Kenia

Sonniger Aufschwung

Ein Pilotprojekt in der Region der Masai zeigt, wie Kleinkraftwerke lokalen Handel und Gewerbe beflügeln.

Text
Rolf Obertreis
Fotos
Thomas Imo

Wo sonst nur ein paar Rinder und Ziegen herumlaufen, ist heute viel los: Es ist Mittwoch, Markttag in Talek. Händler haben ihre Stände mit Gemüse, Obst, Schuhen und Kleidern auf dem zentralen Platz der Siedlung aufgebaut. Talek mit seinen 1500 Einwohnern liegt 250 Kilometer westlich von Kenias Hauptstadt Nairobi, am Rande des Nationalparks Masai Mara.

Joshua Saitoti in seiner Apotheke
Joshua Saitoti in seiner Apotheke

Viele der Masai sind aus den umliegenden Dörfern nach Talek gekommen. In der Apotheke von Joshua Saitoti am Rande des großen Platzes fragt ein älterer Mann, das traditionelle rotkarierte Tuch um den Hals geworfen, mit heiserer Stimme nach einer Medizin. Saitoti greift ins Regal, während der Masai auf den kleinen Fernseher schaut. Der Apotheker packt vier Tabletten in ein braunes Tütchen. 50 Schilling (gut 40 Cent) zahlt der Patient. „Den Fernseher habe ich für meine Kunden gekauft, als Zeitvertreib, falls sie mal warten müssen. Und für mich, wenn mal nicht so viel los ist“, sagt der Apotheker. Möglich aber war das erst, als sein Laden an das lokale Stromnetz angeschlossen wurde. 

Endlich ein Kühlschrank für Medizin

Strom gibt es in Talek seit Mitte 2015. Joshuas Apotheke war eines der ersten Häuser, das davon profitierte. „Heute kann ich sogar einen Kühlschrank betreiben“, sagt er. Das ist wichtig für verderbliche Medizin. Früher schloss er seine Apotheke um 19 Uhr. Jetzt ist sie drei Stunden länger geöffnet, denn endlich gibt es elektrisches Licht.

George Ndubi betreibt einen kleinen Solarpark.
George Ndubi betreibt einen kleinen Solarpark.

Nur 100 Meter entfernt vom großen Platz wird der Strom für das lokale Netz produziert. „Talek Power – Wir sorgen für sauberen und verlässlichen Strom“ steht über dem Eingangstor. Die Sonne knallt an diesem frühen Nachmittag vom Himmel – gut für die Solar-Kollektoren, die auf der Fläche eines Fußballfeldes die Basis für eine 50-Kilowatt-Anlage liefern. In dem kleinen angrenzenden Gebäude stehen Wechselrichter der Kasseler Sonnenfirma SMA Solar, 72 Batterien der Firma Hoppecke aus Nordrhein-Westfalen und ein Dieselgenerator. Er wird jedoch nur in Ausnahmefällen eingeschaltet, etwa bei Bewölkung und hoher Nachfrage.

Elektrizität gegen Armut

Die abgelegene Masai Mara gehört zu den Regionen Kenias, bei denen es noch sehr lange dauern wird, bis sie an das nationale Stromnetz angeschlossen werden – wenn überhaupt jemals. „Das hemmt die wirtschaftliche Entwicklung und verlangsamt die Überwindung der Armut“, sagt Jasmin Fraatz von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH. Obwohl sich Kenia als Schwellenland einstuft, lebt immer noch ein Drittel der 48 Millionen Kenianer in absoluter Armut und damit von weniger als 200 Schilling am Tag –  das sind rund 1,80 Euro. Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat die GIZ dafür gesorgt, dass Talek ein lokales Stromnetz bekam. Das ist vor allem für Geschäftsleute und Handwerksbetriebe wichtig.

Der Solarkiosk, betrieben von einem Unternehmen aus Berlin
Der Solarkiosk, betrieben von einem Unternehmen aus Berlin

Vorher gab es im Ort nur einen Solarkiosk, betrieben vom gleichnamigen Unternehmen aus Berlin. Dort können Handys aufgeladen, Dokumente gedruckt und kopiert werden. Und es werden Solarlampen verkauft, so dass die Menschen abends in ihren Hütten und Häusern auch ohne teure und gefährliche Petroleumlampen Licht haben und die Kinder noch Hausaufgaben machen können. Das ist ein kleiner Fortschritt, reicht aber nicht, um die lokale Wirtschaft nach vorne zu bringen.

Stromabrechnung deckt die Kosten

„Aktuell haben wir 72 Kunden, davon sind 45 Geschäftsleute“, sagt George Ndubi von PowerGen. Diese Firma betreibt die lokale Solarstrom-Anlage. Ausgelegt ist Talek Power für bis zu 300 Kunden. Das Pilotprojekt soll zeigen, dass solche Solar-Hybrid-Dorfstromanlagen nachhaltig und rentabel von privaten Firmen betrieben werden können. Der Strom wird kostendeckend abgerechnet:  Die Gebühr für den Anschluss an das Netz liegt bei umgerechnet 100 Euro, die Kilowatt-Stunde Strom kostet 70 Schilling, etwa 60 Euro-Cent. Damit werden Investitions- und Betriebskosten abgedeckt und Rücklagen ermöglicht. Zum Vergleich: In Deutschland kostet die Kilowattstunde derzeit knapp die Hälfte.  

130.000 Euro hat die GIZ für den Bau der Pilotanlage ausgegeben, der Bezirk Narok hat das Gelände und die Arbeiter für den Bau der Anlage gestellt. Auch die deutsche Welthungerhilfe hat das Vorhaben unterstützt, unter anderem mit Stromspar-Kampagnen für die Menschen in Talek. Die GIZ plant, weitere 20 Solar-Hybrid-Dorfstromanlagen im Norden des Landes direkt zu unterstützen.

Ausbildung von Solartechnikern an der Strathmore University in Nairobi
Ausbildung von Solartechnikern an der Strathmore University in Nairobi

Die GIZ wird Bau und Betrieb privaten Betreibern überlassen, berät aber im Vorfeld. Daneben kümmert sie sich in Nairobi mit der Bereitstellung von Lehrkräften und Lehrmaterial um ein weiteres Problem: Solartechniker sind in Kenia rar gesät. Angeblich gibt es im ganzen Land nur rund 160 Experten. Der Mangel ist eklatant. An der Strathmore Universität in Kenias Hauptstadt Nairobi lernen junge Frauen und Männer, wie eine Solar-Hybrid-Anlage geplant, gebaut, gewartet und betrieben wird.

Kurse für mehr Solartechniker

Die 32 Jahre alte Elizabeth Kavuu Kiitu gehört dazu. Die Mutter eines sieben- und eines einjährigen Jungen arbeitet für den staatlichen Stromkonzern, hat aber nebenbei mit ihrem Cousin auch eine eigene Firma gegründet. Sie vertreibt Solarlampen für Häuser und Gärten. „Solar hat derzeit nur einen Anteil von nicht einmal fünf Prozent an der Stromproduktion in Kenia“, sagt Kiitu. „Das ist viel zu wenig. Das müssen wir ausbauen. Und nicht etwa fossile Energieträger.“

Tatsächlich will die Regierung in Nairobi auch die Stromproduktion aus Kohle und Gas vorantreiben und denkt sogar an ein Atomkraftwerk, denn der Energiehunger des Landes ist groß. Derzeit kommen je 35 Prozent des Stroms in Kenia aus Geothermie und Wasser, dazu gibt es Dieselgeneratoren. Wind und Solar spielen eine untergeordnete Rolle – obwohl die Sonneneinstrahlung in Kenia doppelt so stark ist wie in Deutschland. Auch deshalb soll es Kurse wie in Nairobi bald mit Unterstützung der GIZ auch in anderen Städten des Landes geben, sagt Jasmin Fraatz von der GIZ.

Mitarbeiter von Fatuma Aden – in der kleinen Firma herrscht reger Betrieb.
Mitarbeiter von Fatuma Aden – in der kleinen Firma herrscht reger Betrieb.

In Talek  ist der Effekt der Solaranlage schon sichtbar, nicht nur bei Apotheker Joshua. „Es sind fast 40 neue Geschäfte und Betriebe entstanden und rund 125 Arbeitsplätze. Tendenz steigend“, berichtet Projektmanagerin Fraatz. Bei Fatuma Aden zischt ein Schweißgerät. Einer ihrer drei Mitarbeiter legt letzte Hand an ein Tor, das ein Hausbesitzer bei der resoluten Geschäftsfrau bestellt hat.

Ohne das lokale Stromnetz hätte Fatuma Aden ihr Kleinunternehmen nicht aufziehen können. Mit einem einfachen Solarpanel könnten weder das energieintensive Schweißgerät noch die Schleifmaschine betrieben werden. „Früher habe ich mir mit einem Dieselgenerator geholfen“, sagt Aden. „Aber wenn der mal nicht funktionierte, habe ich Aufträge verloren“. Bald will die 32 Jahre alte Unternehmerin Tore und Fenstergitter vorproduzieren und nicht mehr nur auf Bestellung arbeiten. Ihre finanziellen Voraussetzungen dafür werden immer besser. „Mein Monatsumsatz ist mit dem Stromanschluss von 10.000 auf 15.000 Schilling gestiegen“, freut sich die Mutter von fünf Kindern. Das sind umgerechnet immerhin 130 Euro. Im Schnitt liegt das Pro-Kopf-Einkommen in Kenia bei rund 1.400 Euro im Jahr.

Bessere Geschäfte durch die Solaranlage

Den Strom müssen die Kunden in Talek im Voraus mit einer Wertmarke bezahlen. Es gibt sie bei der Bank im Ort oder via mobiles Handyguthaben. Während der Zähler für den Strom über den jeweiligen Häusern oben am Strommast hängt, ist unten in den Läden, wie in der Apotheke von Saitoti und im Betrieb von Aden, ein kleiner Kasten mit der Aufschrift „Cashpower“ installiert. Auf dem Display zeigt er den Verbrauch und das Restguthaben an. Geht es zur Neige, kann es der Nutzer über ein Tastaturfeld mit dem Code der Wertmarke wieder auffüllen.

Kleiner Kasten mit großer Wirkung
Kleiner Kasten mit großer Wirkung

Auch Saitotis Apotheke läuft dank des kleinen Solar-Kraftwerks deutlich besser. „Mein Umsatz ist um 50 Prozent gestiegen“, sagt er. Jedoch findet er: „Der Strom ist viel zu teuer. 50 Schilling wären angemessen“. Schließlich weiß der Apotheker, was der Strom in anderen Teilen Kenias kostet. Auch der staatliche Stromversorger Kenya Power arbeitet mit Insel-Lösungen wie in Talek. Allerdings wird dort der Strom mit Hilfe von Dieselgeneratoren gewonnen. Dort kostet die Kilowatt-Stunde nur 22 Schilling, weil sie subventioniert ist. Solche verbilligten Preise will GIZ-Projektleiterin Fraatz nicht, weil die lokale Solarstrom-Anlage so nicht kostendeckend arbeiten kann. „Eigentlich müsste der mit Diesel erzeugte Strom mindestens 50 Schilling kosten – und wenn man die Umweltverschmutzung einrechnet, eher sogar 80 Schilling.“

Ansprechpartnerin: Jasmin Fraatz  > Jasmin.fraatz@giz.de

September 2017