Ukraine

Erfolgreiche Ernte

Die Ukraine setzt auf Dezentralisierung. So soll auch die Wirtschaft in den kleineren Gemeinden einen Schub bekommen. Ein Besuch in Apfelplantagen zeigt, wie das gehen kann.

Text
Paul Flückiger
Fotos
Olexandr Techynskyi

Apfelbäume soweit das Auge reicht. In Severyniwka, einer 4.000-Einwohnergemeinde in der Zentralukraine, dreht sich fast alles um den Obstanbau. Die Apfelplantagen sind gut in Schuss und es liegt weniger Land brach als in anderen Orten der Region. Die Gemeinde baut zudem selbst Weiden an, mit der sie Heizungsanlagen für öffentliche Gebäude befeuert. „Wir experimentieren mit allen möglichen ökologischen Heizsystemen“, sagt Alexander Gitsun. Der Gemeindevorsteher von Severyniwka ist ein Energiebündel mit tausend Ideen, wie vor Ort Geld gespart und sinnvoll investiert werden kann. Er setzt die neue Eigenverantwortung schwungvoll um.   

Im Gemeindebüro von Severyniwka in der Zentralukraine: Die Dezentralisierung sorgt für mehr Bürgernähe
Im Gemeindebüro von Severyniwka in der Zentralukraine: Die Dezentralisierung sorgt für mehr Bürgernähe

Severyniwka gehört zu den 705 Gemeinden in der Ukraine, die sich im Zuge der umfassenden Dezentralisierungsreform seit 2015 neu organisiert haben. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH führt zusammen mit der schwedischen Agentur für Entwicklung Sida als Partner des ukrainischen Regionalentwicklungsministeriums bis 2020 das Vorhaben durch. Finanziert wird es von der EU und zusätzlich von Dänemark, Deutschland, Estland, Polen und Schweden.  „U-LEAD with Europe“ heißt das umfangreiche Programm für mehr Eigeninitiative und selbstverantwortliches Handeln der Bürger. Bereits sechs Millionen Ukrainer profitieren davon.

Neue Jobs direkt in den Dörfern 

Nachdem die Schule von Severyniwka durch einen EU-Zuschuss isoliert wurde, investierte das Team um Alexander Gitsun das bei den Heizkosten gesparte Geld in die komplette Sanierung des Gebäudes. Zur Freude der Schüler, Lehrer und Eltern. „Doch Schulen und Kindergarten mit Sonnenkollektoren in Ehren, was wir hier vor allem brauchen, sind Arbeitsplätze“, betont der Gemeindevorsteher. Bisher gibt es in Severyniwka neben den Jobs in der Verwaltung nur rund 50 Stellen in der Privatwirtschaft: Eine Bäckerei, eine Kleinbrauerei und eine kleine Ziegelfabrik bieten Arbeitsplätze.

Obstbauern sollen ihre Ernte künftig selbst verarbeiten und damit mehr Arbeitsplätze schaffen.
Obstbauern sollen ihre Ernte künftig selbst verarbeiten und damit mehr Arbeitsplätze schaffen.

Gitsun setzt darauf, künftig die Obstverarbeitung direkt vor Ort zu organisieren und damit Jobs zu schaffen. Bisher werden Äpfel und Himbeeren an Großhändler verkauft. Da eine Kühlhalle zu teuer ist, will die Gemeinde nun dazu beitragen, dass die Obstbauern eine Kooperative gründen. „Zuerst trocknen wir Äpfel und Beeren, später könnten wir sie gleich selbst zu Saft oder Joghurt weiterverarbeiten“, sagt der Gemeindevorsteher. Dank der Förderprogramme für die fusionierten Kommunen ist eine eigene Wasch- und Obsttrocknungsanlage finanzierbar. Das sei sehr wichtig, betont Gitsun: „Wenn wir keine Arbeitsplätze hier vor Ort schaffen, wandert unsere ganze Jugend ab. Träumen, Daumen drehen und auf einen Investor warten, bringt uns nicht weiter.“

Erfolgsmodell mit Fruchtsaft-Fabrik

Im nahegelegenen Bar mit seinen 17.000 Einwohner ist der nächste Schritt schon geschafft. Bereits seit Anfang der 2000er Jahre hat der österreichische Fruchtsafthersteller „Pfanner“ dort eine große Produktionsstätte. In der Hochsaison bietet das Unternehmen bis zu 1.000 Jobs. „Wir sind der beste Steuerzahler hier, aber Altruisten sind wir nicht“, betont der lokale Firmenleiter Wolodymyr Godowanjuk die wirtschaftliche Ausrichtung. Wichtig seien für das Unternehmen aus Österreich Rechtssicherheit, Stabilität und gut ausgebildete Fachkräfte, die dann auch entsprechend bezahlt würden. Auf dem Firmengelände, einem ehemaligen sowjetischen Kombinat für Obstpektin und -konserven, wird umfangreich umgebaut. Das Unternehmen expandiert weiter.  

Die knackigen Früchte stehen auch im Mittelpunkt der Tourismusidee „Apfel-Weg“.
Die knackigen Früchte stehen auch im Mittelpunkt der Tourismusidee „Apfel-Weg“.

„Jede Gemeinde muss sich wirtschaftlich spezialisieren und dann ein eigenes Erfolgsmodell schaffen“, sagt Oleg Lewtschenko. Der Regionaldirektor von U-LEAD wirbt auch mit viel Verve für lokale Marketingkonzepte wie einen „Apfel-Weg“ zwischen Severyniwka, Bar und dem bisher eher abgehängten Ort Oleksandriwka. Das Konzept sieht eine touristische Verbindung der drei Apfeldörfer vor: Kanufahrten auf dem Fluss Riw, Besuche im Apfel-Museum von Oleksandriwka oder Gourmettourismus rund um den Apfel. Noch steckt das Vorhaben in den Anfängen. Ein herbstliches Apfelfest im Städtchen Bar gibt es bereits. „Wir müssen Hoffnung hier vor Ort wecken, damit die Bürger wieder eine Perspektive sehen“, betont Lewtschenko. Viele würden nicht nur deshalb auswandern, weil Jobs fehlten, sondern vor allem weil die Menschen für sich in der Ukraine keine Zukunft sähen. Dem setzen er und die Gemeindevorsteher der Region neue Ideen rund um die Apfelbäume entgegen. 

Ansprechpartner: Jenny Hornisch, jenny.hornisch@giz.de

DAS PROJEKT IN ZAHLEN

Sechs Millionen Ukrainer
profitieren bereits von der Dezentralisierung.

 

705 neue Gemeinden
sind entstanden und können selbst über Steuereinnahmen verfügen.

 

340 Mitarbeiter
aus der Ukraine und vielen EU-Ländern gehören zu „U-LEAD with Europe“.

 

Die EU und fünf Länder
der Staatengemeinschaft finanzieren das Vorhaben: Dänemark, Deutschland, Estland, Polen, Schweden

Oktober 2018

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