Interview
„Deutschland hat eine Vorbildfunktion“
Frau Meier, warum ist Nachhaltigkeit wichtig?
Nachhaltigkeit ist überall wichtig, auch in der Mode. Ich bin am Stadtrand von Amberg in ländlicher Umgebung aufgewachsen. Dadurch habe ich seit meiner bayerischen Kindheit einen engen Bezug zur Natur. Meine Eltern haben mir vieles vorgelebt, was heute als neuer Trend gilt, beispielsweise, dass man auf Plastikverpackungen verzichtet und Essen nicht wegwirft.
Was bedeutet das für Nachhaltigkeit in der Modeindustrie?
Wir denken immer Mode und Kleidung sind etwas Schönes. Dabei ist das eine sehr schmutzige Industrie mit Millionen von Näherinnen, die unter katastrophalen Bedingungen arbeiten. Umweltstandards und Menschenrechte sind deshalb ein großes Thema. Als ich angefangen habe, mich damit zu beschäftigen, war ich erschrocken, wie wenig davon in der Modewelt die Rede war. Heute gibt es tolle Initiativen, von kleinen deutschen Labels bis zu internationalen Konzernen, die da schon viel unternommen haben. Es werden beispielsweise neue Materialien getestet: Rhabarberleder oder aus Apfelresten gefertigte Taschen. Und da gibt es auch das Lieferkettengesetz, das transparent machen soll, woher Materialien kommen. Trotzdem gibt es immer noch viel zu tun.
Was machen Sie ganz konkret, um für mehr Nachhaltigkeit in der Mode zu werben?
Ich führe Gespräche mit Unternehmen - und kläre sie auch über den Wert des Grünen Knopfs auf, damit sie künftig die Kriterien erfüllen. Ich gebe Interviews und bin in den sozialen Medien aktiv, um die breite Masse zu erreichen. Ich möchte Menschen klarmachen, dass Mode kein Wegwerfprodukt ist. Als ich ein Kind war, waren Kleidungsstücke noch wertvoll. Wenn da irgendwo ein Loch war, wurde es geflickt und Kleidungsstücke wurden weitervererbt. Heute gibt es Teenager, die kaufen sich für eine Party ein schickes Teil und schmeißen es danach weg. Das finde ich erschreckend. Außerdem ist die Qualität oft so, dass man ein Kleid nach dem zehnten Waschen schon wegwerfen kann.
Was müsste sich ändern?
Wir werden unseren Konsum stärker einschränken müssen. Natürlich ist das für die produzierenden Länder schwierig, weil dann die Nachfrage in der Menge sinkt. Als Kompromiss wäre es besser, mehr hochwertige Teile zu produzieren. Statt sich zehn billige T-Shirts zu kaufen, sollten Kunden lieber eines von besserer Qualität auswählen, das dann eben etwas teurer ist. Dann könnten auch die Näherinnen fairer bezahlt werden.
Hatten Sie selbst die Möglichkeit, Produktionsstätten im globalen Süden zu besuchen?
Ja, wir haben vor der Corona-Pandemie Projekte in Äthiopien und Pakistan besucht, die schon vieles sehr gut machen. Fabriken, in denen Frauen geschlagen werden oder Fluchtwege versperrt sind, die öffnen ihre Türen für Besucher ohnehin nicht. Deshalb habe ich diese ganz schlimmen Zustände nicht zu Gesicht bekommen.
Was ist Ihnen auf den Reisen besonders aufgefallen?
Ich war überrascht, wenn es bei einem Besuch hieß, dass der staatliche Mindestlohn bezahlt wird. Da denkt man erst, das ist doch prima - und lernt erst im Gespräch mit den Frauen, dass der Mindestlohn so niedrig ist, dass man davon nicht leben kann, obwohl der Arbeitstag zwölf Stunden hat. Erstaunt hat mich auch, wie viel richtige Handarbeit es noch gibt. Ich wusste vorher nicht, dass ein Paillettenkleid mit der Hand gestickt ist und T-Shirts noch von Frauen mit der Nähmaschine genäht werden.
Kann eine nachhaltige Produktion dazu beitragen, die Produktion nach der Corona-Pandemie wieder in Gang zu bringen?
Ich würde mir wünschen, dass diese Unterbrechung durch die Pandemie dazu führt, dass im Textilsektor künftig nachhaltiger produziert wird und insgesamt nachhaltiger gewirtschaftet wird. Allerdings bin ich skeptisch. Da in unserer schnelllebigen Welt der Konsum so im Vordergrund steht, ist Nachhaltigkeit immer anstrengender, umständlicher und teurer.
Welche Rolle spielen das Lieferkettengesetz und der „Grüne Knopf“?
Wir müssen mehr Verantwortung dafür übernehmen, wie Kleidung produziert wird. Deshalb ist es gut, dass wir versuchen in einem Gesetz zu regeln, dass die Lieferketten nachvollziehbarer werden. Wir haben in Deutschland da eine gewisse Vorbildfunktion. Der Grüne Knopf ist toll, weil es ein staatliches Siegel ist und damit eine große Glaubwürdigkeit hat. Für den Konsumenten erleichtert das die Auswahl.
Haben Sie den Eindruck, dass sich in der Modebranche beim Thema Nachhaltigkeit schon etwas Grundlegendes geändert hat?
Es gibt immer mehr nachhaltige Linien, auch von den großen Modeketten. Manche sagen, es gibt da auch viel Greenwashing. Das bedeutet, das einzelne Firmen überwiegend weiter unter schlechten Bedingungen produzieren, aber eine spezielle Linie nachhaltig ist. Aber auch das ist ein kleiner Anfang. Wenn diese nachhaltige Linie sich gut verkauft, wird das Sortiment vielleicht erweitert oder irgendwann ganz umgestellt.
Und die Verbraucher?
Wenn die Käufer keinen Druck ausüben, wird sich die Wirtschaft nicht verändern. Allerdings darf man auch niemanden überfordern. Realistischer als gleich ein ganzer Schrank voller nachhaltiger Kleidungsstücke ist da vermutlich, dass man sich zunächst einmal ein nachhaltiges T-Shirt oder einen Schlafanzug kauft. Dann gibt es ein kleines Erfolgserlebnis und man knüpft daran an. Wenn 80 Millionen Deutsche alle so einen kleinen Schritt machen, dann haben wir schon echt viel bewegt.
Model Barbara Meier (35) ist Textilbotschafterin des Siegels „Grüner Knopf“. Sie setzt sich damit für Kleidung ein, die sozial und ökologisch verantwortungsvoll produziert wird. „Der grüne Knopf“ ist das erste staatliche, zertifizierte Siegel und wurde vom BMZ entwickelt.
Meier arbeitet schon lange in der Modebranche und erreichte 2007 große Popularität, als sie bei Heidi Klums TV-Show „Germany’s Next Topmodel“ antrat und die Staffel gewann.
November 2021