Wo Naturflächen verschwinden, verlieren wir Artenvielfalt
akzente erklärt die fünf wichtigsten Gründe für das Artensterben – und weshalb eine Trendwende nötig ist.
Wissenschaftler*innen schlagen Alarm. Der Verlust an Biodiversität hat mittlerweile historisch einmalige Dimensionen angenommen. Gerade erst haben namhafte Forscher*innen aus ganz Deutschland eine „Frankfurter Erklärung“ verabschiedet, in der sie eine „entschiedene Trendwende“ fordern. Ähnliches hört man auch international aus der Wissenschaftswelt; vor allem Biolog*innen weisen immer wieder auf den dramatischen Verlust hin.
Was sind die Hauptgründe für den Verlust an Biodiversität?
Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) hat die wichtigsten Ursachen dafür untersucht und kommt auf die sogenannten „Big Five“ – fünf Gründe für das Artensterben:
- Veränderte Erdoberfläche: Die Hauptursache ist mit weitem Abstand die Umwandlung von Land, etwa für den Städte- oder Straßenbau, vor allem aber für die Landwirtschaft, weil sie sich immer weiter in Naturräume „hineinfrisst“. Weiden und Wälder weichen Äckern, Monokulturen ersetzen diverse Pflanzenkulturen – meist für die Rinderhaltung, für Palmölplantagen oder den Anbau von Soja. Im Moment findet dieser Wandel überwiegend in den Tropen statt, ausgerechnet dort, wo es die Lebensräume mit der größten Artenvielfalt gibt. Zehn Millionen Hektar Wald werden jedes Jahr weltweit abgeholzt, das entspricht 27 Fußballfeldern pro Minute.
- Ausgebeutete Tiere und Pflanzen: An zweiter Stelle folgt nach der Umwandlung von Land die Ausbeutung von Tieren und Pflanzen. Wir nutzen viele Arten schneller, als sie sich fortpflanzen können. Das gilt zum Beispiel für Fische, von denen ein Drittel der Bestände dauerhaft überfischt, weitere 60 Prozent bis an die Grenze der Nachhaltigkeit ausgebeutet sind. Es gilt aber auch für Fleisch, Holz und anderes Pflanzenmaterial aller Art. So sind Nashörner genauso bedroht wie Elefanten, wegen ihres Horns, aber auch wegen ihres Fleisches, das gehandelt und gegessen wird. Auch Hölzer wie Teak oder Mahagoni sind in einigen Weltgegenden schon empfindlich ausgebeutet. Die Menschen entreißen der Natur heute doppelt so viel Material wie noch vor 40 Jahren, nämlich rund 60 Milliarden Tonnen Ressourcen Jahr für Jahr.
- Eingeschränkte Lebensräume durch Klimawandel: Der Klimawandel mit all seinen Folgen ist der dritte wichtige Faktor. Noch hat er seine ganze Wucht nicht entfaltet, aber er wird künftig eine große Rolle spielen, wenn Wälder in Hitzesommern sterben und Tiere ihre Habitate verlieren. Der Klimawandel führt dazu, dass Arten ihre Lebensräume verschieben oder wechseln müssen und irgendwann nirgendwohin mehr ausweichen können. Auch ein höherer künftiger Meeresspiegel spielt hier eine Rolle, weil Land überflutet wird, das landbewohnenden Arten dann nicht mehr zur Verfügung steht. Der Klimawandel wird nach IPBES-Angaben Flora und Fauna in der Zukunft deutlich ändern.
- Verschmutzte Umwelt: An vierter Stelle folgt die Verschmutzung der Umwelt, etwa durch Gifte, Düngemittel, Plastik und Müll. Umweltkatastrophen kommen immer wieder und überall auf der Welt vor. Erst vor kurzem wurden über die Oder tonnenweise tote Fische an der Nordseeküste angespült. Diese Katastrophen sind in der Regel ein einmaliges und oft lokal begrenztes Ereignis, können dort aber schwere Folgen nach sich ziehen. Das gilt zum Beispiel für Tanker- oder Ölunfälle.
- Invasive Arten: Als weiteren großen Gefahrenfaktor hat der Weltbiodiversitätsrat invasive Arten ausgemacht. Solche gebietsfremden Arten können großen Schaden anrichten. Allein in der EU schätzen Fachleute die Zahl invasiver Arten auf 12.000, von denen 10 bis 15 Prozent als problematisch gelten. Ein Beispiel im Wattenmeer sind Pazifische Austern, die größer sind als heimische Arten und dadurch das Gleichgewicht der Nahrungskette stören. Davon sind auch Vögel betroffen, die sich von Meerestieren ernähren. Invasive Arten werden entweder bewusst eingeführt, wie im Fall der Austern, oder sie wandern unabsichtlich ein: beispielsweise über Schiffe, in deren Ballastwasserbehältern Lebewesen wie die Rippenqualle eingeschleppt werden, die sich rasch vermehrt und anderen Meeresbewohnern die Nahrung wegfrisst. Oder Viren, die sich über Reisende verbreiten – so geschehen bei der Corona-Pandemie. Durch die Globalisierung und den wachsenden Tourismus haben sich invasive Arten zuletzt schneller über die Welt verbreitet.
Alle fünf Ursachen gehen im Kern auf ein und dieselbe Sache zurück: Die Menschheit lebt nicht nachhaltig. Der Weltnaturgipfel in Montreal soll deshalb ein deutliches Signal für einen Paradigmenwechsel aussenden und konkrete Ziele für einen pfleglicheren Umgang mit unserer Lebensgrundlage verabschieden. Bis 2050, so lautet das Ziel, soll die Menschheit dann „in Harmonie mit der Natur leben“.
Quellen:
- Global Assessment Summary for Policymakers (Englisch) (IPBES)
- Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration (WBGU)
- Wälder nachhaltig bewirtschaften (BMZ)
- Überfischung der Meere (Marine Stewardship Council)
- Invasive Arten: Gefahren der biologischen Einwanderung (WWF)
- Neobiota: Neubürger, Neopyhten, Neozoen (NABU)