Interview
„Digitalisierung als Chance, Unterschiede zu überwinden, anstatt Gräben zu vertiefen“
Frau Diekjürgen, kann Digitalisierung dazu beitragen, den Hunger in der Welt zu verringern?
Mit den richtigen Rahmenbedingungen hat sie das Potenzial, die Landwirtschaft resilienter, also widerstandsfähiger zu machen. Etwa, wenn mithilfe von Fotos und künstlicher Intelligenz Pflanzenkrankheiten erkannt werden. Dann können Bäuerinnen und Bauern schnell auf ihrem Smartphone Informationen darüber bekommen, was zu tun ist. Damit lassen sich in manchen Fällen Ernten retten. Leider gibt es in vielen Regionen des Globalen Südens zu wenig landwirtschaftliche Berater*innen, die die Landwirt*innen mit neutralem Wissen zeitnah vor Ort unterstützen können. Diese Lücke kann die Digitalisierung zumindest teilweise füllen. Und wenn entlang der Wertschöpfungskette digitale Tools wie etwa Sensoren, die die Feuchtigkeit im Boden oder im Lager messen, eingesetzt werden, verderben weniger Lebensmittel und die kostbare Ressource Wasser kann zielgerichteter eingesetzt werden. So können Nachernteverluste reduziert werden, Erträge gegebenenfalls gesteigert werden und weniger Nahrungsmittel müssen importiert werden. Es gibt aber erhebliche Knackpunkte in der Diskussion, beispielsweise die mangelnde Versorgung mit Breitbandnetz im ländlichen Raum oder die Frage nach der Datenhoheit und -weiterverwendung der produzierten Daten.
Haben Sie weitere Beispiele für digitale Hilfsmittel in der Landwirtschaft?
In Afrika sind zurzeit knapp 400 Anwendungen auf dem Markt. Mehr als die Hälfte haben mit Beratung und Informationen zu tun. Hier werden beispielsweise zeitnah Wetterdaten oder Marktpreise geliefert. Mittlerweile verleihen aber auch Lohnunternehmer*innen ihre Landmaschinen über Plattformen, so lassen sich Kosten und Ressourcen senken. Andere Apps zeigen Kleinbäuerinnen und -bauern, wo ortsnah Düngemittel und Saatgut verfügbar sind. Auch der Bereich der Agrarfinanzierung und entsprechender Beratung wird mittlerweile im digitalen Kontext weiter ausgebaut.
Wie verbreitet sind solche Tools bereits?
Landwirtschaftliche Apps sind regional sehr unterschiedlich verbreitet, während in Kenia das digitale Ökosystem entlang der gesamten landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette boomt, sind in Guinea-Bissau sehr wenige Anwendungen auf dem Markt. Das hat unterschiedliche Gründe. Im Globalen Süden werden erst seit den 2010er Jahre digitale Lösungen angeboten. Auf dem afrikanischen Kontinent sind die meisten Apps und Plattformen sogar erst in den vergangenen fünf Jahren entstanden. Dort nutzen derzeit nur 13 Prozent der Bäuerinnen und Bauern digitale Tools und das sind zum größten Teil die Landwirt*innen, die in Wertschöpfungsketten größerer Unternehmen integriert sind und eine höhere Gewinnmarge haben.
Woran liegt das?
Nicht alle haben gleichen Zugang zum Internet und zu Endgeräten. Das gilt häufig für Frauen. Dann spricht man vom sogenannten gender-based digital divide. Das darf durch Digitalisierung nicht manifestiert werden. Gerade in diesem Bereich ist das Credo „Leave no one behind“ essenziell – also keinen und keine zurücklassen. Digitalisierung sollte als Chance genutzt werden, Unterschiede zu überwinden, statt Gräben zu vertiefen. Dazu muss zum einen die digitale Infrastruktur gerade in ländlichen Gebieten geschaffen oder verbessert werden und zum anderen digitale Trainings und der Zugang zu Daten, Diensten und Anwendungen zum Beispiel durch niedrige Preise für Landwirt*innen erschwinglich sein. Hier ist es wichtig sogenannte eSkills und digital literacy aufzubauen; wir möchten, dass die Landwirt*innen nicht nur die Anwendungen bedienen können, sondern auch verstehen, was mit ihren Daten passiert und wer davon profitiert. Am Ende sind digitale Anwendungen eine Investition, die sich für die Bäuerinnen und Bauern lohnen muss.
Gibt es Länder, die digitale Vorreiter sind?
Indien und auf dem afrikanischen Kontinent Ruanda, Uganda, Kenia und zunehmend Ägypten. Kenias digitales Ökosystem ist sehr dynamisch. Das liegt an der vorhandenen Infrastruktur für digitale Anwendungen, also Server, Internet, Elektrizität. Gleichzeitig ist die Agrarforschung sehr weit und die Regierung hat gute Rahmenbedingungen für Agrarfirmen sowie junge Unternehmer*innen geschaffen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Zusammenarbeit mit Anbietern für mobiles Internet: Das wirkt sich auf die Preise aus. Stimmen diese Bedingungen, dann kann sich ein digitales Ökosystem schneller entwickeln.
Wie unterstützt die GIZ innovative Wege bei der Lebensmittelproduktion?
Insgesamt gibt es mehr als 320 digitale Anwendungen für die Landwirtschaft, die wir gemeinsam mit unseren Partner*innen entwickelt haben und die Akteuren in der Agrar- und Ernährungswirtschaft bereitgestellt werden. Diese sorgen zum Beispiel dafür, dass der Marktzugang ermöglicht oder verbessert wird. Oder dass Lieferketten effizienter werden. Gleichzeitig geht es auch darum, Daten digital zu sichern und Standards einzuhalten. Das Potenzial für die Entwicklung einer produktiven, klimaresistenten und emissionsarmen Landwirtschaft ist groß. Und Produzierende und Verbraucher*innen können zusammengebracht werden. Hierbei ist es auch immer wichtig, die digitale Teilhabe der bäuerlichen Bevölkerung innerhalb der Lieferketten auszubauen. Die GIZ setzt auf die Anwendung der Principles for digital Development (PDDs) und unterstützt daher open-source Systeme, die enge Einbindung der User und die Einhaltung von Datenschutz.
Wie sieht das konkret aus?
Das Tool INATrace etwa macht durch die Rückverfolgbarkeit von Endprodukten, die Wertschöpfungskette transparenter. Das ist wichtig, um Produkte zu zertifizieren und das Vertrauen zwischen den Akteuren zu verbessern. So können Menschen, die in Deutschland in den Supermarkt gehen, nachvollziehen, unter welchen Bedingungen ihr Essen produziert wird. Welche Löhne werden gezahlt und wie die Tiere gehalten? INATrace verbindet eine Frauenkooperative in Ruanda, die Kaffee herstellt, mit deutschen Kund*innen.
Digitalisierung hat aber auch ihre Grenzen…
Natürlich, den Klimawandel zum Beispiel kann sie nicht stoppen. Apps, Radiodienste und Plattformen können aber Landwirt*innen Beratungsdienste zur Verfügung stellen, die etwa auf Klimaschwankungen oder extreme Wetterlagen hinweisen. Damit werden aus abstrakten Daten konkrete Handlungsoptionen. Aber Digitalisierung ist kein Allheilmittel. Um globale und komplexe Probleme wie Armut, Ungleichheit oder den Klimawandel zu bekämpfen, bedarf es auch einer globalen Anstrengung und einer sorgsamen Abwägung der Vor- und Nachteile des Einsatzes von digitalen Lösungen. Digitalisierung ist kein Selbstzweck und die genutzten Ressourcen müssen durch den erbrachten Nutzen gerechtfertigt sein.
Juli 2022
Tradition trifft Technik
Reportage