Interview Zheng Han

„China ist erfolgshungrig“

Zheng Han ist Professor für Innovation und Unternehmertum und Leiter des Chinesisch-Deutschen Hochschulkollegs an der Tongji-Universität Shanghai. Seiner Ansicht nach geht die chinesische Regierung bei Wirtschaftsreformen extrem strategisch vor, unterstützt von einer fortschrittsfreudigen Bevölkerung.

Text
Friederike Bauer
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Privat

In den vergangenen drei Jahrzehnten hat China die Entwicklung seiner Wirtschaft auf Hochtouren vorangetrieben. Was sind die Hauptmerkmale dieses Wandels?
Bei der Wirtschaft hat China Investoren durch niedrige Produktionskosten ange­zogen; Arbeit und Land sind günstig zu ­haben. Hohe Investitionen in Infrastrukturprojekte haben die Industrie-Ballungszentren in den Küstenregionen effizienter gemacht. Zudem hat das wachsende Einkommen der Bevölkerung den Konsum angekurbelt und dadurch einen riesigen Inlandsmarkt geschaffen. Politisch gesehen hat die chinesische Regierung ihre Wirtschafts- und Industriepolitik auf extrem strategische Weise geplant und effektiv umgesetzt.

Was wäre ein Beispiel für diesen strategischen Ansatz?
Gute Beispiele sind Chinas Eisenbahn- und Automobilindustrien. Jedes Mal, wenn das Land durch externe Auslöser wie die Finanzkrise 2008 vor einer Rezession stand,  hat die Regierung starke Anreize geschaffen, um das Wachstum zu erhalten. Dennoch steht die chinesische Wirtschaft derzeit an einem Scheideweg. Der nächste Entwicklungsschritt liegt in der Transformation hin zu einer stärker service- und marktorientierten Wirtschaft.
 
Kritiker halten Chinas Vorgehen gelegentlich für aufdringlich, wenn es um große Infrastrukturprojekte geht, vor allem in Entwicklungsländern. Wie wird das in China selbst gesehen?  
Große Infrastrukturprojekte sind sehr wichtig für China. Zum einen können sie das Wirtschaftswachstum direkt und wirksam unterstützen, indem sie zusätzliche Investitionen und Arbeitsplätze sichern. Zweitens lassen sich damit Erfolge und ein politischer Wille zum Fortschritt demonstrieren. Durch diese verschiedenen Vorteile sind sie ein bevorzugtes Instrument der chinesischen Regierung. Allerdings können überhöhte Investitionen in die Infrastruktur auch Schuldenprobleme nach sich ziehen. Dieses Risiko ist in letzter Zeit sichtbarer geworden.

China ist bereits heute die zweitstärkste Volkswirtschaft weltweit. Wie würden Sie es einordnen? Als Schwellenland, als Industriestaat oder etwas anderes?  
Die chinesische Wirtschaft ist ein „Hybrid“ zwischen Schwellen- und Industrieland, da es Merkmale von beiden aufweist. In Internetbranchen wie Finanztechnologie und E-Commerce ist China manchen Industrieländern bereits voraus. Andere Bereiche wie die Gesundheitsversorgung oder der Bildungssektor dagegen weisen weiterhin Merkmale eines Schwellenlandes auf.

Wo sehen Sie Chinas besondere Stärken und Wettbewerbsvorteile?
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich China in vielen Bereichen zum Produk­tionsstandort der Welt entwickelt. Die Größe des chinesischen Binnenmarktes ermöglicht es vielen Branchen, von hier aus in die Massenproduktion zu gehen und diesen Vorteil im internationalen Wettbewerb zu nutzen. Die Entscheidungswege, sowohl auf Regierungsebene als auch im Wirtschafts­leben selbst, sind in China deutlich kürzer. Dadurch können Unternehmen beweglicher und flexibler mit Herausforderungen und Chancen umgehen. Und von ihrer Mentalität her sind die Chinesen extrem fleißig und erfolgshungrig.

Wie beurteilen Sie Chinas Innovationspotenzial im Vergleich zu anderen Ländern?
China ist gut bei Innovationen im Verbrauchersegment und im Ingenieurwesen. Da­gegen hinkt es in einigen wissenschaftlich getriebenen Innovationen, etwa in der pharmazeutischen Industrie, weiter hinterher. China könnte sein innovatives Potenzial mit einem besseren Bildungssystem noch deutlich steigern oder wenn es ihm gelingt, Weltklassetalente ins Land zu locken.

Wie kommt die chinesische Bevölkerung mit den raschen Veränderungen der letzten Zeit zurecht?
Durch die ständigen Veränderungen ist der Wandel für die chinesische Bevölkerung „normal“ geworden. Zumal die meisten Veränderungen ihr Leben verbessert haben. Daher blicken die Menschen im Allgemeinen zuversichtlich nach vorn und erwarten weitere positive Veränderungen. Das setzt die chinesische Führung allerdings auch unter Druck.

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