Interview

„Wir leisten Pionierarbeit“

Eduardo Soriano ist Abteilungsleiter für Technische Anwendungen im brasilianischen Ministerium für Wissenschaft, Technik und Innovation. Torsten Schwab, Diplomingenieur, hat viele Jahre in Brasilien gearbeitet und leitet jetzt den „Power-to-X-Hub“ der GIZ in Berlin. In einem gemeinsamen Interview sprechen die beiden Experten über die Perspektiven von Power-to-X (PtX) und erklären, warum ein deutsch-brasilianisches Pilotprojekt den Weg bahnen könnte.

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Interview
Friederike Bauer

Grüner Wasserstoff gilt als wichtiger Baustein für die Dekarbonisierung. Wo stehen wir hier?

Eduardo Soriano: Wir stehen bei PtX und damit auch bei grünem Wasserstoff noch ganz am Anfang. Die Technologie ist grundsätzlich vorhanden, aber von Anwendungen im großen Maßstab sind wir noch weit entfernt. PtX ist für Brasilien eine interessante Technologie, weil das Land sehr viel Strom erzeugen kann. Und statt Energie zu speichern, könnten wir damit eine Form der Energie in eine andere umwandeln, also auch in Wasserstoff.

Eduardo Soriano ist Abteilungsleiter für Technische Anwendungen im brasilianischen Ministerium für Wissenschaft, Technik und Innovation. © GIZ/Thomas Ecke
Eduardo Soriano ist Abteilungsleiter für Technische Anwendungen im brasilianischen Ministerium für Wissenschaft, Technik und Innovation. © GIZ/Thomas Ecke

Wofür steht PtX genau?

Torsten Schwab: Power-to-X oder PtX steht für die Herstellung von Molekülen mithilfe von Strom und umfasst die gesamte Wertschöpfungskette von der Erzeugung des Stroms bis zum Endprodukt (d.h., dem „X“). Wasserstoff kommt ins Spiel, weil es häufig das entscheidende Element für die chemische Reaktionen ist. Und grün bedeutet, dass der Strom und alle beteiligten Moleküle nachhaltig erzeugt werden.

Warum ist grüner Wasserstoff so wichtig? Was für eine Rolle spielt er bei der globalen Energiewende?

Schwab: Grüner Wasserstoff ist die Verbindung zwischen erneuerbaren Energien und erneuerbarem Kohlenstoff. Für die meisten industriellen und chemischen Prozesse wird Kohlenstoff als Brennstoff verwendet. Aber auch für Kunststoff, Textilien usw. kommt er zur Anwendung. Der Kohlenstoff, den wir bisher dafür nutzen, stammt vor allem aus fossilen Quellen und ist daher die Hauptursache für die Erderwärmung. Deshalb müssen wir den fossilen Kohlenstoff durch nicht-fossilen Kohlenstoff ersetzen. Mithilfe von grünem Wasserstoff können wir solche Kohlenstoffe herstellen, die in der Industrie dringend benötigt werden.

Soriano: Wirklich wichtig ist, dass der verwendete Wasserstoff grün ist. Das heißt, der zur Herstellung eingesetzte Strom muss aus erneuerbaren Quellen wie Wind, Sonne oder Wasser stammen. Und weil ein Land wie Brasilien über ein riesiges Potential für erneuerbare Energien verfügt, erfüllen wir eine wichtige Voraussetzung für die Erzeugung von grünem Wasserstoff.

Torsten Schwab, Diplomingenieur, hat viele Jahre in Brasilien gearbeitet und leitet jetzt den „Power-to-X-Hub“ der GIZ in Berlin. © GIZ/Thomas Ecke
Torsten Schwab, Diplomingenieur, hat viele Jahre in Brasilien gearbeitet und leitet jetzt den „Power-to-X-Hub“ der GIZ in Berlin. © GIZ/Thomas Ecke

Aber wird grüner Wasserstoff nicht schon verwendet? In Norwegen zum Beispiel fahren Autos damit.

Schwab: Das ist richtig. In manchen Ländern gibt es schon wasserstoffgetriebene Autos. Doch das sind noch einzelne, isolierte Prototypen. Was wir wirklich brauchen, ist eine vollständig grüne Lieferkette für alle Produkte. Wasserstoff, Kohlenstoff, Kohlenwasserstoffe und andere, darauf basierende Produkte, die bisher noch fossil gewonnen werden, müssen in großem Maßstab grün werden.

Soriano: Brasilien hat Anfang der 2000er Jahre das Hauptaugenmerk auf Wasserstoffantrieb für Busse gelegt, doch das Programm wurde wieder eingestellt, weil der weltweite Wettlauf um Wasserstoff wieder aufgehört hatte. Jetzt hat er wieder begonnen.

Was kann man denn genau mit diesem grünen Wasserstoff anfangen?

Schwab: Wasserstoff ist vielseitig einsetzbar. Er kann sehr effizient in Strom und Wärme oder auch – zusammen mit anderen Molekülen – in hochwertigere Produkte umgewandelt werden. Wenn man zum Beispiel Kohlenstoff dazu gibt, lässt sich synthetisches Rohöl herstellen, das wie eine saubere Variante von fossilem Rohöl ist. Dieser Stoff dann genauso verwendet werden wie Rohöl heute: als Treibstoff für den Transport, zur Produktion von Kunststoffen, Schmiermitteln usw.

Soriano: Dieses synthetische Rohöl kann auch zu Kerosin weiterverarbeitet werden. Das ist zwar noch sehr kostspielig, aber mit dem richtigen Geschäftsmodell ist das nicht allzu weit hergeholt. Und damit hätten wir eine grüne Alternative zum fossilen Düsenkraftstoff. Das ist wirklich bedeutend, denn es gibt zwar inzwischen saubere Alternativen für Autos, Lastwagen und Züge, aber noch nicht für Flugzeuge und Schiffe. Bis dahin brauchen wir alternative Treibstoffe.

Und was genau braucht man, um solche alternativen Treibstoffe zu produzieren?

Soriano: Einfach gesagt: Luft und eine Menge Strom. Und dabei wird Wasserstoff benötigt. Deshalb ist es ein wichtiges Element für eine Zeit ohne Kohlenstoff. Wir können also alternativen Düsentreibstoff aus Luft und Strom herstellen. Wir halten diesen Prozess für äußerst vielversprechend, gerade weil alle notwendigen Rohmaterialien dafür überall verfügbar sind. Eigentlich kann jede Region ihr lokales Potenzial nutzen, um synthetische Treibstoffe herzustellen. Auch industrielle und agro-industrielle Abfälle und Nebenprodukte lassen sich verwenden.

Ist das noch Theorie oder schon Praxis?

Soriano: Beides – Theorie in der kommerziellen Nutzung, aber Praxis bei den ersten Versuchsanlagen, die schon angelaufen sind. In Brasilien wollen wir zeigen, dass so etwas wirklich funktionieren kann, dass wir Alternativen zum Antrieb von Flugzeugen schaffen können, sowohl mit traditionelleren Rohstoffen aus Biomasse als auch mit hochmodernen PtX-Ansätzen. Darum arbeiten wir an einem PtX-Ansatz, von dem wir glauben, dass er zur ersten kommerziell nutzbaren Herstellung von Flugzeugtreibstoff auf abgelegenen Flugfeldern führen könnte. Teil dieses Konzeptes ist eine Referenzanlage, die in Zusammenarbeit mit der GIZ und der Bundesregierung gebaut werden soll.

Wo wird diese Anlage gebaut? Oder anders gefragt: Wie weit ist das Projekt schon fortgeschritten?

Soriano: Derzeit investiert mein Ministerium als Vorstufe in zwei Forschungsanlagen an Universitäten; diese Projekte werden Mitte 2022 losgehen. Der Bau kommerzieller Anlagen hängt noch von Investitionen sowohl von deutscher als auch von brasilianischer Seite ab. Die größte Herausforderung wird sein, das sogenannte „Tal des Todes“ der Innovationen zu durchschreiten, also von der Forschung bis zur Anwendung im großen Maßstab durchzuhalten.

Betrachten Sie dieses Projekt als Pionierleistung?

Schwab: Definitiv, das ist Pionierarbeit, weil wir den Markt für PtX und damit für grünen Wasserstoff erst schaffen und in Gang bringen müssen. Dieses Projekt bietet eines der wenigen und sehr begehrten Geschäftsmodelle.

Soriano: Die Technologie ist die eine Seite. Wir denken aber auch über neue Geschäftsmodelle für Flughäfen, Anlagenhersteller oder Flugzeugbauer nach. Stellen Sie sich beispielweise vor, ein Flugzeugbauer würde nicht bloß Flugzeuge, sondern auch Anlagen zur Treibstoffproduktion verkaufen: Gerade für entlegene Flughäfen im tropischen Urwald, in der Wüste oder auf Inseln könnte sich das hervorragend eignen. So könnte der Flugzeughersteller möglicherweise das Flugzeug vermieten, und die Treibstoffkosten wären in den Leasingraten bereits inbegriffen. PtX bietet also eine Menge neuer Möglichkeiten, von denen sich einige jetzt noch verrückt anhören.

Wie lange wird es noch dauern, bis solche Produktionsanlagen wirklich markttauglich sind?

Soriano: Das hängt von der Größe ab, aber die ersten kommerziellen Anlagen zur Herstellung von alternativen Düsentreibstoffen, wie wir sie beschrieben haben, werden wahrscheinlich innerhalb der nächsten fünf Jahre bereitstehen. Für ein Produkt, das direkt auf den Markt gebracht und von Kunden erworben werden kann, wird es vermutlich noch zehn weitere Jahre dauern. Darum müssen wir jetzt auch Tempo machen. Wie schnell es vorangeht, hängt auch von weiteren internationalen Regularien und Standards ab.

Sind Sie persönlich überzeugt von dieser Technik und ihrem Zukunftspotenzial?

Schwab: Das ist der richtige Weg. Für mich ist das keine Frage. Darum widme ich mich auch mit vollem Einsatz unserer Arbeit im PtX Hub hier in Berlin. Mit PtX-Konzepten können erneuerbare Energien jetzt die Lösung für alle Industriezweige und Anwendungen sein, die sich heute noch auf fossiles Rohöl und seine Folgeprodukte stützen. Unsere Aufgabe ist es, das Wissen darüber zu den Entscheidern rund um die Welt zu bringen und Menschen zusammenzuführen, die etwas von dem Thema verstehen, damit sie die Technologie verbreiten. Das Projekt in Brasilien ist ein guter Start in die Zukunft.

Soriano: Wir werden vielleicht noch Zwischenschritte mit hybridem Flugverkehr sehen. Aber ich bin der festen Überzeugung: diese Technologie ist sehr wichtig und der Beginn der grünen Luftfahrt.

Das Projekt ProQR – klimaneutrale alternative Treibstoffe wird vom Bundesumweltministerium gemeinsam mit dem brasilianischen Ministerium für Wissenschaft, Technik und Innovation finanziert. Die GIZ setzt es zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt als ausführendem Partner um. Auf beiden Seiten haben sich dem Projekt noch weitere Institutionen und Unternehmen angeschlossen. Ziel ist es, ein internationales Referenzprojekt zur Produktion und Anwendung von nachhaltigen Treibstoffen für die Luftfahrt mithilfe der Power-to-liquid-Technologie zu schaffen.

März 2022