Alles im Fluss
Der Mekong ist Lebensader für Millionen Menschen in Südostasien. In Zeiten des Klimawandels setzen sich Anrainerstaaten gemeinsam für die nachhaltige Nutzung des Ökosystems ein. Deutschland unterstützt sie dabei.
Das Ufer des Mekong ist ein fruchtbarer Untergrund. Sarann Ly muss deshalb durch dichtes Gestrüpp stapfen, wenn er seine Messstation am Rand der laotischen Hauptstadt Vientiane besucht. Das unscheinbare Häuschen, von der Grundfläche kaum größer als einen Quadratmeter, liegt zwischen wild wachsenden Bananenbäumen und wuchernden Mimosenzweigen.
Im Inneren hängt ein Kasten mit einer Autobatterie und drei miteinander verkabelten Geräten. Sie dienen dazu, die Höhe des Flusspegels sowie die aktuelle Regenmenge zu erfassen und zu speichern. „Per Mobilfunknetz werden die Daten automatisch an einen zentralen Server übertragen“, erklärt Sarann. „Wir haben so die Lage rund um die Uhr im Blick.“
Der 43 Jahre alte Wissenschaftler ist Chefhydrologe der Mekong River Commission (MRC). Diese zwischenstaatliche Organisation setzt sich für eine nachhaltige Entwicklung des Flusses ein. Dabei wird sie von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums unterstützt.
Saranns Messungen an rund 70 Stellen im unteren Mekongbecken sind von großer Bedeutung: In Laos, Thailand, Kambodscha und Vietnam bildet der Strom die Lebensgrundlage für etwa 70 Millionen Menschen. Sie bewässern mit dem Wasser des Flusses ihre Felder und verdienen ihr Geld mit dem Fischfang. Saranns Daten helfen, Anwohnerinnen und Anwohner frühzeitig vor Hochwassern und Dürren zu warnen und Veränderungen in dem Ökosystem festzustellen.
Seit längerem geben die Messwerte Grund zur Sorge: In den vergangenen vier Jahren führte der Mekong deutlich weniger Wasser als gewöhnlich. Die Pegelstände fielen auf den niedrigsten Stand seit mehr als 60 Jahren. Regierungen von Anrainerstaaten riefen zu Wassersparmaßnahmen auf und mussten die Entnahme von Flusswasser für die Bewässerung von Feldern erheblich reduzieren. Ein deutlicher Rückgang der Reisernte war die Folge.
Genaue Daten über die Wassermenge
Zu schaffen machen dem Mekong besonders zwei Entwicklungen: sich ändernde Niederschläge als Folge des Klimawandels und die Vielzahl an Staudämmen, die in den vergangenen Jahren an dem Fluss und seinen Nebenarmen entstanden sind. „Es lässt sich bisher nicht exakt sagen, welcher Faktor am schwersten wiegt“, sagt Sarann, während er über eine von Blättern und abgebrochenen Zweigen bedeckte Steintreppe zum Flussbett hinabklettert, um dort den im Fluss schwimmenden Wasserstandsensor zu kontrollieren. „Genaue Daten zu sammeln, ist deshalb enorm wichtig – damit wir entsprechend reagieren können.“
Bei dem Versuch, die Lage am Mekong zu verbessern, spielt die Flusskommission MRC eine entscheidende Rolle: Sie wurde 1995 von den Anrainerstaaten Thailand, Vietnam, Kambodscha und Laos gegründet. Die Organisation hat das Ziel, die Wasserressourcen gemeinsam zu verwalten und die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Interessen in Einklang zu bringen. Sie erarbeitet gemeinsame Dürre- und Hochwasserpläne sowie Frühwarnsysteme für die lokale Bevölkerung und entwickelt Strategien zum Informationsaustausch. Und für die umweltschonende Nutzung der Wasserkraft werden Vorgaben aufgestellt.
Gleichzeitig setzt sich die MRC bei China – einem wichtigen Akteur am Mekong, der nicht Mitglied der Organisation ist – für eine bessere Zusammenarbeit ein. Etwa die Hälfte der Gesamtlänge des Mekong von insgesamt mehr als 4.300 Kilometern liegt auf chinesischem Staatsgebiet.
Schon die Standpunkte der MRC-Mitgliedsländer zu koordinieren und auf einen Nenner zu bringen, ist hochgradig komplex. In der Regel vergingen mehrere Jahre, bis es bei einzelnen Fragen zu einer Einigung komme, sagt Thim Ly, der leitende Flussplaner bei der MRC. Der oft langwierige Aushandlungsprozess sei aber unvermeidbar: „Kein Land wird eine Strategie umsetzen, wenn es seine Interessen darin nicht wiederfindet.“
Barbara Schweiger, die bei der GIZ die Zusammenarbeit mit der Kommission verantwortet, sieht das ähnlich, ist aber dennoch von dem Weg überzeugt: „Als grenzüberschreitende Plattform verfügt die MRC über einen erfolgreichen Ansatz, um Transparenz herzustellen und so den Dialog zwischen den Staaten anzuschieben.“
Besonders wichtig ist das angesichts des rasanten Ausbaus der Wasserkraft. Noch vor zwei Jahrzehnten gab es im unteren Mekongbecken lediglich 17 Wasserkraftprojekte mit einer Leistung von weniger als 1.400 Megawatt. 2021 waren bereits 88 Anlagen, davon zwei auf dem Mekong Hauptfluss, mit einer Gesamtleistung von 12.600 Megawatt in Betrieb. Bis 2040 wird sich dieser Wert Prognosen zufolge noch einmal mehr als verdoppeln. Auch der obere Flusslauf in China erlebte eine ähnliche Entwicklung: Allein auf dem Hauptfluss sind elf Wasserkraftwerke – zwei davon großangelegte Speicherkraftwerke – bereits in Betrieb, elf weitere in Planung.
Die Kraftwerke behindern den natürlichen Wasserlauf und können Dürren verstärken, wenn flussaufwärts große Wassermengen gespeichert werden. Besonders China steht seit Jahren in der Kritik, seinen geografischen Vorteil zulasten anderer Flussanrainer auszunutzen. Gleichzeitig stoppen die Dämme auch nährstoffreiche Sedimente, die den Fischen als Nahrung dienen. Auch der Weg von Wanderfischen wird durch die Kraftwerksanlagen gestört – das bedroht den Fischbestand.
Studie zu Umweltfolgen
Um die Auswirkungen noch besser zu verstehen, hat die MRC mit Unterstützung der GIZ eine Detailuntersuchung von zwei relativ neuen Wasserkraftprojekten gestartet. Die Analyse des Wasserflusses, der Wasserqualität sowie des Sedimenttransportes und der Fischbestände rund um die Dämme Don Sahong und Xayaburi soll die Umweltfolgen erstmals vollständig erfassen. Ziel des Projekts ist es, mehr Transparenz zu schaffen – und Überwachungsmethoden und Standards für Wasserkraftwerke zu etablieren, die künftig von allen Betreibern am Mekong befolgt werden sollen.
MRC-Chefhydrologe Sarann ist überzeugt, dass auch hier ein gemeinsamer Weg beschritten werden kann. Der gebürtige Kambodschaner wuchs an einem Nebenfluss des Mekong südlich der Touristenstadt Siem Reap bei Angkor Wat auf. Als Jugendlicher wunderte er sich darüber, weshalb man das viele Wasser in der Regenzeit nicht für die Bewässerung der Felder in der Trockenzeit aufbewahrte. Inzwischen sind solche Wasserspeicher weit verbreitet. „Heute stehen wir vor neuen Herausforderungen“, sagt Sarann mit Blick auf die Probleme von Südostasiens Lebensader. „Aber wir haben keine andere Wahl, als eine Antwort darauf zu finden.“