Denn es könnte sein, dass Hygieneprodukte und Windeln dringender benötigt werden als andere Dinge.

Sie erwähnten noch ein drittes Ergebnis …

Diese letzte Aussage ist ein bisschen überraschender. Es handelt sich um die Umwelt; vermutlich hängt das damit zusammen, dass wir auf einem Kontinent mit viel unberührter Natur leben, auf dem sich die größten Regenwälder des Planeten befinden. All das ist bedroht; das bereitet den Menschen Sorge.

Ist das für Frauen ein besonderes Problem?

Sie leiden stärker unter Umweltzerstörung. Nehmen wir zum Beispiel illegalen Bergbau, bei dem oft Quecksilber verwendet wird. Frauen sind meist für die Wasserversorgung zuständig, deshalb sind sie dieser Art von Verschmutzung stärker ausgesetzt. Oder die giftigen Rückstände von Sojaplantagen; da sich meist Frauen um Gärten und Gemüseanbau kümmern, leiden sie auch stärker unter diesen Beeinträchtigungen. Was bedeutet: feministische Außenpolitik sollte für Lateinamerika auch einen Umweltaspekt beinhalten.

Was sollte Ihrer Ansicht nach mit diesen Ergebnissen geschehen?

Wir hoffen, dass sie in konkrete politische Praxis umgesetzt werden. Ich möchte betonen, dass Deutschland diesen Prozess ganz außergewöhnlich gestaltet. Mir fällt kein anderes Land ein, das sich auf einen so breiten Konsultationsprozess eingelassen hat.

Was ist der Hauptunterschied zwischen konventioneller und feministischer Außenpolitik?

Außenpolitik ist normalerweise hohe Politik, die Belange von Staaten und nationalen Interessen berührt. Aber oft schließt sie Menschen nicht ein, vor allem diejenigen nicht, die sich traditionell eher im privaten als im öffentlichen Raum bewegen – wie Frauen. Ihre Ansichten werden selten gehört, ihre Bedürfnisse oft übersehen. Feministische Außenpolitik ist im Gegensatz dazu offener und dadurch letztlich erfolgreicher. Studien von UN Women haben beispielsweise gezeigt, dass Friedensprozesse stabiler und nachhaltiger verlaufen, wenn Frauen an den Friedensverhandlungen teilnehmen.

Ist es eher eine neue Denkweise oder ein Handlungsansatz?

Beides. Es beginnt mit der Einstellung, weil man die Dinge bei dieser Art Außenpolitik anders betrachtet. Zugleich verändern sich die konkreten politischen Maßnahmen, weil diese Politik auch unterhalb der nationalen Ebene ansetzt.

Gibt es in Lateinamerika einen Konflikt, bei dem diese Denkweise Anwendung finden könnte und sollte?

In Lateinamerika haben wir keine traditionellen zwischenstaatlichen Konflikte, bei denen ein Land gegen ein anderes kämpft. Viel häufiger sind Konflikte innerhalb von Staaten; dann herrscht manchmal in großen Gebieten ein Machtvakuum, wie in Kolumbien, wo paramilitärische Gruppen Teile des Landes kontrollieren, oder in Mexiko, wo die Drogenkartelle Menschen bedrohen. Dort ist der Staat praktisch abwesend. Um also etwas zu erreichen, muss man mit den jeweils Betroffenen in Kontakt treten, auch mit den Frauen, was die klassische Außenpolitik normalerweise nicht tut. Eine feministische Außenpolitik würde das aber in den Blick nehmen und zum Beispiel mit Frauenverbänden oder -gruppen in der Gegend sprechen und ganz allgemein inklusiver vorgehen.

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Renata Giannini

Unidas

Unidas ist ein Frauennetzwerk mit mehr als 330 Mitgliedern aus Deutschland und einer Reihe von Ländern in Lateinamerika. Es ist zentraler Bestandteil der „Lateinamerika-und-Karibik-Initiative“ des Auswärtigen Amts und Baustein seiner feministischen Außenpolitik. Das Ziel von Unidas ist es, Frauen gleiche Teilhabe an Politik, Gesellschaft, Kultur, Medien, Wissenschaft und Wirtschaft zu ermöglichen. Zu diesem Zweck fördert das Netzwerk den Dialog und den Austausch von Erkenntnissen und Ideen. Dr. Renata Giannini ist seit 2020 Teil des Netzwerks; dort gehört sie der Untergruppe zur feministischen Außenpolitik an. Sie hat in Internationalen Beziehungen promoviert. Die GIZ koordiniert das Unidas-Netzwerk im Auftrag des Auswärtigen Amts und verwaltet seine Kommunikationsplattform.

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