Interview

„Ein Gemeinschaftsgarten ist eine Art Gesellschaftslabor“

Wie ein gesundes Stadtklima aussehen könnte, dazu forscht Monika Egerer an der TU München. akzente hat nachgefragt, welchen Stellenwert urbane Ökosysteme in Nord und Süd haben und welchen sozialen Nutzen sie bringen.

Interview
Ulrike Scheffer

Frau Professor Egerer, Sie forschen zu urbanen Ökosystemen. Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff?

Zu urbanen Ökosystemen zählen Parks, Gärten, begrünte Dächer oder Fassaden, kleine bis große Wälder oder auch Wasserläufe und Seen in der Stadt. Es sind Orte, an denen Pflanzen wachsen und Tiere leben. Sie sind besonders wertvoll für ein gesundes Stadtklima.

Prof. Dr. Monika Egerer hat seit 2020 einen Lehrstuhl für Urbane Produktive Ökosysteme an der Technischen Universität München. Sie studierte Umweltstudien an der Universität von Kalifornien, Santa Cruz, absolvierte danach mehrere Forschungsaufenthalte in Australien und war Postdoc-Stipendiatin am Institut für Ökologie der Technischen Universität Berlin.
Prof. Dr. Monika Egerer hat seit 2020 einen Lehrstuhl für Urbane Produktive Ökosysteme an der Technischen Universität München. Sie studierte Umweltstudien an der Universität von Kalifornien, Santa Cruz, absolvierte danach mehrere Forschungsaufenthalte in Australien und war Postdoc-Stipendiatin am Institut für Ökologie der Technischen Universität Berlin. © Felix Noak

Welchen Nutzen haben grüne Orte in der Stadt für die Biodiversität?

Urbane Ökosysteme sind wichtig für die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren in der Stadt, da sie Nahrung und Schutz bieten. Sie können sogar kleine Hotspots für die Artenvielfalt sein. Insekten nutzen blühende Pflanzen in Parks und Gärten und auch Balkonkästen. Vögel und Fledermäuse nutzen Bäume zum Nisten. Das zeigt: Große Lebensräume in der Stadt sind sehr wichtig, aber auch kleine Lebensräume können Trittsteine für Tiere in einem urbanen Umfeld sein.

Wie wichtig sind solche Ökosysteme gerade auch im Globalen Süden?

Viele Städte im Globalen Süden sind dicht besiedelt. Die Verstädterung nimmt dort stark zu. Das Grün wird zurückgedrängt. Das ist problematisch, denn der Globale Süden leidet oft erheblich unter den Folgen des Klimawandels. Grünflächen helfen aber zum Beispiel, die Hitze in Städten zu reduzieren. Straßenbäume etwa schaffen einen schattigen Korridor, um sich auch bei Temperaturen von 50 Grad Celsius noch in der Stadt bewegen zu können. 

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Sind grüne Orte auch sichere Orte?

Gärten werden besonders von Frauen als sicher wahrgenommen. Vor allem, wenn sie abgeschlossen sind. Sie bieten Schutz vor Straßenkriminalität, die in vielen Städten ein großes Problem darstellt. Nachts in einem Park fühlen sich Frauen hingegen eher unsicher. Ob ein grüner Ort als sicher gilt, kommt also immer auf den Kontext an.  

Tragen urbane Ökosysteme zu sozialer Gerechtigkeit bei?

Wenn sie gut in der Stadt verteilt und für alle erreichbar sind, auf jeden Fall. Sie verschaffen Stadtbewohnerinnen und -bewohnern ohne eigenen Garten Zugang zu grünen Ruhezonen und naturnahen Erlebnissen. Urbane Gemeinschaftsgärten bieten Menschen, die sich frische Lebensmittel kaum noch leisten können, die Möglichkeit, sich mit gesundem Obst und Gemüse zu versorgen.  

Wie kann beim sogenannten Urban Gardening ein Gemeinschaftsgefühl entstehen?

Urbane Gärten sind Orte der Begegnung. Man trifft in der Stadt zwar überall Menschen, das bedeutet aber nicht, dass man wertvolle Sozialkontakte hat. Gerade in Städten fühlen sich viele Bewohnende einsam. Das betrifft vor allem Ältere. Aber auch immer mehr junge Leute sind sozial isoliert. Beim Gärtnern tauschen sich Menschen aus, viele freunden sich miteinander an. Das weckt ein Gemeinschaftsgefühl und ist zudem gut für die psychische Gesundheit.  

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Fördert Urban Gardening auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt?

So ein Gemeinschaftsgarten ist eine Art Gesellschaftslabor. Es kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Perspektiven zusammen, die sich auf einheitliche Regeln einigen müssen, etwa bei der Zuteilung knapper Wasserressourcen. Sie müssen gemeinsam Lösungen finden. Im besten Fall entwickeln sie Verständnis für andere Wahrnehmungen und lernen voneinander. Das kann sich durchaus positiv auf das gesellschaftliche Klima auswirken. Eine ganz wichtige Erfahrung ist auch, dass man merkt: Gemeinsam können wir mehr erreichen, um globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder dem Biodiversitätsverlust zu begegnen.  

Welche Chancen bieten solche Projekte benachteiligten Bevölkerungsgruppen?

Studien belegen, dass Personen, die sozialen Minderheiten angehören, Projekte wie das Urban Gardening als politischen Raum nutzen können. Bei der gemeinsamen Arbeit können sie ihre Standpunkte darstellen, erläutern und mit anderen diskutieren. So bekommen sie eine Chance, ihre Anliegen in die Gesellschaft zu tragen. Deshalb kümmern sich Nichtregierungsorganisationen gezielt darum, benachteiligte Gruppen in solche Projekte zu integrieren. Urban Gardening kann also Menschen eine Stimme verschaffen, die sonst kein Gehör finden.

Stand: Oktober 2022