Das Projekt „Soziale Unterstützung für vulnerable afghanische Flüchtlinge und Mitglieder der aufnehmenden Gemeinden“ schafft niedrigschwellige psychosoziale Angebote. Es fördert damit den sozialen Zusammenhalt zwischen den einzelnen Gruppen der Gemeinden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Frauen sowie heranwachsenden Mädchen und Jungen. Auftraggeber ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Als Partner vor Ort unterstützt das Kommissariat für afghanische Flüchtlinge der Provinz Khyber Pakhtunkhwa.
Am Wirgefühl schrauben
Im Norden Pakistans leben pakistanische und geflüchtete afghanische Familien seit Jahrzehnten als Nachbarn, ohne sich zu kennen. Die GIZ schafft besonders für Frauen sichere Begegnungsstätten und bringt damit beide Seiten zusammen.
Für die Frauen aus dem Distrikt Nowshera ist ein Baucontainer ein Lichtblick. Hier in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Norden Pakistans sitzen sie dicht nebeneinander in Zweierteams an Tischen und bauen ferngesteuerte Automodelle. Die Metallwände sind mit Platten in Holzoptik verkleidet, surrende Ventilatoren hängen daran und schaffen es kaum, die Luft zu bewegen, um für einen Hauch von Abkühlung zu sorgen.
Die Hitze steht drückend im Raum, doch all das scheinen die Frauen kaum zu bemerken. Konzentriert blicken sie auf Kabel, Platinen und kleine Gummireifen, reichen sich Schraubendreher und Lötkolben an und diskutieren eifrig, wo sie die Batterien befestigen möchten, damit ihre Modelle aus dem Technikkurs Fahrt aufnehmen. Die kleinen Autos stehen für etwas Unabhängigkeit und mehr Selbstbewusstsein. Genau das wünschen sie sich – auch für ihre Töchter.
Sichere Räume als Begegnungsstätten
Hier, in diesem stickigen Container, haben afghanische und pakistanische Frauen einen sicheren Ort, ihren „Safe Space“ gefunden. Das unkomplizierte Fahrzeug, an dem sie gemeinsam basteln, ist buchstäblich ein Vehikel: Die Teilnehmerinnen üben in Robotics-Kursen, mit Werkzeug umzugehen und dadurch zu Hause kleinere elektronische Geräte wie Kopfhörer oder Uhren zu reparieren. So lernen sie, sich etwas zuzutrauen. Was aber noch wichtiger ist: Sie lernen sich gegenseitig kennen.
Seit 2019 bietet die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH diese Art der Hilfe für afghanische Flüchtlinge und Mitglieder der aufnehmenden Gemeinden an. Die Kurse sind dabei grundsätzlich paritätisch besetzt: Eine Hälfte der Teilnehmerinnen stammt aus Pakistan, die andere aus Afghanistan.
Pakistan beherbergt seit fast 40 Jahren weltweit die meisten Afghaninnen und Afghanen. Dennoch waren sich die Geflüchteten aus dem Nachbarland und die Menschen der aufnehmenden Gemeinden lange völlig fremd. Dabei lebt mehr als die Hälfte aller Geflüchteten aus Afghanistan in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Rund ein Drittel davon wohnt, oft schon in zweiter oder dritter Generation, in eigenen Flüchtlingsdörfern, die restlichen zwei Drittel leben verteilt in Gemeinden und Städten.
Pakistan kämpft mit einer schwachen Wirtschaft, die sozialen Sicherungssysteme sind überfordert. Das sorgt für Spannungen: Geflüchtete werden als Konkurrenz gesehen. Existenzsorgen verstärken Angst, Stress oder Depressionen. Gewalterfahrungen und Traumata wirken wie Brandbeschleuniger. Besonders betroffen sind Kinder, Jugendliche, Frauen und Mädchen.
Nur eine Straße trennt das Geflüchtetendorf von der Gemeinde Akora Khattak im Distrikt Nowshera; dennoch kannten sich die Bewohnerinnen nicht. Es gab Berührungsängste, man beäugte sich misstrauisch, statt aufeinander zuzugehen.
Psychosoziale Unterstützung für viele
Kiran steht auf, als sie erzählt, warum sie an diesem Nachmittag über die Straße zu den afghanischen Nachbarinnen gekommen ist. Die Pakistani ist 28 Jahre alt, stammt aus Akora Khattak und wirkt sehr entschlossen. Ihr ist klar, dass sie beim Robotics-Kurs nicht nur an einem ferngesteuerten Auto schraubt, sondern auch am Wirgefühl. Sie hat schon weitere Angebote besucht, zum Beispiel einen Kurs, in dem sie erfuhr, wie sie bei sich und anderen Stress erkennt und wie sie damit umgehen kann: „Da habe ich zum ersten Mal von geschlechtsspezifischer Gewalt gehört.“
Ihr Wissen teilt Kiran nun mit anderen Frauen: „Ich habe mich bei den örtlichen Wahlen aufstellen lassen und bin gewählt worden. Es ist wichtig, andere Frauen zu informieren. Nicht nur über Gewalt und welche Hilfsmöglichkeiten es gibt, sondern auch über viele andere Themen.“ Die Kurse haben sie darin bestärkt, anderen Frauen eine Stimme zu geben. In den Trainings lernen Fachkräfte und Laien, besser auf die psychosozialen Bedürfnisse sowohl der Geflüchteten als auch der pakistanischen Bevölkerung einzugehen.
Bisher bildete die GIZ knapp 1.400 Personen zu psychosozialer Unterstützung in den Gemeinden weiter, darunter gut die Hälfte Frauen. Die Themen sind vielfältig: Konfliktlösung, Stressmanagement, Umgang mit Aggression, gewaltfreie Kommunikation. In mehr als 1.000 Veranstaltungen machte sie auf psychische Gesundheit, geschlechtsspezifische Gewalt und Menstruationsgesundheit aufmerksam und erreichte damit rund 15.600 Personen, darunter etwa 80 Prozent Frauen.
Heidi Herrmann leitet das Projekt bei der GIZ. Sie ist überzeugt, dass das Miteinander der Schlüssel ist: „Inzwischen sind richtige Freundschaften entstanden. Die Frauen besuchen sich gegenseitig, laden sich ein.“ Die GIZ schafft geschützte Räume, in denen sich die Mitglieder der Gemeinden treffen und austauschen können. „Frauen lernen in Rollenspielen, sich mit einfachen Methoden gegenseitig zu unterstützen“, sagt Herrmann.
Kunststudentinnen verschönern die Wände
Im Norden Pakistans richtete die GIZ insgesamt fünf solcher Begegnungsstätten ein, unter anderem im Distrikt Nowshera. Nutzen dürfen diese alle Geschlechter. Ein abgetrennter Bereich, in dem der Baucontainer steht, ist jedoch weiblichen Teilnehmenden vorbehalten. Dessen Wände haben die drei Studentinnen Husna, Omama und Ammarah bemalt.
Die Motive – unter anderem eine verschleierte Frau – haben die jungen Frauen aus Pakistan gemeinsam mit Afghaninnen entworfen. „Sie haben ihre Heimat zurückgelassen, aber nicht ihre Kultur“, erklärt Ammarah. Sie und ihre Freundinnen sind modern gekleidet; unter dem Kamiz, dem pakistanischen Traditionsgewand, sind enge Jeans zu sehen. Das Bild der verschleierten Afghanin drücke Stolz aus: „Frauen sind stark.“