Reportage

Die Tempelretter von Angkor

Das Weltkulturerbe Angkor ist weltberühmt und beeindruckend. Imposant ist auch die Mammutaufgabe, diese steinernen Zeugnisse der Khmer-Kultur zu bewahren. Deutschland unterstützt Kambodscha dabei.

Text: Brigitte Spitz Bilder: GIZ; stock.adobe.com/R.M. Nunes, Benot

Der Magie von Angkor Wat kann sich niemand entziehen. Manche sagen, sie hätten nie etwas Schöneres gesehen. Wenn die Sonne über den Tempeltürmen aufgeht und die ersten Strahlen die Wände streifen, dann scheinen die Apsaras, die Abbilder himmlischer Tänzerinnen, darauf wirklich zu tanzen. Die Tempelanlagen mit den Reliefs und Skulpturen inmitten tropischer Vegetation sind faszinierend und fragil zugleich. Erschaffen wurden viele der Kunstwerke und Gebäude vor rund 1.000 Jahren – aus Sandstein. Und der ist empfindlich.

Die Überraschung von Angkor

Das weitläufige Areal von Angkor mit seinen 100 Tempeln war zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert das Zentrum des Khmer-Reiches. Angkor Wat ist der namensgebende Haupttempel. Zu seiner Blütezeit um 1200 sollen auf dem umliegenden Gebiet fast eine Million Menschen gelebt habe. Zum Vergleich: In Paris, einer der größten Städte Europas im Mittelalter, lebten damals rund 100.000 Menschen.

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Angkor Wat Luftaufnahme

30 Jahre Weltkulturerbe im Dschungel

Als die UNESCO Ende 1992 das Areal rund um den Haupttempel Angkor Wat zum Weltkulturerbe ernannte, wurde dieser besondere Ort als „bedrohte Stätte“ eingestuft. In den Jahrzehnten zuvor, während der Herrschaft der Roten Khmer und der Bürgerkriege, war die Megastadt im Dschungel weiter verfallen. Doch inzwischen sind Angkors Tempel wieder der Stolz und das kulturelle Zentrum Kambodschas.

Mann der ersten Stunde in Angkor Wat

In den vergangenen Jahren wurden wichtige Teile der schier endlosen Tempelanlagen konserviert und restauriert. Internationale Teams unterstützten das südostasiatische Land. Von Anfang an dabei war Nary Long. Schon in den 1990er Jahren arbeitete der Kambodschaner mit Professor Hans Leisen von der Fachhochschule Köln. Der deutsche Geowissenschaftler war frühzeitig mit dem „German Apsara Conservation Project“ am Erhalt des Weltkulturerbes beteiligt. Inzwischen ist der 54-jährige Nary Long bei der Denkmalbehörde für Angkor angestellt und dort Chefkonservator bei der Stone Conservation Unit (SCU). Die SCU wird seit 2007 von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH unterstützt.

Ausbildung in Steinrestaurierung

Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fördert die GIZ durch den Einsatz von Entwicklungshelferinnen und -helfern die Aus- und Weiterbildung von Steinkonservator*innen. Acht Entwicklungshelfer*innen waren bisher in Kambodscha im Einsatz. Derzeit sind es Helen Jacobsen und Christoph Bücker. Jacobsen ist diplomierte Steinrestauratorin, Bücker Steinmetz- und Steinbildhauermeister. „Ein Welterbe sollte auch immer von jenen erhalten werden, die die Nachfahren der Erschaffer sind, und nicht nur von internationalen Expertinnen und Experten. Die Khmer sollen das Zepter in die Hand nehmen“, sagt Helen Jacobsen. Nary Long und Christoph Bücker stimmen ihr zu. Die drei sind das Herz des Ausbildungsteams.

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Nary Long unterrichtet
Länder-Wiki
Land: Kambodscha
Hauptstadt: Phnom Penh
Bevölkerung: 16,9 Millionen
Rang im Human Development Index: 146 von 191
Rang im Index der Klimaanfälligkeit (ND-GAIN): 149 von 182
Quelle: Weltbank, HDR, ND-GAIN

Internationale Anerkennung

Im Sommer 2022 haben bei ihnen 20 Kambodschanerinnen und Kambodschaner die jüngste Ausbildungsrunde begonnen. Zweieinhalb Jahre durchlaufen die jungen Leute insgesamt 13 Trainingsmodule und erwerben in Theorie und Praxis grundlegendes Wissen über Steinkonservierung. Am Ende steht eine praktische Arbeit, bei der sie beweisen können, was sie gelernt haben. Das Abschlusszertifikat wird von der Internationalen Studienzentrale für die Erhaltung und Restaurierung von Kulturgut (International Centre for the Study of the Preservation and Restoration of Cultural Property, ICCROM) anerkannt. Diese renommierte Denkmalpflege-Organisation mit Sitz in Rom hat die Schirmherrschaft über das Ausbildungsprogramm inne.

Auf diese Wertschätzung ist das kambodschanisch-deutsche Ausbildungstrio durchaus stolz. „Hier geht es nicht einfach darum, dass Studierende mal eben zwei Tüten Mörtel verarbeiten sollen. Sie bekommen vielmehr alles nötige Wissen, damit sie selbst die Entscheidung über den Erhalt der Schätze von Angkor treffen können“, erklärt Helen Jacobsen. Gerade ist sie aus dem Labor der SCU gekommen, dort hat sie die sechs Frauen und 14 Männer des aktuellen Ausbildungsjahrgangs unterrichtet. In dem Labor untersuchen sie Gesteinsproben, messen den Salzgehalt und beschäftigen sich damit, wie sich das Material verhält und welche Rolle der tropische Regen bei der Verwitterung spielt.

Unten im Labor und oben auf den Tempeln

Chandara Hin ist von der Laborarbeit begeistert: „Es ist großartig, was wir alles lernen.“ Sie habe schon ihrem fünfjährigen Sohn von den Experimenten mit den Steinen erzählt und der sei beeindruckt gewesen, sagt die 31-Jährige und lacht. Anerkennung erntet sie auch für ihre Klettertouren hoch auf Tempeltürme. Hier erfasst sie Schäden, die dann am Laptop kartographiert werden.

Wie ihre Kolleginnen und Kollegen absolviert Chandara Hin die Ausbildung berufsbegleitend. Alle sind in der Denkmalbehörde angestellt und werden für die Trainingsmodule freigestellt. Einige arbeiten in der Verwaltung, andere als Gästeführer*innen. Eigentlich. Denn durch die Corona-Pandemie blieben in den vergangenen drei Jahren viele der Reisenden aus, die sich sonst in dem archäologischen Park drängen. In der Region um Angkor Wat bedeutete das für viele: Sie hatten kaum Arbeit.

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Angkor Wat Restauration

Trainingsbaustelle an einer Tempelruine

Die Ausbildung in der Steinkonservierung bot sich als eine spannende und aussichtsreiche Alternative zum klassischen Tourismus an. Und Fachkräfte, die sich um dieses Weltkulturerbe kümmern und es erhalten, werden dringend gebraucht. Ratanak Sao ist einer von ihnen. Er gehört zu den ersten 20 Kambodschanerinnen und Kambodschanern, die 2015 ihre Ausbildung zum Steinkonservator abschlossen. Inzwischen ist er täglich unterwegs, um in dem archäologischen Park nach den steinernen Patienten zu schauen.

Gerade ist er dabei, mit dem Team eine Trainingsbaustelle an der Tempelruine Banteay Samre einzurichten. Hier sollen auch Besucherinnen und Besucher mehr darüber erfahren, wie wichtig und herausfordernd es ist, dieses Erbe der Menschheit zu erhalten. Ein magischer Ort inmitten von Göttern und Dämonen.

Gemeinsam Welterbe schützen

Die internationale Staatengemeinschaft unterzeichnete Ende 1972 das „Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“, besser bekannt als „UNESCO-Welterbekonvention“. Sie verfolgt das Ziel, herausragende Stätten des Natur- und Kulturerbes der Welt durch internationale Zusammenarbeit zu schützen.

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Angkor Wat
Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei:
SDG 4: Hochwertige Bildung SDG 8: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum SDG 17: Partnerschaften zur Erreichung der Ziele