Reportage
Zum Wandel angestachelt
„Als ich in deinem Alter war, gab es all diese Büsche hier noch nicht“, sagt Chief Ruben Uazukuani zu seinem zwölfjährigen Sohn Rusuvero, während er das Tor zum Pferch öffnet. Seine Kühe warten schon, sie laufen in die Buschlandschaft und sind schon bald nicht mehr zu sehen. „Früher konnte man von hier die Savanne überblicken und es wuchs noch überall Gras“, erzählt der Kleinbauer. Heute muss sein Vieh mühsam nach Futter suchen, die Büsche, die teilweise eine Größe von Bäumen erreichen, haben das Gras verdrängt. An etlichen Stellen ist der Wuchs sogar so dicht und dornig, dass die Kühe gar nicht oder nur mit Blessuren durchkommen.
Expertinnen und Experten sprechen von Verbuschung, ein Problem, das viele Regionen Namibias betrifft. Auf bis zu 45 Millionen Hektar hat der Busch überhandgenommen. Das entspricht in etwa der Fläche von Deutschland und Österreich. Und das Problem wächst: jedes Jahr um rund drei Prozent. Hauptursache sei die jahrzehntelange Überweidung, erklärt GIZ-Mitarbeiter Johannes Laufs: „Das Ganze wird durch den Klimawandel beschleunigt, denn der Busch wächst unter hohem CO2-Gehalt in der Atmosphäre besser als Gras.“ Die Folgen für die Landwirtschaft sind verheerend. Mit Unterstützung des Projekts „Busch-Kontrolle und Nutzung von Biomasse“, das Laufs leitet, reagiert Namibia auf die Klimaveränderungen und versucht seine Resilienz zu stärken. Das ist dringend nötig, denn zur Verbuschung kamen in den vergangenen Jahren folgenschwere Dürren. „Viele Kleinbauern aus unserer Region haben ihre Tiere verloren und waren gezwungen, in die Städte abzuwandern“, erzählt Ruben Uazukuani. Er arbeitet selbst schon seit etlichen Jahren in der Hauptstadt Windhuk und kommt nur an den Wochenenden ins rund vier Stunden entfernte Okamatapati, wo seine Familie mehrere Tausend Hektar Land bewirtschaftet, das dem Staat gehört und er gepachtet hat.
Gemeinsam mit seinem Sohn und zwei Arbeitern schleppt er aus einem Schuppen seine Hammermühle, die mittels rotierender Hämmer verschiedene Buschmaterialen unterschiedlich grob mahlen kann. Er hievt sie auf seinen Pick-up und nach kurzer Fahrt steigen die Männer aus, greifen sich Macheten und beginnen, die Büsche am Rand der ungeteerten Straße, die nach langersehntem Regen nun frisch austreiben, kurz über dem Wurzelstock abzuhacken. Uazukuani zerkleinert die Äste mit Hilfe der Mühle, nach und nach füllt sich die Ladefläche seines Pick-ups. „Eine gute Ernte“, meint er. Denn während der Busch früher nur als Problem angesehen und teils mit Chemikalien vernichtet wurde, wird er heute auch als wertvolle Ressource betrachtet. Der 47-Jährige ist einer von über eintausend Farmerinnen und Farmern, die bei Workshops gelernt haben, wie sie aus der Buschbiomasse Tierfutter herstellen können. Der „De-bushing Advisory Service“ wurde von der GIZ gegründet und organisiert die praktischen Trainings. Etliche von ihnen finden auf der Farm von Anton Dresselhaus statt, der in Namibia als Pionier in diesem Bereich gilt.
Jetzt lacht keiner mehr über das Buschfutter
Bereits vor zehn Jahren begann er mit Rezepturen zu experimentieren, zunächst aus der Not heraus, später aus Überzeugung. „Viele Leute haben mich damals ausgelacht und gesagt: ‚Kühe sind Weidetiere und fressen keinen Busch‘“, erinnert er sich. Doch der innovative Landwirt bewies das Gegenteil. „Wenn das Buschmaterial fein genug ist und aussieht wie Gras oder Wolle, dann fressen sie es sogar sehr gern.“ Angereichert wird die Masse mit Zutaten wie Melasse, Salz, Urea oder Phosphat, um die Tiere gleichzeitig mit Proteinen und Mineralstoffen zu versorgen. Neben der Basisrezeptur gibt es weitere spezielle Mischungen, beispielsweise für trächtige Muttertiere. Dresselhaus hat alles genauestens dokumentiert. Es freut ihn, dass seine Tiere schneller Gewicht zulegen und daher auch früher verkauft werden können. Das spart Kosten. Außerdem konnte er zusätzliche Arbeitsplätze für die Buschernte und -verarbeitung schaffen. Während der Dürre konnte er sich vor Anfragen kaum retten, die Nachfrage nach überschüssigem Buschfutter aus seiner Produktion war damals sehr groß.
NEUE WEGE AUS DEM BUSCH
Befördert durch den Klimawandel verwandeln sich weltweit Savannen in Dickicht. Namibia versucht die Verbuschung einzudämmen und gleichzeitig Chancen für neue Arbeitsplätze und die Landwirtschaft zu schaffen. Die Buschkontrolle und die Förderung von Biomasse-Wertschöpfungsketten sind ein wichtiger Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit zwischen Namibia und Deutschland. Das „Bush Control and Biomass Utilisation“-Projekt (BCBU) der GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung arbeitet eng mit dem namibischen Umweltministerium zusammen. Innerhalb dieser Kooperation sind Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Buschnutzung entwickelt und umgesetzt worden. Dabei wird neben der Tierfutterproduktion auch Wertschöpfung durch erneuerbare Energie, Pflanzen- und Holzkohle sowie Baumaterialien unterstützt. Und mit dem „De-bushing Advisory Service“ wurde ein Wissenszentrum für Farmer*innen und Unternehmer*innen aufgebaut. Bisher konnten zusätzlich 5.300 Jobs geschaffen werden und während der letzten Dürre produzierten 860 Bäuerinnen und Bauern Viehfutter aus Buschmasse. Jährlich wird der Busch auf 300.000 Hektar eingedämmt.
Kontakte: Johannes Laufs, johannes.laufs@giz.de;
Asellah David, asellah.david@giz.de
Inzwischen tauschen sich die verschiedenen Farmerinnen und Farmer über ihre Erfahrungen aus und konnten auch anfängliche Skeptiker wie Ruben Uazukuani überzeugen. Zunächst habe er nicht glauben können, dass sein Vieh „Zweige fressen“ würde. Aber er war schnell überzeugt. „Dieses Konzept hat meiner Herde das Leben gerettet. Ohne das Buschfutter hätte sie die letzte Dürre nicht überlebt“, betont Kleinbauer Uazukuani, als er nach der Buschernte auf seinen kleinen Hof zurückkehrt. Zwischen den kleinen Gebäuden, gegenüber der Kochstelle, wo die Frauen der Familie gerade das Mittagessen vorbereiten, hat er bereits am Vortag gemischtes Futter auf einer Plastikplane in der Sonne ausgebreitet.
Der Farmer spart und dem Bullen schmeckt’s
Den reinen Buschschnitt könne man einige Zeit lagern, erklärt er, die fertige Mischung müsse jedoch bald verfüttert werden. Er füllt einen Eimer und trägt ihn zu einem Trog. Direkt trabt ein Jungbulle herbei und macht sich über das Futter her. Offenbar schmeckt es ihm mindestens so gut wie konventionelles Futter. Dabei sei es um rund ein Drittel günstiger, so Uazukuani. „Ich spare viel Geld.“ Seit es wieder geregnet hat, ernährt sich seine Herde jedoch wieder überwiegend von Gras. Nur ausgewählte Tiere, etwa jene, die besonders wertvoll sind, wie der Bulle, bekommen zusätzlich das Biobuschfutter. Denn die Herstellung ist arbeitsintensiv und braucht ein gewisses Know-how. Uazukuani produziert es selbst mit größter Sorgfalt, denn eine falsche Rezeptur kann den Tieren schaden und im Extremfall sogar ihren Tod bedeuten. „Wenn ich dauerhaft hier wäre, würde ich das Futter permanent herstellen“, sagt der Kleinbauer. „Denn es ist wirklich hervorragend, mehr als nur ein Notfutter.“
Das findet auch Salomo Kauari, ebenfalls Kleinbauer auf kommunalem Land. Nach dem Tod seines Vaters hat er seinen Job bei einem Agrarunternehmen an den Nagel gehängt, um sich ganz der Landwirtschaft zu widmen. „Das Biobuschfutter war eine echte Entdeckung“, erzählt er. „Ich kann dafür vieles nutzen, was hier auf der Farm bereits vorhanden ist oder was ich selbst anbauen kann.“ Und so wachsen neben seinem Haus unter anderem Lupine und Moringa, die er dem Futter beimischt. In einem Schuppen stehen mehrere Ballen und Säcke mit getrockneten Zutaten, darunter auch proteinhaltige Schoten einiger Buscharten.
Kauari hat sich vorgenommen, dieses Jahr gar kein Futter zu kaufen, sondern es selbst herzustellen. Nicht nur, weil er bis zum nächsten Geschäft für landwirtschaftliche Produkte in die rund 150 Kilometer entfernte größere Stadt fahren muss und Geld knapp ist, sondern auch, weil er von der Qualität überzeugt ist. „Dank des Biobuschfutters ist während der Dürre keines meiner Tiere verendet, gleichzeitig haben meine Nachbarn viele Tiere verloren“, erzählt er. Nun experimentiert er mit unterschiedlichen Rezepturen für verschiedene Anwendungen, mit Erfolg. Ebenso ehrgeizig sind seine Pläne zur weiteren Ausdünnung des Buschbestands: Bis zu rund vier Hektar will der 45-Jährige im Lauf des Jahres von den Arten befreien, die sich besonders stark ausbreiten und das Gras in der Savanne verdrängen. Die Kosten für zwei Arbeiter, die er dafür anheuert, würden sich auszahlen. „Ich habe gesehen, wie sich das Weideland dort erholt, wo wir den Busch bereits ausgedünnt haben“, betont er. Auf diesen Flächen hält er nun Ziegen, die die nachwachsenden Triebe fressen und so das neuerliche Wachstum in Schach halten.
Und noch etwas hat der Kleinbauer beobachtet: Seine beiden Brunnen haben wieder mehr Wasser, seit er die Büsche, die teils tiefe Pfahlwurzeln haben, entfernt hat. „Vorher konnten wir nur für ein paar Stunden am Tag daraus schöpfen, aber nun sind die Pegel deutlich gestiegen.“ Angesichts dieser Erfolge hat Kauari keinen Zweifel, dass dem Biobuschfutter die Zukunft gehört. Sein größter Traum ist eine Pelletiermaschine, mit der er gepresstes Futter herstellen kann, das länger haltbar ist. „Ich spare bereits dafür. Ich könnte die Farmer in der Nachbarschaft mit Tierfutter versorgen und hätte eine weitere Einkommensquelle.“ Gleichzeitig kann sich sein Land weiter regenerieren. Und vielleicht wird die Landschaft dann irgendwann wieder so aussehen wie zu den Zeiten von Ruben Uazukuanis Kindheit.
Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei:
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