Perspektiven
Hüterinnen der Naturschätze
„Wir haben gelernt, wie man die Natur schützt, nachhaltig erntet und die Produkte vermarktet.“
„Früher war ich immer nur zu Hause, habe mich um die Familie und den Haushalt gekümmert. Für uns Landfrauen interessierte sich niemand. Das Leben war sehr eingeschränkt. Wenn ich Frauen gesehen habe, die zur Arbeit gingen, habe ich mich gefragt, warum ich das nicht auch kann. Schließlich hat sich mir mit dem Projekt diese einmalige Chance geboten. Die Leute von der GIZ sind in unsere Gemeinde gekommen, haben erklärt, worum es geht, und gefragt, ob ich mitmachen möchte. Mit ihnen haben wir gelernt, wie man die Natur schützt, nachhaltig anbaut und erntet, eine Kooperative führt und die Produkte vermarktet. Wir waren uns nicht bewusst, welch tolle Schätze es in unseren Wäldern gibt. Jetzt stellen wir aus Wildpistazien, Rosmarin, Lorbeer und Eukalyptus ätherische Öle her. Wir produzieren Wässer, Seifen und Hautcremes.
Unser Einkommen macht uns finanziell unabhängig und wir müssen nicht immer unsere Männer um Geld bitten. Das gibt uns einen ganz anderen sozialen Status. Anfangs haben die Leute geredet: Warum erlaubt mir mein Mann, dass ich den ganzen Tag aus dem Haus bin und wegfahre. Aber er und meine Familie haben mir immer mehr vertraut und mich dann sogar zu dieser Arbeit ermutigt. Schließlich sind wir sogar zu Messen nach Tunesien und Deutschland gereist. Jetzt habe ich die Verantwortung für das Haus, die Arbeit und die Frauen in der Kooperative. Ich muss für sie da sein, sie motivieren, mich um das Marketing kümmern. Wir wollen, dass unsere Produkte die besten sind, und sie hier und im Ausland verkaufen. Ja, wir haben Träume. Wenn die Frau Hilfe und Unterstützung bekommt, kann sie für sich und andere gute Sachen machen. Wenn du die Frauen dann so siehst, spürst du, dass du ein Ziel im Leben hast.“
„Wir haben wertvolle Kontakte bekommen.“
„Mich hat die Rührigkeit der Landfrauen begeistert – und der Gedanke, etwas für die Entwicklung dieser vernachlässigten, verarmten Regionen zu tun. Das hat mich ungemein motiviert, ein Glied in dieser Kette zu werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass Genossenschaften der Motor der Agrarwirtschaft sind. Deshalb unterstütze ich die Kooperativen mit meinem Fachwissen und technischer Ausrüstung, wie zum Beispiel einem Destillator. Außerdem habe ich mit ihnen einen Fair-Trade-Vertrag abgeschlossen, den ersten dieser Art überhaupt in Algerien. Für mich ist diese Zusammenarbeit wirtschaftlich sehr interessant. Ich weiß um den hohen Wert ihrer Produkte und bin bereit, für diese hohe Qualität auch einen entsprechend hohen Preis zu bezahlen. Ich fand das Projekt auch deshalb von Anfang an gut, weil ihm ein gewisser ethischer Geist zugrunde liegt.
Das ist etwas, was schon immer mein Ziel war: die Ethik in der Arbeit. Es liegt mir am Herzen, alles, was selten und endemisch ist, zu erhalten und ihm den gebührenden Wert zurückzugeben. Die Frauen ernten mit viel Liebe und Sorgfalt. Sie wissen, dass sie es mit der Seele der Pflanzen zu tun haben. Deshalb verbreite ich ihre Artikel auch als die exklusivsten in meinem ganzen Sortiment und lege ihre Geschichte kurz erzählt bei. Dieses ,Storytelling‘ macht sie so noch hochwertiger und spricht vor allem jene meiner Kundinnen und Kunden an, die auf ein ethisch sauberes Produkt Wert legen. Und nicht zuletzt trage ich mit dazu bei, den Lebensstandard der Frauen zu verbessern.“
„Ich habe an allen Weiterbildungen teilgenommen.“
„Eigentlich habe ich einen Fachschulabschluss als Bautechnikerin. Aber ich habe in diesem Beruf nie Geld verdient, weil es keine Stellen gibt. Die Kooperative bot daher eine gute Gelegenheit für mich, zu arbeiten. Das GIZ-Team hat Frauen hier in der Region direkt angesprochen. Anfangs dachte ich: Das ist besser als nichts. Aber inzwischen bin ich schon zwei Jahre dabei und die Arbeit ist mir richtig ans Herz gewachsen. Ich habe an allen Weiterbildungen zu Heilpflanzen, nachhaltiger Entwicklung, Marketing, Finanzwesen und Management teilgenommen. Als wir von der GIZ einen Destillator zur Verfügung gestellt bekamen, um unsere Produktpalette zu erweitern, habe ich mich aufs Destillieren spezialisiert. Die anderen Frauen sind älter und haben sich davor gescheut, dieses Gerät anzufassen. Sie hatten Angst, dass es explodiert. Na ja, zuerst habe auch ich befürchtet, dass mir das alles um die Ohren fliegt. Aber jetzt macht es mir richtig Spaß. Es ist gar nicht so kompliziert.
Früher haben wir Pflanzen nur getrocknet. Jetzt stellen wir ätherische Öle und Wässer her und haben unsere Produktpalette um Seifen und Cremes erweitert. Es wäre gut, wenn wir die Pflanzen auch selbst in Gewächshäusern anbauen könnten. Wir müssten weniger in den Transport investieren. Bis jetzt müssen wir ein Fahrzeug mieten, um in die Berge zu fahren. Mit dem Eigenanbau dagegen könnten wir die Erträge steigern und die Kosten senken. Außerdem wollen wir unsere Produkte zertifizieren lassen, um sie auch an Apotheken verkaufen zu können. Das bringt mehr Gewinne und wir können mehr in Material wie Schläuche, Pumpen, Verpackung oder Etiketten investieren. Ich denke, dass unsere Kooperative wirklich eine Zukunft hat. Wir müssen uns eben anstrengen.“
Frauenkooperativen setzen Zeichen
Seit jeher werden in Algerien einheimische Pflanzen und Früchte in der traditionellen Medizin und Kosmetik genutzt. In den nordöstlichen Küstenregionen von El Kala und des Edough-Massivs haben Hüterinnen dieses Wissens daraus ein Geschäftsmodell entwickelt. Auf Initiative der GIZ haben sie sich 2018 in den ersten privaten Frauenkooperativen des Landes zusammengeschlossen. Die GIZ hat sie dabei im Auftrag des BMZ mit Know-how und Material unterstützt. Inzwischen sind 95 Frauen in fünf Genossenschaften dieser Art organisiert. Früher haben sie gar nicht oder jede für sich allein gearbeitet. Jetzt nutzen sie alle gemeinsam die von ihnen geschaffenen Betriebs- und Vermarktungsstrukturen. Sie bilden Netzwerke, besuchen Managementkurse und nehmen an nationalen und internationalen Messen teil. Dadurch lernen sie, effektiver zu produzieren und ihre Produktpalette zu erweitern. Der Wandel von der Hausfrau zur Unternehmerin hat ihre Position in der stark konservativ geprägten ländlichen Gesellschaft fundamental verändert. Die Frauen zählen zur lokalen Bevölkerung eines bestehenden und eines geplanten Nationalparks und werden in deren Nutzungspläne eingebunden. Das soll ihnen eine langfristige Einkommensgrundlage garantieren und die Übernutzung der Ressourcen verhindern. Damit gewinnt der Staat Partnerinnen, die sowohl die ländlichen Wirtschaftsstrukturen als auch die Vorhaben zum Schutz der Biodiversität stärken.
Kontakt: Rolf Dietmar, rolf.dietmar@giz.de
Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei:
aus akzente 2/21