Interview
„Die Richtung ist klar“
Viele Politiker*innen sprechen von einer „grünen Wirtschaftsbelebung“. Glauben Sie, sie meinen das wirklich ernst?
Ich glaube tatsächlich, dass es ihnen ernst damit ist. Es ist nämlich ganz einfach: Wir haben nicht mal mehr 30 Jahre Zeit, um den Ausstoß von Treibhausgasen auf praktisch null zu reduzieren. Das heißt, wir stehen vor einer gewaltigen Herausforderung. Der Ausdruck „grüne Wirtschaftsbelebung“ erinnert uns daran, dass wir nur noch sehr wenig Spielraum haben und das Ziel der Netto-Null-Emissionen nicht aus den Augen verlieren dürfen. Das begreifen immer mehr Regierungen. Die jüngsten Überschwemmungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern haben die Notwendigkeit zum schnellen Handeln noch einmal unterstrichen.
„Der Ausdruck „grüne Wirtschaftsbelebung“ erinnert uns: Wir dürfen das Ziel der Netto-Null-Emissionen nicht aus den Augen verlieren.“
Sprechen wir von einem echten Wendepunkt, oder beschleunigt die Pandemie nur eine Entwicklung, die vorher schon begonnen hatte?
Die Klimakrise wurde auch vorher schon deutlich wahrgenommen, aber Covid-19 hat die politische Entschlossenheit verstärkt. In der Pandemie erkennen die Menschen und die Politik, dass wir besser mit Ereignissen umgehen müssen, die schwere Schäden nach sich ziehen. Den Klimawandel kann man als langsamere Version des gleichen krisenhaften Geschehens sehen. In dieser Hinsicht beschleunigt die Pandemie also die Dinge.
Es gibt eine Redensart, die sagt, wir sollten keine Krise vergeuden. Würden Sie dem zustimmen?
Auf jeden Fall. Wir stecken zwar mitten in einer Gesundheitskrise, doch es wird immer deutlicher, dass es sich auch um eine ökonomische und soziale Krise handelt. Wir müssen Arbeitsplätze schaffen; wir müssen das Wirtschaftswachstum fördern. Aber das alles muss nachhaltig geschehen. Covid-19 ist eine Gelegenheit, grüne Investitionen voranzubringen, denn noch einmal: eine CO2-freie Weltwirtschaft ist eine enorme Herausforderung, die wir meistern müssen.
„Covid-19 ist eine Gelegenheit, grüne Investitionen voranzubringen, denn eine CO2-freie Weltwirtschaft ist eine enorme Herausforderung.“
Wo genau stehen wir in diesem Transformationsprozess?
Fangen wir mit der EU an, deren Position hier sehr klar ist. Diese Umstellung ist ein erklärtes Ziel der Europäischen Union. Sie will die Emissionen von Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 55 Prozent reduzieren und bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein. Auch die Regierung von US-Präsident Biden hat ein ehrgeiziges Klimapaket auf den Tisch gelegt mit dem Ziel, die Emissionen bis zum Jahr 2030 zu halbieren. Und es gibt noch zahlreiche andere: Inzwischen haben sich etwa 40 Länder dem Netto-Null-Ziel bis 2050 verschrieben. Gemeinsam sind sie für 70 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich und erwirtschaften 70 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts. Die Richtung ist also klar. Es hängt jetzt alles davon ab, wie schnell diese Länder vorankommen.
Die Europäische Investitionsbank ist eine Institution, die diesen notwendigen Umbruch beschleunigen kann. Was tun Sie, um den Wandel zu unterstützen?
Zu diesem Zweck haben wir eine transparente Strategie verabschiedet: 2019 hat unser Vorstand den „Klimabank-Fahrplan 2021-2025 der EIB-Gruppe“ beschlossen. Darin steht, dass mehr als die Hälfte unserer jährlichen Finanzierungen bis 2025 grünen Investitionen gelten, die zum Beispiel saubere Energie, nachhaltige Mobilität und umweltfreundlichere Industrieproduktion fördern, Biodiversität erhalten, Umweltverschmutzung reduzieren usw. Heute stehen wir bei 40 Prozent. Das sind insgesamt 35 Milliarden Euro Investitionen pro Jahr – Investitionen in niedrigeren CO2-Ausstoß und grüne Wirtschaftsgüter. Unser Gesamtinvestitionsvolumen liegt bei etwa 70 Milliarden Euro im Jahr, von denen wir 90 Prozent innerhalb Europas ausgeben und 10 Prozent im Rest der Welt. Wir sind eine europäische Bank, die den Mitgliedsländern der EU gemeinsam gehört. Darum liegt unser Hauptaugenmerk natürlich auf der EU selbst, wo wir versuchen, Europas Wachstumschancen und die Arbeitsplatzsituation zu verbessern und gleichzeitig Initiativen fördern, die den Klimawandel abmildern. Und als letzte Säule unserer Aktivitäten fördern wir politische Vorgaben der EU außerhalb der Union. Wir sind in über 150 Ländern tätig.
Was genau fördern Sie mit diesem Geld?
Wir richten uns am „Green New Deal“ der Europäischen Union aus. Daraus ergibt sich ein breites Portfolio an Investitionen – von klimafreundlicher Stadterneuerung in Barcelona, einem Zug mit Wasserstoffantrieb in Groningen bis zur Unterstützung Kroatiens beim Ausbau seiner erneuerbaren Energieversorgung. Auch außerhalb der EU sind wir aktiv, fördern zum Beispiel den öffentlichen Verkehr in einer Reihe indischer Städte, den klimaschonenden Wiederaufbau der Wasser-Infrastruktur in Mosambik oder ein Solarkraftwerk in Usbekistan. Unser Engagement ist ziemlich breit gefächert, aber der größte Anteil geht in Energie und Mobilität.
Wer definiert, was wirklich „grün“ ist, und wer überprüft das?
Wir haben vor, die EU-Taxonomie für nachhaltige Maßnahmen anzuwenden. Das ist eine Beurteilungsstruktur, die nach festen Kriterien definiert, was als grün und umweltfreundlich anzusehen ist. Diese Taxonomie wird uns helfen, unser umweltfreundliches Kreditziel zu verfolgen und unser Portfolio zu kontrollieren. Die EU-Klassifizierung setzt klare und allgemeine Standards für alle. Sie wird außerdem helfen, private Investoren zu gewinnen, weil sie den internen Kapitalmarkt vertieft. Und sie trägt dazu bei, „Greenwashing“ zu vermeiden, denn durch die Taxonomie entsteht Klarheit darüber, was tatsächlich klimafreundliche Investitionen sind. Die Kommission hat inzwischen einen sogenannten „Climate Delegated Act“ verabschiedet, der detaillierte Kriterien dazu enthält. Sobald er von der EU angenommen ist, wird er viel verlässlichere und transparente Kriterien für grüne Investitionen liefern.
Sie haben erwähnt, dass die EIB bis 2025 zu 50 Prozent grüne Projekte fördern wird. Was ist mit den übrigen 50 Prozent?
Die andere Hälfte der Investitionen hat nicht direkt mit Umweltaktivitäten zu tun – meist, weil es einfach andere Themen sind. Wie zum Beispiel digitale Projekte, Programme zum gesellschaftlichen Zusammenhalt oder zur Stärkung des öffentlichen Sektors. Die lassen sich nicht so leicht unter „Klimaschutz“ einordnen, und darum werden sie dort auch nicht mitgezählt. Aber wir haben immer eine wichtige Bedingung: Alles, was in der anderen Hälfte gefördert wird, darf die langfristigen Klimaziele nicht gefährden oder untergraben.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hindernisse für eine grünere Zukunft?
Für mich sind die größte Hürde die öffentlichen Verwaltungen. In vielen Ländern funktionieren sie nicht gut oder nicht schnell genug oder beides. Die Internationale Energieagentur sagt, dass wir unsere Bemühungen vervielfachen müssen, zum Beispiel den weltweiten Anteil an Sonnen- und Windenergie vervierfachen und den Anteil an Elektroautos bis 2030 auf 60 Prozent steigern. Die Liquidität dafür ist da, der politische Wille auch. Einige schwierige Entscheidungen stehen noch aus, zum Beispiel die Rücknahme von Subventionen für fossile Brennstoffe und dergleichen, aber die politischen Voraussetzungen sehe ich im Allgemeinen erfüllt. Was wirklich fehlt, ist die Fähigkeit, Investitionsprogramme, Planungen, Rahmenkonzepte zu entwickeln und einzuführen, ein gutes ordnungspolitisches Umfeld zu schaffen etc. Ich glaube, die Konjunkturpakete für eine grüne Wirtschaftsbelebung sind da eine echte Chance. Denn die jetzigen Programme können reproduziert werden und so die Größenordnungen annehmen, die wir dringend brauchen.
Viele Entwicklungsländer arbeiten immer noch zweigleisig – sie investieren in erneuerbare Energien, aber auch in fossile Brennstoffe wie Kohle. Sind sie auf Kurs, was die Bemühungen zu grüner Entwicklung angeht?
Es ist richtig, dass viele Länder auf beiden Schienen fahren, aber auch hier sind große Veränderungen im Gange, vor allem angesichts der wirtschaftlich attraktiver werdenden erneuerbaren Energien. Ich sehe nicht, wie sie aufzuhalten sind. Selbst wenn einige Länder eine Zeitlang weiter Kohlekraftwerke betreiben, werden sich deren Betriebsstunden doch zügig verringern und irgendwann die billigeren Alternativen durchsetzen.
Was sind einige Ihrer besten Projekte außerhalb der EU?
Ich freue mich besonders über das, was wir in Mosambik tun, denn nach den Verwüstungen durch den Zyklon Idai im Jahr 2019 haben wir geholfen – und helfen immer noch –, wichtige Infrastruktur wiederaufzubauen. Wir tragen so dazu bei, das Land widerstandsfähiger gegen künftige Stürme zu machen. Auch das Solarkraftwerk in Usbekistan ist sehr interessant, obwohl es ein kleineres Projekt ist. Aber es hat Modellcharakter und lässt sich leicht im größeren Maßstab reproduzieren und kann so die nationale Stromerzeugung transformieren. Dafür bereiten wir gewissermaßen den Weg. Und dann ist da natürlich noch der City Climate Finance Gap Fund („Gap Fund“), der Städten weltweit hilft, klimarettende Projekte zu finanzieren. Städte sind meist unterfinanziert. Das macht sich besonders bemerkbar, wenn sie widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel werden wollen. Da kann der Gap Fund einspringen.
Was können Durchführungsorganisationen wie die GIZ tun, um den grünen Aufschwung zu beflügeln und Ländern zu helfen, das Netto-Null-Ziel zu erreichen?
Netto-Null-Emissionen zu erreichen, ist eine globale Herausforderung, für die riesige Investitionen vonnöten sind. Als EIB suchen wir wo immer möglich nach Partnern, die uns dabei helfen, Investitionen zu hebeln. Die GIZ ist ein entscheidender Partner – sie hat ein fantastisches Netzwerk; das kann für die EIB nur von Nutzen sein. Die Erfahrung und die Kompetenz der GIZ vor Ort sind wichtig, um eine Pipeline an Projekten zu entwickeln. Ich gehe davon aus, dass sich die Zusammenarbeit zwischen EIB und GIZ in Zukunft noch intensivieren wird. Und auf bilateraler Ebene kann die GIZ Partnerländer dabei beraten, die richtigen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten für grüne Entwicklungsprogramme und Investitionen zu schaffen.
HIN ZU GRÜNEN STÄDTEN
Die Europäische Investitionsbank (EIB) und die GIZ kooperieren bei einer Vielzahl von Projekten, vor allem im Sektor klimafreundliche Städte. Städte sind verantwortlich für 70 Prozent der globalen CO2-Emissionen und daher ein Schlüssel für eine klimaintelligente Zukunft. Um Lösungen für Städte zu entwickeln und zu finanzieren, wurde die GIZ beauftragt, FELICITY – Financing Energy for Low-carbon Investment einzurichten. Es bietet Dienstleistungen und Kapazitäten, die genau auf die Bedürfnisse von Kommunen und Finanzintermediären in Brasilien, Mexiko, Ecuador und Indonesien zugeschnitten sind. FELICITY unterstützt beispielsweise den Bau eines Kanalisationsnetzwerk für Regenwasser und Abwasser in Ecuador oder energieeffiziente und mit Sonnenenergie versorgte Schulen in Porto Alegre, Brasilien. Der City Climate Finance Gap Fund verfolgt einen ähnlichen Ansatz, indem er Kommunen bei der Projektvorbereitung unterstützt und Finanzlücken schließt, wenn es um kohlenstoffarme, klimaverträgliche Stadtentwicklung geht. Dazu gehören zum Beispiel Investitionen in nachhaltige Mobilität, Grünflächen, energieeffiziente Gebäude sowie Wasser- und Abfallwirtschaft. Diese Initiative wird gemeinsam von EIB, GIZ und Weltbank umgesetzt.
Juli 2021