„Kein Grund für Endzeitstimmung“
Flüchtlingswelle, Klimakatastrophe, Terror. Iran, Irak, Nordkorea, Afghanistan, Syrien. Bilder von Krisen und Gewalt kommen über die Medien direkt in unsere Wohnzimmer, oft einseitig und pessimistisch. Wir erleben heute in Echtzeit, was die Menschen in Osttimor beschäftigt, in El Salvador oder in Malawi. Krisen, Kriege und Konflikte, die vor wenigen Jahrzehnten noch weit weg waren, passieren heute gefühlt direkt vor unserer Haustür. Viele Menschen haben deshalb den Eindruck, dass die Welt unsicherer wird, dass Probleme und Konflikte zunehmen, dass wir die Kontrolle verlieren.
Dabei wird längst nicht alles immer schlechter. Die Anzahl der Kriege weltweit ist im Jahr 2018 nach Angaben des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung erneut zurückgegangen. Der Anteil der absolut Armen an der Weltbevölkerung liegt nach Angaben der Weltbank inzwischen deutlich unter zehn Prozent, vor 20 Jahren war es noch fast ein Drittel. Heute können nach Angaben der UNESCO 86 Prozent der Weltbevölkerung lesen und schreiben – in den 60er Jahren waren es weniger als 50 Prozent.
Auch die tiefe Sorge, die Menschen heute empfinden, wenn sie an Migration denken oder an den Klimawandel, ist nicht zwangsläufig größer oder schlimmer als die Sorge vieler Menschen vor 60 Jahren, als die Welt vor einem Atomkrieg stand.
Damit möchte ich keineswegs sagen, dass alles gut ist. Es gibt ernste und unsere Existenz bedrohende Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Aber es gibt auch keinen Grund für Endzeitstimmung und Resignation, denn die Politik verfügt durchaus über Mittel und Instrumente, Probleme langfristig zu lösen und das Leben vieler Menschen zu verbessern. Der Entwicklungspolitik kommt dabei eine besondere Rolle zu – gerade, wenn es um komplexe und multikausale Probleme geht.
„Es gibt ernste und unsere Existenz bedrohende Herausforderungen, aber es gibt keinen Grund für Endzeitstimmung und Resignation.“
Nehmen wir das Beispiel Afghanistan – ein Konflikt, der die deutsche Öffentlichkeit seit zwei Jahrzehnten beschäftigt. Afghanistan ist ein Binnenland, besteht in erster Linie aus Wüsten und Bergen. Die Bevölkerung wächst viel zu schnell, gemessen an der Nahrungsmittelproduktion. Es gibt zu wenig Arbeitsplätze und praktisch keinerlei Industrie. Die afghanische Gesellschaft und die Institutionen sind geprägt von einem halben Jahrhundert Krieg, Konflikt und Misswirtschaft. Bis heute ist es nicht gelungen, im Land Frieden, Rechtssicherheit und Stabilität zu schaffen. Dadurch glauben manche: Kein Mensch kann diese Probleme lösen, das Land ist ein Fass ohne Boden.
Dabei wird übersehen, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen Afghanistans seit dem Ende der Taliban-Zeit vervierfacht hat. Die Lebenserwartung ist um 20 Jahre gestiegen. Heute gehen mehr Jungen und Mädchen in Afghanistan zur Schule als jemals zuvor. Afghanistan ist eines der wenigen Länder mit Meinungs- und Pressefreiheit zwischen dem Mittelmeer und dem Pazifik. Ohne die internationale Unterstützung, ohne den deutschen Beitrag, wäre das nicht möglich gewesen. Dazu tragen Entwicklungsfachkräfte ebenso bei wie Soldatinnen und Soldaten, Diplomatinnen und Diplomaten sowie Polizistinnen und Polizisten, die sich in Afghanistan gegenseitig im vernetzten Ansatz unterstützen. Und ich habe weiterhin die Hoffnung, dass es in Afghanistan einen Friedensprozess geben wird.
Auch scheinbar hoffnungslose, komplexe, multikausale Krisen und Kriege können schrittweise gelöst werden, wenn wir uns Zeit nehmen und die Mühe machen, ihre Wurzeln und Ursachen anzugehen. Dadurch wird die Welt dann wirklich sicherer. —
aus akzente 3/19