Reportage China

Fahrt aufnehmen

Vom Elektrowunder von Shenzhen, intelligenten Ampeln in Jinan und einem Dialog über Mobilität der Zukunft: unterwegs in China mit Guido Beermann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur.

Text
Christiane Kühl
Fotos
Dave Tacon

Hinter Guido Beermann surrt ein gelber Bus und rollt fast lautlos auf den Stützpunkt der Shenzhen Eastern Bus Company. Beermann geht in die Hocke, um sich die zwei schwarzen Kästen anzusehen, die in der südchinesischen Millionenmetropole eine Verkehrsrevolution möglich gemacht haben: die Batterien im Unterbau des Elektrobusses. Unscheinbar, aber so verlässlich und leistungsstark, dass Shenzhen innerhalb von drei Jahren die gesamte Busflotte und die meisten Taxis der Stadt auf Elektroantrieb umgestellt hat, um die Luftverschmutzung zu reduzieren. Mehr als 20.000 Fahrzeuge fahren allein hier mit dem alternativen Antrieb. Zum Vergleich: Im Sommer 2018 waren in ganz Deutschland insgesamt 186 E-Busse unterwegs.

Staatssekretär Guido Beermann beim Besuch der Shenzhen Eastern Bus Company

In dem Stützpunkt im Osten der Stadt werden die Fahrzeuge der Shenzhen Eastern Bus Company gewartet, repariert und vor allem aufgeladen. Ein ideales Ziel für Beermann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), um sich über die Energiewende im chinesischen Verkehrssektor zu informieren. Unterwegs ist er mit einer deutschen Delegation, die sich auf mehreren Stationen mit Partner*innen in chinesischen Ministerien und Firmen unter anderem zu Konzepten nachhaltiger Mobilität austauscht. 

Die Shenzhen Eastern Bus Company hat nicht nur auf E-Mobilität umgestellt, sie setzt auch auf flexiblen öffentlichen Nahverkehr: Neben den weißen E-Linienbussen, die auf festen Routen fahren, gibt es gelbe E-Busse, die jeder online mieten kann, der 25 Passagiere zusammenbekommt. „In Shenzhen wohnen viele weit weg vom Arbeitsplatz. Also mieten sich zum Beispiel Kolleg*innen gemeinsam einen Bus für die Fahrt“, erklärt Geschäftsführer Lu Rong-yuan. Die Passagiere organisieren sich damit quasi ihre eigene Buslinie. Dieses Angebot wird stark angenommen, insgesamt gibt es 900 „Linien auf Bestellung“. 

Zukunftsweisend bei der Elektromobilität

Die Einsatzpläne der 160 regulären Linienbusse dieses Stützpunktes steuern zwei Mitarbeiterinnen allein mit Tablet-Computern. „Möglich ist dies dank unserer Smart Traffic Cloud. Damit können wir per Klick jeden Bus für eine bestimmte Uhrzeit hierher bestellen“, sagt Lu. Eine solche Steuerung ist wichtig, weil in China Busse nicht nach Zeitplänen fahren, sondern nach einer Frequenz – die von wenigen Minuten bis hin zu Abständen von bis zu einer halben Stunde in entlegenen Vororten rangiert. Die früher mit Papierlisten verbundene, komplizierte Logistik der getakteten Busse sei durch das neue System viel schneller und bequemer, sagt Lu.

In Shenzhens Elektrobussen zahlen die Passagiere bargeldlos.

Die Visite bei der Busgesellschaft in Shenzhen ist Teil des Deutsch-Chinesischen Dialogs zur Förderung einer Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie (MKS) für China, dessen Umsetzung die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH unterstützt. Dies ist weltweit die erste und bisher einzige Beauftragung der GIZ durch das BMVI, sagt Sandra Retzer, Leiterin Nachhaltige Mobilität, Energie und Infrastruktur im Pekinger GIZ-Büro.

In beiden Ländern zielt die Verkehrspolitik darauf ab, die Balance zwischen den Anforderungen durch Klimaschutz, Energiesicherheit und Luftreinhaltung einerseits und den Erwartungen der Menschen an Erschwinglichkeit, Sicherheit und Mobilität andererseits zu schaffen. Eine Herausforderung, für die der Dialog Lösungen aufzeigen soll. Ein Dialog, von dem beide Seiten profitieren. So lassen sich die Lebensqualität, insbesondere in den Städten, verbessern und die im Pariser Abkommen vereinbarten Klimaziele beider Staaten erreichen. 

Bei der Elektromobilität beispielsweise ist China deutlich weiter als Deutschland. Chinas Regierung subventioniert seit Jahren den Kauf von Elektroautos und hat in großem Stil Ladeinfrastruktur dafür aufgebaut. Bis Ende 2018 hat das Land seine Kapazitäten trotz des riesigen Straßennetzes verdoppelt – von 2,5 auf 5,7 Ladestationen pro 100 Kilometer, in Deutschland sind es im Vergleich 4,5 Ladestationen pro 100 Kilometer. 2018 wurden in China nach offiziellen Angaben erstmals eine Million Elektroautos verkauft. Das bedeutet einen Marktanteil von E-Pkws an den Gesamtzulassungen für alle Fahrzeugtypen von mindestens 3,5 Prozent. In Deutschland lag der Anteil zuletzt bei 1,9 Prozent. In China werden private Autos allerdings kaum als Transportmittel über längere Distanzen eingesetzt. Die Regierung hat so hohe Mautsätze festgelegt, dass eine Fahrt zwischen zwei Metropolen mit dem Schnellzug günstiger ist, als das eigene Auto zu nutzen. Gleichwohl gilt China weltweit als Leitmarkt für die Elektromobilität. „Ich bin beeindruckt, wie innovativ hier vieles ist – und bin davon überzeugt, dass dieser Austausch für beide Seiten sehr sinnvoll ist“, betont Guido Beermann, der zum ersten Mal China besucht.

Vorbildlicher Anschluss mit Bus, Bahn und Bikesharing 

Umgekehrt reisen chinesische Delegationen nach Deutschland, um mehr über Verkehrsthemen zu erfahren, bei denen Deutschland führend ist. Das ist beispielsweise der intermodale Verkehr, weiß Sandra Retzer. Dahinter steckt die Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel. In Deutschland finden Bahnreisende nach dem Aussteigen vor dem Bahnhof meist gute Busverbindungen, S-Bahnen und Bikesharing vor. In China hingegen liegen die Bahnhöfe der neuen Schnellzüge oft weit außerhalb der Städte und sind schlecht angebunden.

Liu Xiaoshi, Vizegeneralsekretär der Denkfabrik China EV100 und Staatssekretär Guido Beermann

Das deutsch-chinesische Projekt und der Austausch sind beiden Seiten so wichtig, dass bei dem Besuch Beermanns im Verkehrsministerium in Peking eine Verlängerung über 2019 hinaus besprochen wurde. „Der Verkehr ist einer der wichtigsten Sektoren unserer Arbeit, hier sind viele Kooperationen möglich“, betont Retzer, die die Delegation durch China begleitet. Nach politischen Gesprächen im Transportminis­terium und dem Austausch mit Vertretern deutscher Autobauer in China macht die deutsche Gruppe halt bei China EV100. Die regierungsnahe Denkfabrik agiert als Plattform für Forschung, Regierung und Industrie zur gemeinsamen Förderung der Elektromobilität. Liu Xiaoshi, Vizegeneralsekretär von China EV100, überrascht die deutschen Besucher*innen mit einer Ankündigung für die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking: Einer der beiden Austragungsorte der Skiwettkämpfe, Zhangjia­kou, ist als CO2-arme Olympiazone geplant. Dazu sollen 1.800 Busse, Taxis und Logistik­fahrzeuge mit Brennstoffzellen eingesetzt werden. 

CHINA-WIKI

 

Hauptstadt: Peking / Einwohner: 1,386 Milliarden / Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 8.827 US-Dollar / Wirtschaftswachstum: 6,5 Prozent / Rang im Human Development Index: 86 (von 189) / CO2-Ausstoß pro Kopf: 6,6 Tonnen
Quellen: Weltbank 2017/2018, Internationale Energieagentur

Sandra Retzer, Leiterin Nachhaltige Mobilität,
­Energie und Infrastruktur GIZ-China,

Kontakt: Sandra.Retzer@giz.de

Beermann wiederum berichtet von Projekten der deutschen Industrie zu Wasserstoff-Lastwagen und -Lokomotiven. Bei dem Gespräch zeigt sich schnell, dass beide Seiten vor den gleichen Herausforderungen stehen: Wie lassen sich die Kosten für die Brennstoffzelle drosseln? Wie können erneuerbare Energien optimal für die Elektromobilität eingesetzt werden? Beermann und Liu sind sich einig, sie möchten den persönlichen Austausch fortsetzen, vor allem im Bereich alternativer Antriebe wie Brennstoffzellen.

Mobilitätskonzepte und Big Data

Nächste Station der Reise: der Mobilitätsdienstleister Didi Chuxing. Er betreibt ähnlich wie das US-Unternehmen Uber eine App zur Buchung von Fahrten und entwickelt darüber hinaus digitale Lösungen im Verkehrsmanagement. So präsentiert das junge Unternehmen an riesigen Bildschirmen, wie es mit Hilfe von Big Data seine Fahrer*innen optimal einsetzt. Das ist auch möglich, weil in China relativ leicht auf Daten zugegriffen werden kann und ein Datenschutz im westlichen Verständnis nicht exis­tiert. Didi hat über Peking ein digitales Netz gespannt und kann in jedem einzelnen Sektor erkennen, ob dort genug seiner Fahrer*innen unterwegs sind, um den Bedarf zu decken. Wenn nicht, werden sie aus Gebieten mit Überangebot hingeschickt. Von Didi entwickelte, intelligente Ampeln haben in der Millionenstadt Jinan die Staus um 20 Prozent reduziert, indem die Ampelphasen an ausgewählten Hauptstraßen automatisch an das Verkehrsaufkommen angepasst wurden, erklärt eine Sprecherin. Gastgeber Wang Ben, Vizepräsident für Internationale Geschäfte von Didi Chuxing, ist um die Welt geflogen, um sich vor Ort über die Verkehrsprobleme verschiedener Großstädte zu informieren. Auch in Deutschland würde Wang gerne irgendwann aktiv werden, sagt er zu Staatssekretär Beermann. Wang gehört zu den jüngeren, im Ausland ausgebildeten Chinesen, die mühelos auf Englisch mit den Besucher*innen sprechen.

Am Ende der Reise durch Chinas Städte und Straßen nimmt das Team um Guido Beermann viele Impulse mit nach Deutschland. „Auch wenn nicht alles, was hier gemacht wird, für uns passt – beide Länder tun gut daran, sich offen und intensiv über Mobilität, Nachhaltigkeit und künstliche Intelligenz auszutauschen. Die GIZ nimmt dabei eine wichtige Rolle ein“, resümiert der Staatssekretär. Ein Thema, das bei dem Besuch immer wieder aufkommt und in Deutschland eine deutlich größere Rolle spielt, ist der Datenschutz. Darüber zu sprechen, gehört auch zum deutsch-chinesischen Dialog. Ein Austausch gleichwertiger Partner, keine Einbahnstraße. —

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