Essay: Saubere Energie

Der Sonnenaufgang

Die erneuerbaren Energien erleben derzeit einen rasanten Aufschwung. Für eine globale Energiewende gibt es jedoch noch eine Reihe von Herausforderungen zu meistern.

Text
Christiane Grefe

Hurrikane richten in Florida und der Karibik Verwüstungen ungekannten Ausmaßes an. In Indien, Pakistan und Bangladesch sterben Tausende in den Sturzfluten des Monsuns. Diese Naturkatastrophen ließen fast vergessen, dass nur wenige Wochen vorher in China und Sri Lanka Erdrutsche ganze Dörfer unter sich begraben hatten. Dass in Ostafrika schwindende Wasserquellen Hungersnöte verstärkt, in Indien extreme Hitzewellen Menschen und Landschaft strapaziert hatten. Die Nachrichten fügen sich zur düs­teren Bestätigung des immer wieder Verdrängten: Rund um den Globus werden die Prophezeiungen der Klimaforscher Wirklichkeit. Trotzdem reden noch immer viele Politiker im Futur über die Erderwärmung. Und trotzdem will US-Präsident Donald Trump die weltweite „Energievorherrschaft“ bei einer Renaissance für Kohle, Gas und Öl übernehmen. Zugleich äußert er sich kryptisch über die weitere Haltung der USA zum Klimaabkommen von Paris.

INDIEN: SONNIGE AUSSICHTEN. Die GIZ unterstützt das Land im Auftrag des Bundesumweltministeriums, den Markt für Solarenergie in Ballungsräumen weiterzuentwickeln. Auf den Dächern von Metro-Stationen in Delhi (Bild) und eines Kricketstadions in Bangalore wird bereits Solarenergie produziert.  (Foto: Florian Lang/Agentur Focus)
INDIEN: SONNIGE AUSSICHTEN. Die GIZ unterstützt das Land im Auftrag des Bundesumweltministeriums, den Markt für Solarenergie in Ballungsräumen weiterzuentwickeln. Auf den Dächern von Metro-Stationen in Delhi (Bild) und eines Kricketstadions in Bangalore wird bereits Solarenergie produziert.  (Foto: Florian Lang/Agentur Focus)

Wie aber soll dann das klimapolitische Paradox bewältigt werden, diese größte Herausforderung der Menschheit: dass die CO2-Emissionen drastisch sinken müssen, während zugleich der Energiebedarf laufend steigt? Auch die Bürger Ghanas oder Haitis wollen Kühlschränke nutzen, besser essen und im Internet surfen. Doch mehr als eine Milliarde Menschen weltweit haben noch keinen Zugang zu Strom.

Rasanter Ausbau

Man könnte tatsächlich resignieren, weil eine Reihe von Ländern ihre klimapolitischen Pflichten laufend verschiebt. Die wirtschaftlich mächtigsten Staaten der G20 steckten von 2013 bis 2015 nach wie vor jährlich 71,8 Milliarden US-Dollar Subventionen in fossile Energien, kritisieren Umweltorganisationen. Regierungen lahmen beim Umbau der Heiz-, Kühl- und Verkehrssysteme und einer auf fossiler Energie gründenden Landwirtschaft. Auch das angebliche grüne Vorzeigeland Deutschland hinkt seinen Klimaschutzzielen hinterher.

„Hochgeschwindigkeitshandeln“, das Klimaexperten vor kurzem in der Zeitschrift Nature angemahnt haben, sähe anders aus. Es werde eben immer nur über das Mögliche geredet, kritisiert auch der Umweltpionier und frühere Bundestagsabgeordnete der SPD, Michael Müller – aber nicht über das, was notwendig sei.

Doch manchmal geschieht das Notwendige, selbst wenn es noch kurz vorher als unmöglich erschien: Unerwartet rasant gewinnt der Ausbau von Photovoltaik und Solarthermie, Geothermie und Windkraft jetzt weltweit Schwung. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die globalen Investitionen in solare Kapazitäten mehr als verzehnfacht, die Kurve zieht immer steiler nach oben. Und Strom ist zwar nicht alles – aber seine Bedeutung wächst, je mehr auch die Energie für Autos oder die Wärmeerzeugung aus den Überschüssen von Wind- und Sonnenkraftwerken kommen sollen. Allerdings bleiben selbst bei dieser positiven Entwicklung noch viele Fragen offen: Siegt sie beim klima- und energiepolitischen Wettlauf mit der Zeit? Und wenn sich das Ausbautempo weiter beschleunigt: Ist dann noch gewährleistet, dass Wind- und Solarparks nicht nur nach ökonomischen Gesichtspunkten errichtet werden, sondern auch intelligent, gerecht, bürgernah und so, dass sie nicht andere soziale und ökologische Ansprüche überrollen?

Auch der politische Wille wächst

2016 war wieder ein Rekordjahr beim Ausbau der Erneuerbaren, mit einem Plus von neun Prozent gegenüber dem Vorjahr. Neue Photovoltaikanlagen produzierten 47 Prozent dieser Leistung, Windkraftmasten 34 Prozent und Wasserkraftwerke 15,5 Prozent. Bei diesen Investitionen stehen China und die USA auf den ersten Plätzen. Dabei profitieren viele Länder von der Gunst ihrer Natur: In Skandinavien gibt es viel Holz, Biomasse und zugige Küsten. Costa Rica produziert dank reichlicher Wasserressourcen bereits 90 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien. Die vulkanischen Philippinen nutzen ihre guten Bedingungen für Geothermie. Doch auch der politische Wille wächst, und das besonders in vielen Entwicklungsländern. Laut dem weltweiten Politiknetzwerk REN 21 war zuletzt Bolivien Weltmeister bei der Förderung regenerativer Kapazitäten, wenn man die Anstrengungen am Bruttosozialprodukt misst; dicht gefolgt von Senegal, Jordanien und Honduras.

Auf die billige Kohle zu verzichten, ist für den Kampf gegen den Klimawandel äußerst wichtig. Die Industrienationen müssen beim Umbau ihrer seit Jahrzehnten eingefahrenen Energiesysteme die Blockaden mächtiger Interessengruppen überwinden. In den Entwicklungs- und Schwellenländern kommt es darauf an, solche „Pfadabhängigkeiten“ erst gar nicht zu aufzubauen. Eine gute Nachricht ist, dass China 100 Kohlekraftwerke weniger plant und dafür auf Solarenergie setzt. Auch die Regierung in Delhi hat ihren Ehrgeiz bei der Sonnen- und Windkraft erhöht und will schon bis 2027 auf einen 57-Prozent-Anteil am Energieverbrauch kommen.

BERLIN: MUTIGE START-UPS. Kleine Biogasanlagen für Bauern in Indien, ein Öko-Kühlschrank zur Lagerung von Impfstoffen in Afrika: gute Ideen für eine nachhaltige Energieproduktion. Sie stammen von Start-up-Gründern aus Indien und Deutschland, die sich bei einem zehntägigen „Bootcamp“ in Berlin austauschten. Die GIZ organisierte das Treffen im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums. Auch die Firmen Bosch und Intellecap beteiligten sich. (Foto: Thomas Grabka)
BERLIN: MUTIGE START-UPS. Kleine Biogasanlagen für Bauern in Indien, ein Öko-Kühlschrank zur Lagerung von Impfstoffen in Afrika: gute Ideen für eine nachhaltige Energieproduktion. Sie stammen von Start-up-Gründern aus Indien und Deutschland, die sich bei einem zehntägigen „Bootcamp“ in Berlin austauschten. Die GIZ organisierte das Treffen im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums. Auch die Firmen Bosch und Intellecap beteiligten sich. (Foto: Thomas Grabka)

Und das, obwohl der globale Sonnenaufgang keine Eigendynamik hat: Die immer noch niedrigen Preise für Öl, Gas und Kohle stehen Investitionen in eine andere Energiezukunft im Wege. Auch der Emissionshandel zeigt kaum Wirkung, Forderungen nach einschneidenden CO2-Steuern verhallten bislang. Warum setzen sich die erneuerbaren Energien trotzdem durch? Das hat viele Gründe; einer ist die zunehmende Umweltbelastung in den Schwellenländern. Kohlekraftwerke emittieren nicht nur CO2, sondern auch Feinstaub und Schwefeldioxid. Die vermischen sich mit Auspuffgasen, und wer je im Dauerstau Pekings, Manilas oder Dhakas für zwei Kilometer zwei Stunden brauchte und dabei das Fenster geöffnet hatte, der weiß: Diese Luft macht krank – und manche rebellisch. Vielerorts gab es schon Proteste.

„Um unsere Volkswirtschaft zu wandeln, um unsere Sicherheit zu erhalten und um unseren Planeten vor den verheerenden Folgen des Klimawandels zu schützen, müssen wir erneuerbare Energien profitabel machen.“

Barack Obama, früherer US-Präsident

Der vielleicht wichtigste Treiber: sinkende Preise für die Anlagen. Dabei war Deutschland wirklich Avantgarde. Dank des pionierhaften Erneuerbare-Energien-Gesetzes wurde der Welt demonstriert, dass Sonne und Wind auch in einem Industrieland einen nennenswerten Beitrag zur Stromerzeugung leisten können. Ein Markt entstand, der allen voran chinesische Hersteller lockte. So kam die Massenproduktion in Gang, Skaleneffekte ließen die Preise für Solarmodule mit jeder Verdopplung der Kapazitäten um 20 Prozent purzeln. An vielen Orten der Welt kann die Photovoltaik schon mit Strom aus konventionellen Quellen konkurrieren. Vor allem in den ländlichen Regionen des Südens sind solare Lösungen günstiger als Diesel, Kerosin und Batterien.

Aufwind durch internationale Abkommen

Auch globale Verträge sorgen für Aufwind. Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen verpflichteten sich 2015 fast alle Regierungen der Welt, die Zwei-Grad-Schwelle bei der Erderwärmung nicht zu überschreiten; ja, möglichst wollten sie sogar bei 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter bleiben. Bisher spricht wenig dafür, dass sich die Unterzeichnerstaaten durch Zweifler von ihren Zielen abbringen lassen.

Im selben Jahr verabschiedeten die Vereinten Nationen (UN) die Agenda 2030 mit 17 Zielen für mehr Nachhaltigkeit (Sustainable Development Goals). Sie lösen die Millenniums-Entwicklungsziele ab, bei denen die UN noch übersehen hatten, welch zentrale Rolle Energie auch für die Bekämpfung der weltweiten Armut spielt. Das war fahrlässig, denn ohne Strom gibt es kein Licht zum Lernen, keine kühlen Lager für Lebensmittel oder Medikamente, keine Cashewnuss-Rösterei, keine Jobs. Deshalb schreibt jetzt das Nachhaltigkeitsziel Nummer sieben fest, dass bis zum Jahr 2030 alle Menschen Zugang zu „erschwinglicher, verlässlicher, nachhaltiger und erneuerbarer Energie“ bekommen sollen. Dafür wurde schon Vorarbeit geleistet. In vielen Staaten sind die regionalen Potenziale zumindest grob erfasst worden. Die International Renewable Energy Agency hilft besonders Regierungen armer Länder mit technischer Expertise.

Großanleger sehen für die Zukunft grün

Und schließlich zeigen immer mehr finanzstarke Investoren an den erneuerbaren Energien Interesse. „Die Kohle ist tot“: So urteilte zuletzt Jim Barry, der Vorstandsvorsitzende der weltgrößten Fondsmanagement-Gesellschaft Blackrock, bei einem Interview ausgerechnet im unbeirrbarsten Kohleförderland Australien. Wer ihr noch mehr als zehn Jahre gebe, der riskiere eine Menge, „dem cleveren Geld ist das klar“. Jahrzehntelang hat Blackrock selbst an fossilen Energien verdient. Jetzt sehen die Großanleger für die Zukunft grün. Vom Klimaschutz erwarten sie sich Innovationen und sichere Renditen. Je stärker allerdings Wasser-, Wind- und Sonnenkraft, Biomasse und Geothermie ausgebaut werden, desto deutlicher zeigen sich auch Fallstricke und Herausforderungen.

NICARAGUA: NEUER ANFANG. Victoria Jarquín ist von der Hausangestellten zur Unternehmerin geworden: Als sie hörte, dass ihr Heimatdorf Ocote Tuma nun Strom hat, kehrte sie zurück und eröffnete ein Geschäft. Die GIZ hatte die Gemeinde im Auftrag der Generaldirektion für internationale Zusammenarbeit des niederländischen Außenministeriums unterstützt, ein kleines Wasserwerk zu bauen. Das Projekt ist Teil einer Initiative, die Menschen in Entwicklungsländern den Zugang zu Energie eröffnet. (Foto: Esteban Felix/Archivolatino/laif)
NICARAGUA: NEUER ANFANG. Victoria Jarquín ist von der Hausangestellten zur Unternehmerin geworden: Als sie hörte, dass ihr Heimatdorf Ocote Tuma nun Strom hat, kehrte sie zurück und eröffnete ein Geschäft. Die GIZ hatte die Gemeinde im Auftrag der Generaldirektion für internationale Zusammenarbeit des niederländischen Außenministeriums unterstützt, ein kleines Wasserwerk zu bauen. Das Projekt ist Teil einer Initiative, die Menschen in Entwicklungsländern den Zugang zu Energie eröffnet. (Foto: Esteban Felix/Archivolatino/laif)

Geld: Die Technologien sind gereift, doch im Detail gibt es noch viel zu lernen, vor allem, wenn die Stromerzeugung mit Wärme-, Kühl- und Verkehrssystemen gekoppelt werden soll. Da denken die Experten noch immer zu phantasielos nebeneinander her. Private Betreiber, vor allem Bürgergenossenschaften und Mittelständler, aber auch die Forschung brauchen Anreize dafür, sich zu vernetzen. Besonders in den armen Ländern wird es noch lange nicht ohne Subventionen gehen. Zwar stehen vom Globalen Klimaschutzfonds über nationale Entwicklungsgelder bis zur Weltbank Milliardensummen für die erneuerbaren Energien zur Verfügung. Doch sie sind noch zu gering und zu wenig zielgerichtet.

Gesetze: Entscheidend für ein schnelleres Einführungstempo ist ein politischer Rahmen, der die Frage beantwortet: Wie kommt man von „Best-Practice-Modellen“ zu deren breiter Entfaltung? 60 Regierungen haben bereits Fördermaßnahmen beschlossen, teils nach dem Vorbild des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Auf die Bedingungen ärmerer Länder sind dessen zentrale Ideen allerdings nicht immer übertragbar. So benötigt die Einspeisevergütung für private Produzenten Bürger, die Geld für solche Investitionen übrig haben. Und die Umlage der Anfangsinvestitionen auf den Strompreis funktioniert nur, wenn genügend Kunden sie bezahlen können. Beides fehlt in vielen Entwicklungsländern, ebenso Transportleitungen und Netze. Deshalb setzt zum Beispiel Marokko bei Großanlagen wie dem Solarpark Noor auf direkte staatliche Beteiligungen. Immer mehr Regierungen geben Zuschüsse an Privatleute und Gemeinden, damit diese solare Anlagen finanzieren können.

„Marokko ist ein energiearmes Land, jedenfalls im herkömmlichen Sinne. Aber es ist dabei, diesen Nachteil in einen Vorteil umzumünzen, indem es konseqent auf erneuerbare Energien setzt.“

Aziz Rabbah, Energieminister von Marokko

Die enormen Vorteile dezentraler Angebote besonders für die ländlichen Regionen werden erst allmählich erkannt. In Südamerika, Asien und Afrika breiten sich preisgünstige Solar-Home-Systeme aus, deren Leistung für eine Lampe und eine Kochplatte reicht. Solarkioske in den Dörfern bieten Bauern und Handwerkern an, Batterien oder Handys aufzuladen.

Auch mit „Mini-Netzen“ gelangt Energie dorthin, wo Leitungen zu teuer sind. Der Eon-Mitarbeiter Daniel Becker zum Beispiel baut mit seinem Start-up Rafiki Power in abgelegenen Regionen Tansanias ein Geschäft mit „Mini-Grids“ auf. Kleinkraftwerke, die von Solarpanels überdacht werden, versorgen Schritt für Schritt immer mehr Haushalte mit „freundlichem Strom“ – so heißt „Rafiki Power“ übersetzt. Dann können die Bewohner auch Fernseher, Kühlschrank oder andere Elektrogeräte nutzen. Ein Smart Meter misst den Verbrauch, per SMS wird der Kunde benachrichtigt, sobald sein Guthaben aufgebraucht ist. Acht Anlagen versorgen mittlerweile zehn Dörfer und mehr als 900 Haushalte mit sauberer Energie. Allerdings betont Daniel Becker: „Der Strom allein führt noch nicht zur Entwicklung.“ Deshalb versucht er zugleich mit Hilfe von Entwicklungsgeldern, den Handel und Verleih nützlicher Geräte aufzubauen, vom elektrischen Hobel bis zur Dreschmaschine.

Die Energieversorgung wird bürgernah

Mit staatlicher Anschubfinanzierung könnten Mini-Netze auch genossenschaftlich betrieben werden und wirtschaftliche Aktivitäten in Schwung bringen. Strom für die Herstellung von Süßkartoffelchips, Ölprodukten oder Maniokmehl lässt Wertschöpfungsketten wachsen. Die Energieversorgung wird produktiv und bürgernah, mancherorts kann sie den Kern einer „polyzentrischen Urbanisierung“ bilden. So nennt der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen das Bemühen, mit der – wirtschaftlichen – Belebung von Kleinstädten, etwa mittels Innovationen und Infrastruktur, überforderte Megacities zu entlasten. Auf diesem dezentralen Weg könnten Entwicklungsländer das fossile Zeitalter am schnellsten überspringen („leap frogging“). Gemeinsam ist Industrie- wie Entwicklungsländern, dass Kommunen und Regionen beim dezentralen Umbau der Energieerzeugung zu wichtigen Akteuren werden.

Gerechtigkeit: Trotz solcher Chancen konzentrieren sich die energiepolitischen Anstrengungen bisher oft auf die urbanen Zentren. In den Metropolen Afrikas und Asiens wecken riesige Einkaufszentren die Konsumträume einer wachsenden Mittelschicht, in ihren Industriegürteln siedeln sich Unternehmen an. In solchen Städten ist dann der Ärger der Wähler besonders groß, wenn der Strom mal wieder stundenlang ausfällt. Die alltäglichen Probleme der Armen geraten deshalb auch jenseits der Stromversorgung allzu leicht ins Hintertreffen. Zum Beispiel das Kochen: 2,7 Milliarden Menschen bereiten ihre Mahlzeiten noch immer mit Holz, Holzkohle, Dung oder Pflanzenresten zu – in Subsahara-Afrika sind es sogar 90 Prozent. Doch der Rauch in der Hütte setzt den Atemwegen zu, Frauen brauchen Stunden, um Zweige zu sammeln, Wälder werden zerstört.

Holzöfen durch Solar- oder Biogasherde auszutauschen, bleibt eine komplexe Aufgabe. Oft verlaufen Initiativen im Sand, weil Ersatzteile fehlen oder Weizenfladen ohne das Raucharoma einfach nicht schmecken. Solche kulturellen Umgewöhnungsprozesse erfordern Zeit. Deshalb ist es sinnvoll, das Holz, das ohnehin verbrannt wird, effizienter zu nutzen. Tansanische Köhler zum Beispiel lernen, mit Bäumen nachhaltig umzugehen, Meiler besser abzudichten, ihre Meiler besser abzudichten und so zu bauen, dass die Luft freier zirkuliert. Dann wird die Kohle mit weniger CO2-Emissionen verbrannt. Die Nutzer im Dorf bauen selbst Lehmöfen, mit denen die Effizienz noch einmal verdoppelt werden kann. Solche Projekte brauchen in Zukunft mehr Unterstützung.

MEXIKO: KÜHLER EHRGEIZ. Das Land will seinen Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 halbieren. Die GIZ unterstützt Mexiko dabei im Auftrag des Bundesumweltministeriums. Unter anderem werden alte Kühlschränke durch neue, stromsparende ausgetauscht. Chemische, klimaschädliche Kältemittel werden dabei fachgerecht entsorgt (Bild). (Foto: AP/Christian Palma)
MEXIKO: KÜHLER EHRGEIZ. Das Land will seinen Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 halbieren. Die GIZ unterstützt Mexiko dabei im Auftrag des Bundesumweltministeriums. Unter anderem werden alte Kühlschränke durch neue, stromsparende ausgetauscht. Chemische, klimaschädliche Kältemittel werden dabei fachgerecht entsorgt (Bild). (Foto: AP/Christian Palma)

Grenzen: Bei aller Beschleunigung darf der Klimaschutz nicht auf Kosten anderer berechtigter Ressourcenansprüche gehen. Bei der Biomasse musste diese Lektion bitter gelernt werden: Beimischungsquoten für Kraftstoffe oder die Förderung großer Biogasanlagen in Eu­ropa trieben die Nachfrage nach Mais und Raps, Palmöl und Zuckerrohr abrupt in die Höhe. Damit stieg auch die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Flächen – mit der Folge, dass weltweit Monokulturen entstanden und Kleinbauern vertrieben wurden. Auch Sonne, Wasser und Wind sind keineswegs automatisch nachhaltig. Großanlagen, wie mächtige Investoren sie bevorzugen, brauchen Land und treten in Konkurrenz zu anderen Nutzungsformen. In Indien oder Mexiko kämpften Dorfbewohner schon gegen Windkraftanlagen, die Investoren auf Bauernland setzen wollten.

Immer wieder werden Anrainer vertrieben, wenn große Staudämme entstehen sollen. Planer übersehen, dass vermeintliche Brachen von Hirten oder indigenen Völkern genutzt werden. Naturschützer verteidigen wichtige Überlebensräume für die Artenvielfalt. Oder es gibt politische Spannungen wie in Marokko: Dort liegt ein Teil der weltweit gepriesenen solaren Großprojekte in einem Gebiet, das zur Westsahara gehört und von der Regierung in Rabat beansprucht wird. Die Bürger dort wurden bei der Planung offenbar nicht gefragt.

„Wenn wir nicht tatkräftig gegen den Klimawandel vorgehen, werden künftige Generationen geröstet, getoastet, frittiert und gegrillt.“
Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds

Allerdings sind die Einkommen in den Ländern, in denen sie besonders deutlich stiegen, besonders ungleich verteilt. Trotzdem hat sich die Gesamtsituation auch für die Ärmsten in den vergangenen Jahren verbessert: Zur Jahrtausendwende lebten noch fast zwei Drittel der afrikanischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, jetzt sind es nur noch gut 40 Prozent.

Solche Zielkonflikte zeigen: „Unendlich“ sind die an sich grenzenlos verfügbaren erneuerbaren Energien letztlich doch nicht. Umso wichtiger ist, dass Energie einge-spart und effizient genutzt wird. Auch da könnten Entwicklungsländer „leap froggen“. Mit einem entsprechenden Gesetz war zum Beispiel Indien früh dran. Schon seit mehr als zehn Jahren gibt es dort strenge Verbrauchsobergrenzen für energieintensive Industrien, Häuser und jedes einzelne Elektrogerät.

Genügsamkeit: Damit der Klimaschutz global gerecht gestaltet wird und die ärmeren Länder ihren Entwicklungsspielraum entfalten können, müssen der Energieverbrauch und die Emissionen aber vor allem in den Industrienationen noch viel radikaler heruntergefahren  werden. Politiker tun sich schwer damit: Schicke neue Technologien kommen besser an als die Forderung, Ansprüche zu reduzieren. Wo aber Konsumenten pro Kopf das Zehn- bis Zwanzigfache der Emissionen verantworten, die ein Inder oder Sambier verursacht, da sind auch neue Gewohnheiten und Lebensformen gefordert. Deshalb dürfen Erfolge bei der Nutzung erneuerbarer Quellen nicht als Ausrede dienen, den genügsameren Umgang mit Energie immer weiter aufzuschieben.

aus akzente 3/17

 

Aus der Arbeit der GIZ

Menschen mit Energie zu versorgen, stößt Entwicklung an

Die GIZ engagiert sich in zwei Dritteln der 120 Länder, in denen sie tätig ist, für saubere Energie. 900 Mitarbeiter sind in 160 Energieprojekten beschäftigt und setzen derzeit ein Auftragsvolumen von etwa 600 Millionen Euro um.
Zwei wichtige Ziele verfolgt die GIZ mit ihrer Arbeit: Wir wollen Menschen mit Energie versorgen, damit sie Felder bewässern, Getränke kühlen, medizinische Geräte nutzen oder nach Einbruch der Dunkelheit noch lesen können. Und wir wollen dazu beitragen, Klima und Umwelt zu schützen. Deshalb unterstützen wir Entwicklungs- und Schwellenländer dabei, ihren wachsenden Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen zu decken.

Der größte Teil unserer Arbeit gilt dem Ausbau netzgebundener erneuerbarer Energien, indem wir etwa die Voraussetzungen für den Bau von Windparks und Solaranlagen schaffen. So berät die GIZ viele Regierungen bei der Einführung von Rahmenbedingungen wie Einspeisevergütungen für „sauberen“ Strom. GIZ-Expertise steckt beispielsweise im indischen Energieeinspargesetz. Außerdem fördert die GIZ den effizienteren Einsatz von Energie, etwa durch die Dämmung von Gebäuden oder die Einführung von Standards zur Energieeffizienz.

Die Delphi-Studie

Darüber hinaus entwickeln wir Geschäftsmodelle, um Elektrizität dorthin zu bringen, wo bisher noch keine Leitungen liegen, etwa durch „Stand-alone-Systeme“. Das sind kleine Photovoltaik-Anlagen, die je nach Größe Strom für Beleuchtung erzeugen oder den Betrieb von Geräten wie Fernseh­ern oder Kühlschränken ermöglichen. Allein im zweiten Halbjahr 2016 wurden mehr als 3,7 Millionen dieser Systeme verkauft. Das ist wichtig, denn insgesamt lebt mehr als eine Milliarde Menschen ohne Stromanschluss.

Wir blicken auch forschend in die Zukunft. Zusammen mit der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers und dem deutschen Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft haben wir die Studie
„Delphi Energy Future 2040“ durchgeführt. Dafür wurden 350 Experten aus 40 Ländern befragt. Mehrheitlich sind sie der Ansicht, dass sich der Energieverbrauch bis 2040 verdoppeln wird. Umweltkatastrophen werden den ökologischen Umbau der Energiesysteme bis dahin beschleunigt haben. Und: Es werde sich ein weltweites Klimaregime mit ambitionierten CO2-Zielen durchsetzen. Auch Verbraucher würden immer stärker auf nachhaltige Produktionsbedingungen achten, so dass die Verwendung sauberer Energie zum Wettbewerbsvorteil werde. Die Mehrheit der Befragten erwartet zudem, dass Europa bis 2040 eine gemeinsame Energiepolitik verfolgt. Außerdem werde die Versorgung dezentraler, zum besseren Schutz vor Krisen und Terrorismus.

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