Image
Vogel sitzt auf dem Ast
Gastbeitrag

Die Ziele vereinfachen

Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) sind wie ein Riese, der unter seinem eigenen Gewicht zusammenbricht: zu komplex und zugleich unterfinanziert.

Text: Ranjula Bali Swain Fotos: Tapash Paul

Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) sollen die großen Entwicklungsprobleme wie Armut, Hunger, Ungleichheit, Klimawandel und Gesundheit lösen.

Vor diesem Hintergrund wurden sie immer wieder als utopisch, allgemein, umfassend, ehrgeizig, widersprüchlich und komplex kritisiert. Doch tatsächlich sind die SDGs tief in den drei Säulen von nachhaltiger Entwicklung – der wirtschaftlichen, der sozialen und der ökologischen – verwurzelt. Der Fokus auf nachhaltige Entwicklung, versus Entwicklung um jeden Preis, ist dabei nicht neu, vielmehr hat sich dieses Paradigma kontinuierlich herausgebildet.

Im Jahr 1960 definierte Artikel 1 des Übereinkommens über die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nachhaltige Entwicklung als ein Ziel, um hohes Wirtschaftswachstum mit mehr Beschäftigung und einem steigenden Lebensstandard zu erreichen und dabei gleichzeitig finanzielle Stabilität zu wahren.

In den 1970er Jahren änderte die OECD diese Ausrichtung und orientierte Entwicklung an den drei Säulen Wirtschaft, Soziales und Umwelt.

1987 beschrieb die Brundtland-Kommission in ihrem Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ („Our Common Future“) nachhaltige Entwicklung dann als die Fähigkeit heutiger Generationen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, ohne die Bedürfnisse künftiger Generationen zu gefährden.

Image
Ranjula Bali Swain

Ranjula Bali Swain ist Forschungsdirektorin des Zentrums für Nachhaltigkeitsforschung (SIR) der Stockholm School of Economics und Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Södertörn, Schweden.

Die MDGs richteten sich nur an Entwicklungsländer

Zwischen 2000 und 2015 dominierten die Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals – MDGs) die internationale Entwicklungsagenda. Die MDGs wurden kritisch betrachtet, weil sie sich einseitig auf den sozioökonomischen Fortschritt der Entwicklungsländer beschränkten.

Das änderte sich dann 2015. Angesichts der Gefahren durch den Klimawandel schloss sich mit der Verabschiedung der SDGs seinerzeit ein Kreis: Mit ihren 17 Zielen, 169 Zielvorgaben und 231 Indikatoren rückten nun wieder die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekte der nachhaltigen Entwicklung zusammen in den Mittelpunkt.

Trotz diverser Begrenzungen sind die SDGs eine mehrdimensionale und umfassende Entwicklungsagenda. Sie überflügeln andere globale Agenden wie das Pariser Klimaabkommen.

Zwar handelt es sich bei Letzterem um einen rechtsverbindlichen internationalen Vertrag. Doch dieser konzentriert sich auf den Umweltaspekt, um den „Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2°C über dem vorindustriellen Niveau“ zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, „um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen“.

Auch fokussiert er auf die Abschwächung des Klimawandels und nicht unbedingt auf die Anpassung an seine Folgen. Somit bleibt die Agenda 2030 die einzige globale Strategie, die eine nachhaltige Entwicklung anstrebt, indem sie auf die drei Dimensionen – die wirtschaftliche, soziale und ökologische – abzielt.

Image
Mädchen hält ein selbst gemaltes Bild hoch

Ein Riese, der unter seinem eigenen Gewicht zusammenbricht

Trotz der entscheidenden Bedeutung der SDGs für die internationale Entwicklungsagenda müssen einige Kritikpunkte hervorgehoben werden. In ihrer momentanen Gestalt wirken die SDGs wie ein gigantischer Riese, der unter seinem eigenen Gewicht zusammenbricht.

Ihr Erfolg wird eingeschränkt durch die große Bandbreite der Ziele und die schiere Menge an Informationen, die zur Überwachung ihrer Fortschritte erforderlich sind. Sie zu vereinfachen und zu verschlanken, ohne ihren richtungsweisenden Kern zu ändern, würde die Agenda 2030 voranbringen und echte Fortschritte ermöglichen.

Zumal die SDGs in sich teilweise widersprüchlich und unvereinbar sind. Betrachtet man sie nur einzeln, bleiben die Zielkonflikte mit anderen SDGs, aber auch mögliche Synergien außer Acht.

So nützt zum Beispiel nicht alles, was das Klima schützt (SDG 13), auch der Biodiversität (SDG 15), wenn zum Beispiel Windräder Vogelfluglinien stören. Umgekehrt ist aber fast alles, was die Natur erhält, auch gut für den Klimaschutz. Solche Widersprüche bzw. Verstärkungen nicht zu beachten, hat eine ineffiziente Politikgestaltung zur Folge.

Man sollte die SDGs nicht isoliert und singulär betrachten. Wichtig ist vielmehr, ihre Verbindungen zu erkennen.

Ranjula Bali Swain
Forschungsdirektorin und Professorin

Die einzelnen Ziele nicht isoliert betrachten

Nachhaltige Entwicklung ist eine komplexe Angelegenheit und besteht aus diversen Entwicklungsdimensionen; deshalb sollte man die SDGs nicht isoliert und singulär betrachten.

Wichtig ist vielmehr, ihre Verbindungen zu erkennen. Nur dann lassen sich Prioritäten klug setzen und die begrenzten Mittel wirksam investieren. Und nur so lassen sich die Maßnahmen identifizieren, die sich auf regionaler und lokaler Ebene am besten eignen.

Eine weitere große Herausforderung besteht schließlich darin, ausreichend Investitionen und finanzielle Mittel zur Verwirklichung der SDGs bereitzustellen, insbesondere für die Entwicklungsländer.

Transformative Agenden wie die SDGs umzusetzen, erfordert weitreichende Veränderungen, zum Beispiel dahingehend, wie wir Energie und Land nutzen, Kohlenstoffemissionen reduzieren etc.

Dies macht den massiven Ausbau effizienter und erneuerbarer Energien notwendig – um das Drei- bis Vierfache im Vergleich zum Status quo. Außerdem ist es wichtig, Flächen stärker aufzuforsten oder erst gar nicht zu entwalden.

Gigantische Summen notwendig

Einige Wissenschaftler*innen halten die SDGs daher finanziell für nicht machbar. Hochrechnungen zufolge würde ihre Umsetzung jährlich zwei bis drei Billionen US-Dollar an öffentlichen und privaten Mitteln erfordern.

Der Economist schätzte 2015, dies entspreche etwa 15 Prozent der jährlichen globalen Ersparnisse oder vier Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP).

In einer Welt, in der westliche Regierungen schon Mühe haben, die von den UN angestrebten 0,7 Prozent des BIP für Entwicklungshilfe aufzubringen, stellen derart große Investitionen in nachhaltige Entwicklung tatsächlich eine echte Herausforderung dar.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die SDGs eine natürliche Fortsetzung in der globalen Entwicklungsdiskussion darstellen. Wenn sie jedoch einen tiefgreifenden transformativen Wandel bewirken sollen, müssen wir die Agenda auf einige wichtige Ziele, Vorgaben und Indikatoren begrenzen.

Zugleich müssen wir ihre Verbindungen untereinander berücksichtigen und dabei Synergien und Zielkonflikte im Blick behalten. Und schließlich müssen wir noch weitaus mehr finanzielle Mittel als bisher für sie aufbringen, wenn wir die SDGs bis zum Jahr 2030 erreichen wollen.